UBA-Studie zur Obsoleszenz

Arbeit unvollständig, Fakten ignoriert, Neutralität fehlt

Das Öko-Institut e.V. und die Universität Bonn, Institut für Landtechnik legten am 15.Februar.2016 nach mehr als zwei Jahren ihre Studie vor. Auftraggeber ist das Umweltbundesamt (UBA). Das Umweltbundesamt fasst das Ergebnis der Studie wie folgt zusammen (Hervorhebung in fett durch den Autor):

UBA-Präsidentin Maria Krautzberger: „Viele Geräte haben eine zu kurze Lebensdauer. Aus ökologischer Sicht ist das nicht akzeptabel. Die Herstellung der Produkte verbraucht wertvolle Ressourcen; Schadstoffe und Treibhausgase belasten Umwelt und Klima. Wir müssen über Mindestanforderungen an Produktlebensdauer und Qualität nachdenken – eine Art Mindesthaltbarkeit für Elektro- und Elektronikgeräte. Gleichzeitig werden viele Geräte ersetzt, obwohl sie noch gut funktionieren. Es ist daher genauso wichtig, dass Verbraucherinnen und Verbraucher Produkte länger nutzen.“

Für die Erstellung brauchten die Auftragnehmer mit fast drei Jahren fast die doppelte Zeit. Die Erwartungen an das Ergebnis sind damit groß. Insbesondere erwartet die Öffentlichkeit klare und rasch umsetzbare Lösungsansätze zu der bereits in der gesamten EU diskutierten geplanten Obsoleszenz.

Das Problem der großen Schadfolgen durch geplante Obsoleszenz und der Handlungsdruck sind auf europäischer Ebene präsent und durch eine Vielzahl von Aktivitäten dokumentiert. Vor und während des Untersuchungszeitraums der Studie kam es bereits zu einer breiten Diskussion auf allen Ebenen der Gesellschaft und zu zahlreichen Fachveröffentlichungen. Die EU-Kommission fordert Maßnahmen gegen geplante Obsoleszenz, Frankreich führt Gesetze gegen die kurzlebigen Produkte ein, die Verbraucherministerkonferenz der Bundesländer fordert bundesweite Maßnahmen dagegen. Eine überzeugende Gemeinschaft von Verbraucherschutzorganisationen, Hochschulen, Forschungsorganisationen, Gewerkschaften, Natur- und Umweltschutzverbänden und weiterer NGOs auf deutscher und europäischer Ebene macht sich stark für eine rasche Umsetzung von zielführenden Programmen und Maßnahmenpaketen für mehr Haltbarkeit und gegen geplante Obsoleszenz. Man darf also davon ausgehen, dass die nun vorgelegte Studie darauf Bezug nimmt und zu neuen oder weiterführenden Erkenntnissen und rasch umsetzbaren Lösungsvorschlägen kommt.

Arbeit unvollständig

Die Studie verschweigt jedoch mehr, als sie schreibt. Sie liefert keine neuen Erkenntnisse. Die Studie ignoriert stattdessen Bestätigungen und Belege der geplanten Obsoleszenz. Aus dem bereits vorliegenden faktenreichen Material der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte in ganz Europa werden nur die der eigenen Argumentation dienenden Inhalte entnommen. Mit rhetorischen Tricks, eigenwilligen Reduzierungen und geneigten Interpretationen versucht man die klare Sicht der Öffentlichkeit zu vernebeln.

Besonders auffällig: Die Studie benennt Formen der geplanten Obsoleszenz (werkstoffliche, funktionelle, psychologische und ökonomische Obsoleszenz), belegt diese mit konkreten Fakten und bestätigt so geplante Obsoleszenz in ihren unterschiedlichen Ausprägungen. Abweichend von den selbst zitierten Quellen reduziert man jedoch den Oberbegriff der „geplanten Obsoleszenz“ durch eigene Neudefinition auf die arglistige Variante, wobei man selbst eine solche Reduzierung der öffentlichen Debatte und medialen Darstellung vorwirft. Die Studie versucht die Hersteller als „unschuldige“ Lieferanten zu entlasten, die lediglich Konsummustern folgen würden. Damit vertauscht sie wissentlich Ursache und Wirkung. Das sich Arglist selbst nur vor einem strafrechtlichen Gericht seriös beweisen lässt, ignorieren die Studienbetreiber dabei völlig.

Die Studie bezweifelt mit ihren Aussagen indirekt die Berechtigung und Sinnhaftigkeit bereits erfolgten Regierungshandelns in Europa (zum Beispiel EU-Kommission, Europäischer Wirtschafts-und Sozial Ausschuss, Frankreich, Verbraucherministerkonferenz) und ignoriert die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Prüfungen. Der Auftrag selbst wurde unvollständig bearbeitet und die Auftragszeit erheblich überzogen. Wesentliche Teile wurden daher im Studienverlauf vom Auftraggeber auf andere Studien ausgelagert. Der komplexen Aufgabe ist man nicht Herr geworden. Die für eine wissenschaftliche Forschungsarbeit gebotene Neutralität und Ausgewogenheit ist nicht gegeben.

