Aus DER RABE RALF Dezember 2020/Januar 2021, Seite 9
Ein Einblick in die Mechanismen hinter dem „Attitude-Behavior-Gap“
Die Deutschen reisen gerne und viel, und glaubt man den Umfragen, legen sie immer häufiger Wert auf Nachhaltigkeit beim Reisen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat dabei eine positive Einstellung gegenüber nachhaltigem Reisen, Tendenz steigend. Dennoch spiegelt sich diese positive Ansicht nicht immer in der Realität wider. Verhaltensökonomen nennen die Lücke zwischen der positiven Absicht und der unzureichenden Umsetzung „Attitude-Behavior-Gap“. Doch wie lässt sich die Diskrepanz zwischen der Einstellung und dem Verhalten erklären?
Die Gründe sind vielfältig
Urlaubsreisen sind in der Regel mit positiven Gefühlen verbunden. Vernunft spielt in Sachen Freizeit und Reisen daher eine untergeordnete Rolle, wobei das Gewissen mit Ausreden beruhigt wird. Die Tourismusforscherin Sara Dolnicar und ihr Kollege Emil Juvan versuchten bereits 2014 diesem Phänomen in ihrer wissenschaftlichen Arbeit auf den Grund zu gehen, indem sie die Begründungen der Reisenden untersuchten und diese in sechs Kategorien einteilten. Vom Leugnen des Problems („So schlimm ist das doch gar nicht“) über die Rechtfertigung der Ausnahme („Normalerweise lebe ich nachhaltig“) bis zur Verleugnung von langfristigen Konsequenzen („Das kann alles noch gelöst werden“) gibt es viele Möglichkeiten, sich aus der Verantwortung herauszureden.
Beliebt sind auch Begründungen wie: „Wenn nur ich mein Verhalten ändere und die anderen nicht mitziehen, macht das auch keinen Unterschied.“ Nicht nur die Eigenverantwortung wird gerne verleugnet, sondern auch die Möglichkeit, die Kontrolle über das eigene Handeln zu haben: „Eigentlich würde ich gerne nachhaltig reisen, aber es fehlt an Geld/Zeit/Informationen …“
Gern wird das eigene Verhalten auch durch sozialen Vergleich gerechtfertigt. Dabei ziehen wir Rückschlüsse aus den Verhaltensweisen anderer. Das zeigt sich durch Erklärungen wie: „Es könnte noch viel schlimmer sein“ oder „Andere verhalten sich auch nicht besser.“ Oder man glaubt, es reiche aus, das eigene Verhalten anderweitig zu kompensieren („Ich tue doch bereits genug Gutes in meinem Alltag“).
Diese psychologischen Mechanismen helfen zu verstehen, weshalb es so schwer ist, Menschen zu motivieren, nachhaltig zu reisen. Auf jeden Fall ist das Wissen darüber ein erster Schritt, um alte Denkmuster aufzubrechen.
Positive Erfahrungen sammeln
Wie aber lassen sich nun gewollte Glaubenssätze in die Tat umsetzen? Eine Idee ist es, positive Erfahrungen zu sammeln. Denn das reine Verzichten wirkt auf Dauer nur kontraproduktiv, vor allem, weil die menschliche Psyche langfristig nicht darauf ausgelegt ist, enthaltsam zu leben. Manchmal reicht es jedoch schon, kleine Hürden zu überwinden – nach der Devise: Probleme sind nur dann nicht lösbar, wenn man sie für Probleme hält. Besonders wenn einem das Problem so groß vorkommt, dass eigene Maßnahmen wirkungslos erscheinen.
Anfangen kann man schon bei der Vorplanung für die Reise: nach Urlaubszielen suchen, die näher sind als das andere Land oder der andere Kontinent. Manchmal liegt der nächste Kulturschock schon vor der eigenen Haustür. Wie wäre es mit einem Ausflug in den Spreewald oder ins Lebuser Land? Europa selbst ist bereits ein Schatz an unerforschten Kulturen.
Auch bei der Wahl der Verkehrsmittel lässt sich schon einiges verbessern. Als Faustregel gilt: Im Inland oder bei weniger als 500 Kilometern Entfernung sollte man auf das Fliegen ganz verzichten, da es die schlechteste Art der Fortbewegung für unseren Planeten ist.
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Planung der Reise ist die Beherbergung. Vom Campen über Jugendherbergen und Naturfreundehäuser bis hin zu Pensionen und Hotels gibt es verschiedene Möglichkeiten, ressourcensparende Angebote zu finden – zum einen mithilfe von Umwelt- oder Nachhaltigkeitssiegeln wie Viabono und TourCert, zum anderen durch Suchportale, die umweltfreundliche Unterkünfte auflisten, wie GreenLine Hotels oder bookitgreen.de.
Erst überlegen, dann nachhaltig reisen!
Insgesamt wird deutlich, warum nachhaltiges Reisen so schwerfällt. Nichtsdestotrotz ist eine bewusste Reflexion über das eigene Verhalten der erste notwendige Schritt zur Veränderung. Versuchen Sie es einmal selbst mit unserem „Tatenzünder“. Er kann Ihnen den ersten Anreiz zur Veränderung geben. Beantworten Sie die Fragen für sich selbst und kleben Sie das ausgeschnittene Memo beispielsweise auf Ihren Kühlschrank. Beim Ausfüllen stellen Sie dann vielleicht fest, dass die einzige Blockade zwischen Ihrer Einstellung und der Umsetzung bei Ihnen selbst liegt.
Chantal Fouquet
Fragen, Anregungen, Diskussionen? Schreiben Sie mir: raberalf@grueneliga.de
Weitere Informationen:
www.respect.at (Materialien – Wegweiser)
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www.berlingoesgreen.de