Grüner Wasserstoff

Aus DER RABE RALF Februar/März 2023, Seite 18/19

Gerechte Energiewende oder neokoloniale Scheinlösung?

Wo die Bedingungen für Solarenergie günstig sind, fehlt es oft an Wasser. (Foto: Antonio Garcia/​Unsplash)

Angesichts der Klimakrise ist die Umstellung auf erneuerbare Energien unverzichtbar. In diesem Zusammenhang ist der Aufbau einer „sauberen“ und „grünen“ Wasserstoffwirtschaft in Deutschland und der EU in aller Munde. Aber was soll dabei eigentlich genau passieren – und was bedeutet dieser Weg, den Deutschland einschlägt, für potenzielle Wasserstoff-Exportländer? Besteht die Gefahr, dass Muster der Enteignung und Ausbeutung aus dem fossilen Kapitalismus beibehalten und Ungerechtigkeiten wiederholt werden?

Sinnvoll, aber nicht überall

Wasserstoff ist keine Energiequelle, sondern ein Energieträger. Das heißt, in Form von Wasserstoff lässt sich Energie transportieren und speichern und dann als Gas („Power to Gas“) oder flüssiger Kohlenwasserstoff („Power to Liquid“) nutzen. Um Wasserstoff aus Wasser herzustellen, wird Energie für die Elektrolyse benötigt. Je nachdem, welche Energiequelle genutzt wird, wird der Wasserstoff mit unterschiedlichen Farben bezeichnet. „Grauer“ Wasserstoff, der heutzutage vorrangig produziert wird, wird meist aus Erdgas gewonnen. Dabei wird CO₂ freigesetzt.

Für die aktuelle Debatte ist vor allem „grüner“ Wasserstoff von Bedeutung. Dieser wird mit erneuerbaren Energien hergestellt. Grüner Wasserstoff soll dort zum Einsatz kommen, wo eine direkte Elektrifizierung nicht oder nur teilweise möglich ist. Das betrifft vor allem die Stahlherstellung und auch die chemische Industrie. Allerdings gibt es auch hier Möglichkeiten, den Wasserstoffbedarf enorm zu verringern – durch Kreislaufwirtschaft, einen reduzierten Energieverbrauch und alternative Technologien. Außerdem kann Wasserstoff für die langfristige Spei­cherung von Energie sinnvoll sein. Wasserstoff wird zwar auch zur Gebäude­heizung und als Treibstoff für Pkws diskutiert, jedoch ist das nicht sinnvoll, weil hier die direkte Nutzung von Strom wesentlich effizienter ist: Wasserstoffkessel zum Heizen brauchen zwei- bis dreimal mehr Energie als elektrische Wärmepumpen, und Pkws mit Wasserstoff als „E-Fuel“ haben einen fünfmal so hohen Energiebedarf wie Pkws mit Lithiumbatterien.

Wasserstoff soll vor allem Erdgas ersetzen. Das ist notwendig, da bei der Verbrennung von fossilem Erdgas CO₂ freigesetzt wird und der Hauptbestandteil von Erdgas, Methan, beim Entweichen bis zu 84-mal stärker auf das Klima wirkt als CO₂. Allerdings treten auch sechs bis 13 Prozent des Wasserstoffs im Prozess von Produktion, Transport und Speicherung ungenutzt aus. Dabei wirkt der Wasserstoff als Treibhausgas, und zwar elfmal stärker als CO₂. Insgesamt kommt es bei Wasserstoff zu Umwandlungsverlusten von 20 bis 40 Prozent der Energie. Das zeigt: Auch Wasserstoff ist kein komplett klimaneutrales Wundermittel, obwohl es gern so dargestellt wird.

