Aus DER RABE RALF Dezember 2020/Januar 2021, Seite 25-27
Pädagogik vom Kinde aus
Ein außergewöhnliches Buch ehrt einen außergewöhnlichen Menschen
Blättert man die letzte Seite um, hat man ein Buch gelesen, das voller Hochachtung und Wärme geschrieben ist. Hochachtung vor der Entscheidung eines Lebens und Wärme für einen Lehrer. Es zu lesen ist eine Wohltat. Dank jahrelanger Arbeit mit umfangreichen Recherchen, vielen Gesprächen und dem Zusammenführen all dessen sowie dem Anliegen, einen besonderen Menschen mit dem Blick auf sein einzigartiges Lebenswerk in Buchform persönlich zu würdigen und dies unbedingt publik zu machen, erhält der Leser ein Geschenk.
Die Gruppe „Grafik, Malerei und Umweltpflege“
Der Autor Hartmut Sommerschuh, Umweltjournalist, Autor, Regisseur und Mitbegründer des Fördervereins für Öffentlichkeitsarbeit im Natur- und Umweltschutz (FÖN), der ab 1990 Heimstatt für Gilbert Waligora und seine Jugendgruppe für „Grafik, Malerei und Umweltpflege“ wurde, berichtet vom Leben und der Arbeit eines Pädagogen, der gar kein Pädagoge war – nicht einmal ein Lehrer – und doch Generationen von Kindern und Jugendlichen nachhaltig geprägt hat. Auch mich. Und ich freue mich sehr, dass es dieses Buch nun gibt.
Wir lesen, wie Gilbert Waligora von 1964 an in wechselnden Gesellschaftssystemen und Arbeitsgemeinschaften als Zeichenzirkelleiter den ihm anvertrauten Kindern nicht nur ein solides Rüstzeug fürs Malen und Zeichnen mitgab, sondern ihnen damit zugleich ein lebenslanges Interesse für das sie Umgebende und Berührende eingab. Indem er sie auch dessen Geschichte erforschen ließ, ihnen das kulturelle Erbe nahebrachte und mit Buchempfehlungen zum selbständigen Denken anregte.
Das Buch ist gefüllt mit ihren Aquarellen, Zeichnungen und Texten, die Kennenlernen- und Begreifenwollen ebenso dokumentieren wie ein waches, persönliches Empfinden und die von erstaunlichem Können und tiefer Wirkung sind.
Vom Zeichnen zum Naturverständnis
Aus diesem Verhältnis, das die jungen Menschen unter der behutsamen, einfühlsamen Anleitung durch ihren Zirkelleiter zu ihrer Umwelt gewannen – der natürlichen wie der gesellschaftlichen – wuchs ganz selbstverständlich auch der Wunsch, sich für diese Umwelt einzusetzen. Erwuchs ein auch Gegenwind aushaltendes gesellschaftliches Engagement dialogfähiger und -williger, kompetenter Jugend mit unverhangenem Blick. Menschen, wie sie ins Parlament unseres Landes gehörten.
In einem Extrakapitel wird die Landschaft vorgestellt, das heutige Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, in dem mit der Jugendgruppe Pionierarbeit geleistet wurde – und man versteht, warum.
Jede Seite ist in gemeinsamer Arbeit mit dem Verlag liebevoll bis ins Detail gestaltet – es ist allein ein Vergnügen, in dem Buch zu blättern. Ich empfehle es wärmstens nicht allein Kunstpädagogen oder Leitern von Umweltgruppen, sondern möchte es allen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, unbedingt ans Herz legen.
Hans Serner
Der Rezensent ist Marionettenspieler in der Prignitz.
