Rezensionen

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2023, Seiten 26/27

Schluss mit dem Verzicht

… auf ein gutes Leben, meinen fünf Autoren und fordern kürzere Arbeitszeiten

Erinnert sich noch jemand an die Tage im Frühjahr und Sommer 2020, als im Zuge des Corona-Lockdowns alle Flugzeuge am Boden bleiben mussten und die Autobahnen fast leer waren? Damals machten sich einige KlimaschützerInnen Hoffnungen, dass daraus eine gesellschaftliche Kraft für die Transformation zu einer umweltfreundlichen Gesellschaft entstehen könnte.

Corona war kein Anstoß zum Wandel

Drei Jahre später ist davon kaum noch die Rede. Die Staus auf den Autobahnen sind wieder so groß wie vorher und sorgen nur dann für populistische Aufregung, wenn sie durch Klimaprotestaktionen verlängert werden. Auch die Zahl der Flugreisen hat längst einen Stand wie vor der Pandemie erreicht.

Trotzdem ist es sehr anregend, ein Buch zu lesen, das gerade diese Hoffnungen von vor drei Jahren zum Ausgangspunkt genommen hat. Schon der Titel „Shutdown“ erinnert daran. In der Einleitung weist Herausgeber Norbert Trenkle darauf hin, dass der Corona-Shutdown tatsächlich eine messbare Reduzierung der CO₂-Emissionen gebracht hat. „Allerdings gibt es keinerlei Anlass zur Hoffnung, diese Entwicklung könnte von Dauer sein“, dämpft Trenkle alle Hoffnungen auf einen gesellschaftlichen Wandel durch Corona – und liefert dafür eine stichhaltige Begründung: „Denn der vorübergehende Stopp der wirtschaftlichen Aktivitäten in großen Teilen der Welt hat ja rein gar nichts an der Grundlogik der kapitalistischen Produktionsweise geändert, die von dem Selbstzweck zur endlosen Vermehrung des Geldes, dem Repräsentanten abstrakten Reichtums, angetrieben wird.“ Hier wird ein zentrales Argument angeführt, das die fünf Buchautoren in sechs gut strukturierten Beiträgen ausführlich begründen. Sämtliche Autoren sind Anhänger der Krisis-Gruppe und betrachten die Theorie von Karl Marx durch die Brille der sogenannten Wertkritik.

Warum grüner Kapitalismus nicht funktioniert

Im längsten Beitrag begründet Ernst Lohoff prägnant, warum das gegenwärtige Wirtschaftssystem zwar in der Rhetorik, nicht aber in der Realität grün sein kann. „Ohne eine schnelle und dramatische Reduktion des CO₂-Ausstoßes lässt sich der Klima-Gau mit seinen unabsehbaren Folgen nicht mehr abwenden. Und wenn auch die Befürworter eines Green New Deal das stur ignorieren, ist eine solche Reduktion auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsweise unmöglich, sie ist an einen Systembruch gebunden“, schreibt Lohoff. Das ist natürlich erst mal nur eine These, die Lohoff und seine Mitautoren allerdings auf den 200 Seiten gut begründen. „Im warenproduzierenden Weltsystem geht es immer nur um die Anhäufung von abstraktem Reichtum, nicht um die Herstellung der zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse benötigten Güter.“ Es geht also – in der Terminologie von Marx – um den Unterschied zwischen Tauschwert und Gebrauchswert. Am Markt treten sämtliche Güter nur als Waren mit einem Tauschwert, dem Preis, auf. Das ist auch der Grund, warum in vielen Städten gut erhaltene Häuser leer stehen, während Menschen wohnungs- und obdachlos sind. Gleichzeitig steigt durch den Leerstand der Wert des Grundstücks, was im Interesse der Immobilienwirtschaft ist, nicht aber der Menschen, die eine Wohnung suchen.

Hier liegt ein Grund, warum 2021 in Berlin so viele Wahlberechtigte das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ unterstützt haben, was im Buch als ermutigtes Zeichen gewertet wird. Dass das Volksbegehren in Berlin aber bis heute nicht umgesetzt wird, zeigt, dass die kapitalistische Profitwirtschaft nicht mal durch eine so erfolgreiche Abstimmung an einer Stelle zurückgedrängt werden kann.