„Weiter so“ mit Wasserstoff braucht enorme Energiemengen

Die deutsche Regierung hat 2020 eine „Nationale Wasserstoffstrategie“ vorgelegt, um eine „leistungsfähige Wasserstoffwirtschaft“ als Säule der Energiewende aufzubauen. Dies ist auch im Koalitionsvertrag der Ampel festgeschrieben. Ziele der Wasserstoffstrategie sind technologischer Fortschritt, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sowie Versorgungssicherheit für Deutschland. Die Regierung geht davon aus, dass diese Ziele Hand in Hand mit einer Dekarbonisierung gehen, die bis 2045 zur Klimaneutralität führen soll. Deutschland soll dabei eine Führungsrolle einnehmen.

Laut verschiedenen wissenschaftlichen Studien benötigt ein klimaneutrales Energiesystem pro Jahr 400 bis 900 Milliarden Kilowattstunden Wasserstoff und weitere gasförmige und flüssige synthetische Energieträger. Das macht ein Viertel bis die Hälfte des zukünftigen gesamten Endenergiebedarfs in Deutschland aus. Angenommen, dieser Bedarf soll nur mit Windkraft gedeckt werden, dann bräuchten wir schon 2030 allein für Wasserstoff achtmal so viele Windräder, wie heute insgesamt in Deutschland installiert sind. Ein so hoher Bedarf kann also nur in sehr geringem Maße im Inland gedeckt werden. Deshalb sind Importe von Wasserstoff in enormem Umfang geplant, und zwar aus Ländern mit „günstigen Produktionsbedingungen“, also mit viel Fläche für Solar- und Windenergie bei niedrigen Produktionskosten. Deutschland strebt „Wasserstoffkooperationen“ mit Ländern auf allen Kontinenten an. Besonders im Fokus stehen dabei (nord-)afrikanische Länder.

Deutschland strebt Wasserstoff-Kooperationen mit vielen Ländern an. (Grafik: PowerShift; Quelle: BMWK, Fortschrittsbericht 2022)

Wer wird womit versorgt? Für wen gibt es Sicherheit?

Dabei stellt sich die Frage, wer am Ende von den vielen „grünen“ Wasserstoffprojekten profitiert und wer nicht. Wasserstoff soll weiteres unbegrenztes Wirtschaftswachstum und Versorgungssicherheit für die deutsche Industrie ermöglichen. Bei der Wasserstoffstrategie geht es also nicht nur um Klimaschutz, sondern auch darum, Deutschland und seine Unternehmen als Global Player in einer grünen Hightech-Wirtschaft zu etablieren, wo sie mit anderen Mächten wie China konkurrieren. Nicht gefragt wird dabei, auf wessen Kosten Wachstum und Versorgungssicherheit in Deutschland bisher gehen – und ob das nicht schon lange im Zuge neokolonialer Ausbeutung geschieht.

Während der Kolonialzeit haben die europäischen Mächte durch Ausbeutung von Rohstoffen und der Arbeit versklavter Menschen ihr heutiges Wirtschaftssystem aufgebaut. Auch wenn der Kolonialismus heute offiziell beendet ist, setzt er sich in anderen Formen von Ausbeutung und Entmenschlichung fort – auf verschiedenen Ebenen, auch im wirtschaftlichen Bereich. Deutschland hat von seiner privilegierten Stellung ökonomisch profitiert und das heutige Energiesystem mit einem extrem hohen Verbrauch aufgebaut. Die Länder des globalen Südens wurden dabei in eine untergeordnete Position versetzt: einerseits als Lieferanten billiger natürlicher Ressourcen und als Reservoir billiger Arbeitskräfte, andererseits als Märkte für die industrialisierten und hochtechnisierten Volkswirtschaften des globalen Nordens. Auch die Klimakrise kann als Fortsetzung der seit 500 Jahren anhaltenden kolonialen Ausbeutung und Unterdrückung begriffen werden, denn es sind vorrangig ehemalige Kolonialmächte, die dafür verantwortlich sind, dass die Temperaturen weltweit so stark steigen.

Dasselbe in Grün?