Hartmut Sommerschuh:
Aquarell im Regen
Naturverständnis und Kunst
Gilbert Waligora und die faszinierenden Bilder seiner „Kinder“
Hendrik Bäßler Verlag, Berlin 2020
184 Seiten, 19,80 Euro
ISBN 978-3-945880-59-3
E-Mobilität auf dem Prüfstand
Ein sozialwissenschaftlicher Blick auf die Elektromobilität
Rund um den gesellschaftlichen Wandel zur E-Mobilität gebe es viele Baustellen, schreiben die Herausgeber dieses Sammelbandes, beide Politikwissenschaftler an der FU Berlin, in ihrer Einleitung. Elektromobilität reiche weit über das E-Auto hinaus, da es auch Busse, Bahnen, Fahrräder und Logistik umfasse. Letztlich gehe es aber um einen gesellschaftlichen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit, es gehe um Industriepolitik, um Auto- und Zulieferindustrien, Arbeitsplätze im Verkehrssektor sowie gewerkschaftliche Positionen. Viele Facetten werden in diesem umfangreichen Band beleuchtet und es wird deutlich, dass die Sozialwissenschaften viel zur Verkehrswende beitragen können.
Nicht für jede Stadt passt der gleiche Weg
Die Publikation ist in vier thematische Schwerpunkte gegliedert. Der erste Abschnitt „Mobilität im Wandel“ kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass eine Mobilitätswende ein grundsätzliches Infragestellen des Automobils beinhaltet, das in unserer Gesellschaft eine symbolische Aufladung erfahren hat und für viele Menschen Freiheit und Individualismus verkörpert, woraus sich eine Verhaltensfixierung auf das Auto und den Verbrennungsmotor entwickelt hat. Diese Fixierung müsse durchbrochen werden, um einen Pfadwechsel in Richtung Nachhaltigkeit zu bewirken.
Teil zwei beschäftigt sich mit den räumlichen Ausprägungen des Mobilitätswandels. Die Beiträge behandeln Lösungsstrategien für Metropolregionen, einzelne Großstädte und ländliche Regionen, die jeweils unterschiedliche Wege der Verkehrswende erfordern, zum Beispiel beim Carsharing. Abgeschlossen wird der Teil mit einem informativen Beitrag über die Entwicklung in China, der auch der Frage nachgeht, inwieweit China ein Trendsetter der E-Mobilität ist.
Der dritte Teil setzt sich mit Rohstoffen und Lieferketten auseinander. Die Beiträge kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die bisherige Ausrichtung der Automobilindustrie, aber auch die Umstellung auf Elektroautos deutlich zulasten des globalen Südens geht, weil soziale und ökologische Kosten dorthin ausgelagert werden.
Schlüsselrolle für Gewerkschaften
Abgeschlossen wird der Band mit Beiträgen rund um „Wertschöpfung und Beschäftigung“. Unter anderem geht es darin um die „Sektorkopplung“, die integrierte Gestaltung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr. Zudem wird am Beispiel Österreichs dargestellt, wie eine Konversionsstrategie für die Automobilzulieferer aussehen könnte. Ein zentraler Gestalter einer solchen Strategie könnte bei uns die Gewerkschaft IG Metall sein, für die in einem Beitrag ebenfalls Anforderungen an eine erfolgreiche Transformation erarbeitet werden.
Insgesamt ein sehr gehaltvoller Band mit vielen Argumenten, die Interessierte und KritikerInnen der E-Mobilität im Ringen um die Verkehrswende gut nutzen können.
Herbert Klemisch
Achim Brunnengräber, Tobias Haas (Hrsg.):
Baustelle Elektromobilität
Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Transformation der (Auto-)Mobilität
Transcript Verlag, Bielefeld 2020
448 Seiten, 38 Euro
ISBN 978-3-8376-5165-2
Kostenlose PDF-Version auf www.transcript-verlag.de
Fair zur Mücke
Wie selbst kleinste Insekten helfen, das Gleichgewicht unseres Planeten zu erhalten
Zugegeben, es ist wirklich sehr schwer, sich so etwas vorzustellen: dass selbst kleine Insekten wie Mücken, die ja eher einen schlechten Ruf genießen, wichtig für uns und unsere Umwelt sind. Oft wird uns das erst klar, wenn es eine Art nicht mehr gibt. Doch wie groß ist der Einfluss der Biodiversität auf unser tägliches Leben wirklich? Und was können wir tun, um das Aussterben von Arten und die Zerstörung der Biodiversität unseres Planeten aufzuhalten?