Kritik an fragwürdigen Öko-Thesen

Es ist ein Verdienst der fünf Autoren, dass sie diese Zusammenhänge im Buch prägnant und in einer Sprache erklären, die auch LeserInnen ohne Marx-Kenntnisse verstehen. Andererseits verfallen die Autoren auch nicht in den anderen Fehler, komplexe Sachverhältnisse populistisch allzu sehr zu vereinfachen. Empfehlenswert ist Lohoffs Aufsatz „Wie Sand am Meer“, eine kleine Ökonomie des Wachstumszwangs. Dort setzt sich der Autor auch mit manchen Ideen der Umweltbewegung, wie dem „qualitativen Wachstum“, kritisch auseinander.

Daran schließt Karl-Heinz Simon mit seinem Text an, in dem er den Begriff „Klimaschutz“ hinterfragt. Nicht „das Klima“, sondern höchstens die Lebensgrundlagen müssten geschützt werden. Ein gutes Leben für die Mehrheit der Menschen müsse das Ziel sein. Julian Bierwirth befasst sich mit der reaktionären These, dass eine angebliche Übervölkerung das Hauptproblem für Umwelt und Klima sei. Solche Vorstellungen wurden von rechten Ökologen wie Herbert Gruhl schon in den 1980er Jahren propagiert und werden heute in Kreisen der AfD verbreitet.

„Wir leben nicht über unsere Verhältnisse“

Mit guten Argumenten wenden sich die Autoren auch gegen eine in großen Teilen der Umweltbewegung verbreitete abstrakte Konsumkritik und Verzichtsideologie. „Leider ist nicht nur im herrschenden Diskurs, sondern auch unter manchen, die auf der Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus sind, die Auffassung verbreitet, ‚wir alle‘ lebten ‚über unsere Verhältnisse‘“, beklagen Lothar Galow-Bergemann und Ernst Lohoff im letzten Aufsatz. „Doch wer Verzicht predigt, sieht die Wirklichkeit schon durch die Brille der spezifisch kapitalistischen, abstrakten Reichtumsform.“ Die Mehrheit der Menschen lebe nicht über ihre Verhältnisse, sondern unter ihren Möglichkeiten. Es gehe nicht um Verzicht, sondern vielmehr darum, endlich mit dem Verzichten auf ein gutes Leben aufzuhören, so die beiden Autoren.

So sehen Lohoff und Galow-Bergemann in immer längeren Arbeitszeiten einen Verzicht auf ein schönes Leben. Sie fordern eine grundlegende Arbeitszeitverkürzung, damit die Zeit der Nichtarbeit, bei Marx auch „Reich der Freiheit“ genannt, verlängert wird. Nur kurz tippen beide Autoren allerdings ein wichtiges Problem an, wenn sie erklären, dass diese Arbeitszeitverkürzung nicht mit vollem Lohnausgleich zu haben sein wird, wenn es darum gehen soll, den kapitalistischen Wachstumszwang zu beenden. Stattdessen fordern sie, dass wichtige menschliche Grundbedürfnisse wie Wohnen und öffentlicher Nahverkehr nicht mehr dem Profitzwang unterworfen werden sollen.

Care-Revolution?

Auch Pflege und Schutz im Alter sollen nach den Vorstellungen der Autoren nicht mehr vom Einkommen der betroffenen Menschen abhängen. Vielmehr müsse Care-Arbeit, wie diese Pflege und Sorge für Hilfebedürftige genannt wird, ein Menschenrecht für alle sein. Hier knüpfen die Autoren an die Thesen der feministisch inspirierten „Care-Revolution“ an, ohne sie direkt zu erwähnen. Eine Exponentin dieser Bewegung, Gabriele Winker, hat 2021 in ihrem Buch „Solidarische Care-Ökonomie“ (Rabe Ralf August 2021, S. 27) für eine radikale Reformpolitik „zwischen Care und Klima“ plädiert, die den Vorstellungen der „Shutdown“-Autoren sehr ähnlich ist. Wenn es im Buch schon keinen Bezug auf diese feministische Debatte gibt, so wäre eine gemeinsame Diskussion im Nachhinein wünschenswert, wie eine Gesellschaft jenseits von Profitlogik und Patriarchat aussehen kann und wie sie zu erreichen ist.