Es besteht nun die Befürchtung, dass die „grüne“ Transformation der EU dieses ausbeuterische Wirtschaftssystem weiter vorantreibt. Zwar wird von fossilen Brennstoffen zu grüner Energie gewechselt, doch bleiben dabei die energieintensiven Produktions- und Konsummuster unangetastet – und ebenso die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, die Ungleichheit, Verarmung und Enteignung verursachen. Haben die „Partnerländer“ autokratische Regierungen, besteht die Gefahr, korrupte und undemokratische Strukturen zu unterstützen, sodass die lokale Bevölkerung nichts von den Gewinnen und versprochenen Vorteilen hat.

Aktuell lobbyiert hauptsächlich die Gasindustrie für den grünen Wasserstoff. Öl- und Gasriesen nutzen grüne Wasserstoffprojekte als Vorwand, um ihre Gasinfrastruktur entgegen den Tatsachen als „H₂-ready“ (Wasserstoff-geeignet) zu bewerben und so den Ausbau weiter vorantreiben zu können. In nordafrikanischen Ländern hat sich bereits gezeigt, dass hier die bekannten fossilen Unternehmen auftreten und die kolonialen und neokolonialen Wirtschaftsstrukturen weiter nutzen, um aus lokalen Ressourcen entsprechende Profite zu ziehen. Da europäische Konzerne eine viel stärkere Kapitalgrundlage haben, um solche Großprojekte umzusetzen, ist die Möglichkeit für kleinere lokale Unternehmen, daran beteiligt zu werden, gering. Eine selbstbestimmte wirtschaftliche Entwicklung vor Ort wird so behindert, wie schon in der fossilen Ära.

Wenn mehr Wasserstoff-Infrastruktur aufgebaut wird, als dann mit grünem Wasserstoff versorgt werden kann, besteht außerdem die Gefahr, dass der Mangel durch fossil produzierten Wasserstoff ausgeglichen wird. Das würde die Gasnachfrage weiter hochtreiben, statt in erneuerbare Energien zu investieren und den Bedarf zu reduzieren.

Herstellung benötigt sehr viel Wasser und Land

Außerdem kommt es zu einer sogenannten Externalisierung, einer Abwälzung negativer Folgen der Wasserstoffwirtschaft auf andere Regionen. Wassermangel, Flächenverbrauch, Verschmutzung oder Elektroschrott belasten dann nicht Deutschland und Europa, sondern werden in Regionen des globalen Südens ausgelagert, wie es heute schon in vielen Industriezweigen geschieht. Auch diese Auslagerungsprozesse sind mitunter Ergebnis des Kolonialismus. Ein zentraler Aspekt beim grünen Wasserstoff ist die Wasserknappheit, da die Wasserstoffproduktion sehr viel Wasser beansprucht. In trockenen Regionen (Nord-)Afrikas, wo oft günstige Bedingungen für Solar- und Windenergie bestehen, ist Wasser jedoch knapp – und wird durch die Klimakrise noch knapper. Meerwasserentsalzungsanlagen können dieses Problem entschärfen, aber auch sie brauchen viel Energie und ihre Restprodukte wie Salze und Chemikalien sind umweltbelastend, wenn sie wieder ins Meer gekippt werden. In trockenen Regionen kann das die Klimaungerechtigkeit verschärfen.

Für Energieexporte in Form von grünem Wasserstoff werden auch Flächen in großem Maße beansprucht. Dabei wird in vielen Fällen davon ausgegangen, dass „ungenutztes“ Land im Ausland – wie Wüstenfläche in Nordafrika – zur Wasserstoffproduktion für Deutschland genutzt und angeeignet werden kann. In Marokko gab es bereits 2017 Widerstand gegen ein Solarpark-Projekt auf indigenem Weideland, das offiziell als „ungenutzt“ deklariert war. Zu den Protestbewegungen gehören auch die Soulaliyate-Frauen, die vor 20 Jahren während einer Welle der Kommerzialisierung und Privatisierung kollektiver Ländereien entstand. Die heutige Landnahme unter dem Deckmantel einer vermeintlich grünen Agenda wird auch als „Green Grabbing“ bezeichnet. Dabei werden häufig indigene und lokale Landrechte ohne Zustimmung der Betroffenen verletzt. Muster der Rohstoffausbeutung und Aneignung von Gemeingütern setzen sich damit fort.