Wo wir zurzeit stehen …
Was ist Biodiversität? Wie wirkt sie sich auf uns aus? Was können wir tun, um sie zu erhalten? Damit beschäftigen sich die Autorinnen ausgiebig im ersten Teil des Buches. Dabei greifen sie oft auf Beispiele zurück.
Wenn man sich die Zahlen anschaut, kann man erkennen, dass um die Biodiversität, der Vielfalt an Arten und Lebensräumen auf unserem Planeten nicht gut bestellt ist. So sind 27 Prozent aller Arten, deren Bedrohungsstatus untersucht wurde, vom Aussterben bedroht. Bei Säugetieren wurde seit 1970 eine Abnahme der Biomasse um 82 Prozent festgestellt. Besonders gefährdet sind sogenannte „Hotspots der Biodiversität“. Sie machen nur 2,3 Prozent der Landfläche unseres Planeten aus, beherbergen aber 50 Prozent aller Pflanzenarten, 55 Prozent aller Süßwasserfischarten und 77 Prozent aller Landwirbeltierarten. Die Zerstörung solcher Hotspots würde also die Artenvielfalt unseres Planeten innerhalb kürzester Zeit extrem reduzieren.
Welche Folgen hat das für uns? Die Autorinnen betrachten im Buch insgesamt sieben Bereiche unseres Lebens und wie diese Bereiche mit einzelnen Arten und mit der Biodiversität verknüpft sind. Dazu zählen neben eher offensichtlichen Themen wie Ernährung und Reisen auch unerwartete Aspekte wie Sicherheit. Dieses weite Spektrum erlaubt einen umfassenden Einblick in die verschiedenen Einflüsse auf unsere Umwelt und hilft zu verstehen, wie einige scheinbar alltägliche Handlungen auf lange Sicht zu irreparablen Umweltschäden führen können. Immer werden dabei auch Beispiele genannt – wie der Regenwurm, der hilft, das Regenwasser in den meist stark versiegelten Städten besser abfließen zu lassen.
… und was wir tun können
Im letzten Teil wird gefragt, was getan werden muss und wer was genau tun kann. Das bezieht sich auf die Politik, die mit Gesetzen und anderen Beschlüssen mehr Einfluss ausüben kann als jeder andere. Auf die Wirtschaft, die durch ihr profitorientiertes Handeln oft die Sicherheit von Arten und ihren Lebensräumen aufs Spiel setzt. Aber natürlich auch auf uns, die wir privat Einfluss nehmen können, indem wir unseren Alltag verändern, uns öffentlich oder privat engagieren oder darauf achten, dass unsere Stimmen auch wirklich gehört werden.
Das Buch enthält sehr viele illustrierende Beispiele und Erklärungen und ist deshalb immer unterhaltsam und gut zu lesen. Ich hatte beim Lesen nicht einmal das Gefühl, dass mich etwas nicht interessiert. Das lag sicher auch an den schönen Bildern und geschickt gewählten Wortspielen, die die sachlichen Informationen des Buches hervorragend unterstützen. Sehr überrascht war ich von der Vielfältigkeit des Buches. Ich hatte mich darauf eingestellt, dass die Lektüre relativ monoton und sachlich wird. Umso mehr habe ich mich über eine sehr spannende und bereichernde Leseerfahrung gefreut und kann nur eine klare Leseempfehlung aussprechen.
Fabio Micheel
Frauke Fischer, Hilke Oberhansberg:
Was hat die Mücke je für uns getan?
Endlich verstehen, was biologische Vielfalt für unser Leben bedeutet
Oekom Verlag, München 2020
224 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-96238-209-4