Peter Nowak

Ernst Lohoff, Norbert Trenkle (Hrsg.): Shutdown
Klima, Corona und der notwendige Ausstieg aus dem Kapitalismus
Unrast-Verlag, Münster 2022
200 Seiten, 14 Euro
ISBN 978-3-89771-292-8

www.krisis.org/buecher


Deutschlands rechte Oligarchen

Wie die reichsten deutschen Unternehmerdynastien Nazis und Rechtsextreme finanzierten

Krisenzeiten sind Zeiten einer aufstrebenden Rechten, die Angst und Unsicherheit der Menschen für sich missbraucht. Das zeigt sich an Wahlergebnissen der AfD, aber auch an den von Rechtsextremen durchsetzten Demonstrationen in der Corona-Pandemie, an vermeintlichen Friedensdemonstrationen oder an der aufflammenden Hetze gegen queere, vor allem transgeschlechtliche Menschen.

Hitlers Geldgeber

Doch was wie neuer Hass und neues Aufstreben aussieht, ist letztlich gar nicht so neu. Das zeigt der niederländische Finanzjournalist David de Jong in seinem Buch „Braunes Erbe: Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien“. Die hinter der Rechtsentwicklung stehenden und den Hass finanzierenden Firmen sind teilweise die gleichen wie auch schon zu NS-Zeiten.

In „Braunes Erbe“ setzt de Jong seinen Fokus auf die Firmenimperien von Quandt, August Baron von Finck, Friedrich Flick, Dr. Oetker und den Porsche-Piëch-Clan. Diese fünf Familien waren maßgeblich am Aufstieg Adolf Hitlers beteiligt, indem sie ihn und seine NSDAP finanzierten, um den Propagandaapparat am Laufen zu halten, auch um einen Arbeiteraufstand von links zu verhindern. Letztlich mit dem Ziel, den imperial-totalitären Traum von der deutschen Weltmacht zu erfüllen und auf dem von ihr beherrschten globalen Markt selbst eine tragende Rolle zu spielen.

Ausgangspunkt für das Buch war eine 2012 durchgeführte Recherche für die US-Nachrichtenagentur Bloomberg News. Dabei stieß der Autor auf die Harald Quandt Holding. Das Unternehmen verwaltet nicht zu vernachlässigende 18 Milliarden Euro von Investmentfirmen. Name und Kapital der heutigen HQ Holding gehen auf Harald Quandt zurück, Sohn von Magda Goebbels und Adoptivsohn von Joseph Goebbels, Hitlers Reichspropagandaleiter.

Lehren für die Zukunft

Das Buch legt die Vergangenheit der fünf Oligarchenfamilien detailliert offen, zeigt die Verstrickungen ihrer Unternehmerdynastien, die von der Einverleibung jüdischen Besitzes und von brutaler Zwangsarbeit profitierten, wie auch ihren Werdegang nach dem Krieg. Es gelang ihnen nicht nur erneut, Reichtum anzuhäufen und ihre Macht in Wirtschaft und Finanzwelt auszuweiten, sie konnten auch wieder alte Nazis und neue rechtsextreme Gruppen mit ihrer Finanzmacht unterstützen. Eine dieser Gruppierungen ist die AfD, die sich mittlerweile im Bundestag befindet.

De Jongs Buch zeigt sehr eindrucksvoll, wie die Folgen der nach dem Krieg gescheiterten beziehungsweise nicht ernsthaft versuchten Entnazifizierung bis heute nachwirken und welche Gefahren hier nach wie vor liegen. Gleichzeitig zeigt es, wie Kapitalismus und Rechtsextremismus sich gegenseitig begünstigen und voneinander abhängig sind. Eine absolute Leseempfehlung!

Justin Penzel

David de Jong: Braunes Erbe
Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022
496 Seiten, 28 Euro
ISBN 978-3-462-05228-2

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