Selbstbestimmt oder unter Druck?

Deutschland und die EU treiben die Wasserstoffprojekte in den potenziellen Exportländern maßgeblich voran. Sie wollen einen globalen Markt für grünen Wasserstoff schaffen, um den eigenen Verbrauch zu decken. Die angestrebte „Führungsposition“ von Europa und Deutschland im globalen Wettbewerb soll nicht hinterfragt werden. Dabei besteht für die Exportländer die Gefahr finanzieller und technologischer Abhängigkeit von „Investitionen“ aus dem globalen Norden. Dies bedarf einer differenzierten Betrachtung von Land zu Land, jedoch besteht das Risiko, dass kosten- und kapitalintensive Projekte letztlich zu einer höheren Verschuldung führen, was die Abhängigkeit von multilateralen Krediten und westlicher Finanzhilfe verstärken kann. Da Deutschland als mächtige Wirtschaftsnation auf Kooperationen angewiesen ist, um seinen immens hohen Bedarf decken zu können, kann politischer und ökonomischer Druck auf diese Länder entstehen. Hier kommt es also darauf an, ob Wasserstoffprojekte selbstbestimmt umgesetzt werden.

Wie kann nun der Gefahr vorgebeugt werden, überkommene Ausbeutungsmuster auf die Wasserstoffwirtschaft zu übertragen? Wie lässt sich eine klimagerechte Wasserstoffwirtschaft erreichen? Entscheidend bleibt der vollständige Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, auch im Zusammenhang mit der Wasserstoffproduktion. Wasserstoff darf nicht dafür genutzt werden, beispielsweise Verbrennungsmotoren oder die Gasindustrie zu erhalten. Es wird auch nicht möglich sein, fossile Brennstoffe eins zu eins durch Wasserstoff zu ersetzen, weil dafür schlicht nicht genug grüner Wasserstoff produziert werden kann.

Wie viel Energie brauchen wir überhaupt?

Stattdessen muss der Schwerpunkt auf Reduktion liegen: Um den Energie- und Wasserstoffbedarf stark zu verringern, müssen wir fragen: Wie viel Energie brauchen wir? Wie viel Stahl(industrie) brauchen wir? Wie viel Flugverkehr brauchen wir? Welche gesellschaftlichen Bedürfnisse sind wichtig und wie können sie erfüllt werden? Dafür muss letztlich auch der wirtschaftliche Wachstumszwang hinterfragt werden, der dazu führt, dass Deutschlands Energie- und Ressourcenverbrauch weit über einem global fairen Anteil liegt.

Die Nationale Wasserstoffstrategie muss nachgeschärft werden, um sicherzustellen, dass grüner Wasserstoff ausschließlich dort eingesetzt wird, wo direkte Elektrifizierung nicht möglich ist. Letztlich muss auch dem stetig wachsenden Energiebedarf entgegengewirkt werden. Im Sinne globaler Klimagerechtigkeit sind unterschiedliche Verantwortlichkeiten und Voraussetzungen zwischen Nord und Süd und differenzierte lokale Bedingungen zu berücksichtigen. Die lokalen Bedürfnisse in Bezug auf Energieversorgung, Landnutzung, indigene Rechte sowie finanzielle Verteilung und Wertschöpfung müssen dabei oberste Priorität haben.

Liz Steinwandel

Weitere Informationen: www.knoe.org/wasserstoff-und-klimagerechtigkeit

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