Hersteller als Opfer der Öffentlichkeit?

Das Papier liest sich insgesamt eher wie eine Verteidigung für die Position der Hersteller in Reaktion auf die seitens der Studie kritisierte öffentliche und mediale Debatte. Den Kernaussagen der Studie wird dabei eine umfassende Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zugrunde gelegt, die sich nicht mit notwendigen Fragen zur Produktentwicklung und den betrieblichen Gründen für reduzierte Haltbarkeit befasst hat, sondern im Auftrag eines führenden Herstellerverbandes das Verhalten von Verbrauchern untersucht hat. Zur Herkunft des umfangreichen Datenmaterials führen die Studienbetreiber aus:

„Die Verbraucherbefragung der GfK im Jahr 2013 erfolgte im Auftrag des Zentralverbandes der Elektro- und Elektronikindustrie (ZVEI). Die GfK-Daten durften freundlicherweise im Rahmen der vorliegenden Studie verwendet und publiziert werden.“ (auf Seite 88 in Fußnote 21)

Da diese GfK-Daten oder die Erhebung eigener Daten damit nicht vom Forschungsbudget bezahlt werden mussten, entspricht dies der Entgegennahme eines geldwerten Vorteils in Höhe von circa 25.000 Euro der Auftragnehmer von einem führenden Herstellerverband, dessen Mitgliedsunternehmen zum zentralen Untersuchungsfeld der Studie gehören. Im Rahmen von, mit öffentlichen Geldern, finanzierten Forschungsaufträgen dürfte dies ein sehr ungewöhnliches Vorgehen sein. Das man dann noch mit dem ZVEI und der GfK im selben Gebäude seinen Sitz hat, gibt dem Gesamteindruck eine eigene Note.

Komplizierte Lösungen schützen Hersteller

Warum Frau Krautzberger über Mindestanforderungen an Produktlebensdauer und Qualität nur nachdenken will, ist unklar, da man ja eine Studie mit der Entwicklung von Strategien und Handlungsvorschlägen beauftragt hatte. Der Vorschlag der „Einführung einer Mindesthaltbarkeitsdauer“ ist einer der kompliziertesten Lösungswege mit dem höchsten Zeitbedarf zu dessen Umsetzung. Dies käme dem Verschieben einer Lösung auf die „lange Bank“ gleich. Die dafür geforderte langwierige Entwicklung von Messnormen und Standards für Bauteile und Geräte ist eine typische Auftragsarbeit von Forschungsinstituten wie dem Öko-Institut, das bereits im Bereich der Öko-Design-Richtlinie und dem Blauen Engel tätig geworden ist.

Interaktive Mängelliste online

Eine Studie, die zu ihrer Erstellung mehr als zwei Jahre benötigte, kann nicht in einer Woche umfänglich geprüft und bewertet werden. Das erste Studium zeigt bereits erhebliche Kritikpunkte.

So führen die Studienbetreiber beispielsweise aus, Elektrolytkondensatoren (ELKOs) müssten als Kompromiss an technische Anforderungen in der Nähe von Hitze positioniert werden, da dies die Platinenarchitektur mit Prozessorbestückung erforderlich mache. Dies alleine ist technisch nicht korrekt. Außerdem finden sich ELKOs auch in zahllosen Produkten ohne Prozessornähe (zum Beispiel Kaffeemaschinen, Netzteile, Computerbildschirme) fehlplatziert in der Nähe von Hitzequellen (zum Beispiel Spannungsreglerplatine in Computerbildschirm).

Doch die Mängel der UBA-Studie sind umfangreich. Bereits jetzt findet eine kritische Debatte zu dieser Studie in der breiten (Fach)Öffentlichkeit statt. Die aktuelle bereits umfangreiche Mängelliste wird online publiziert und laufend erweitert. Wir geben damit der (Fach)Öffentlichkeit eine Möglichkeit, sich an der kritischen Bearbeitung der Studie über die Kommentarfunktion mit zu beteiligen.

Es geht auch anders

Bei der Frage der geplanten Obsoleszenz geht es um Produktverantwortung und Entscheidungen auf der betrieblichen Ebene. Bereits in der Ideenphase muss der Haltbarkeit eine zentrale Bedeutung beigemessen werden. Hier geht es um differenzierte Haltbarkeit, Modularität, Kreislaufführung und Möglichkeiten der freien Wartbarkeit und unkomplizierten Reparierbarkeit, die in ihrer Umsetzung durch den Kunden selbst verantwortet und entschieden werden können. Kennzeichnungspflichten sind ebenso wichtig, um den Kunden vor Kauf auf Produkteigenschaften und Nutzungseinschränkungen hinzuweisen, die ihn vom Kauf abhalten würden. Zielführender und rascher umsetzbar ist beispielsweise die Einführung einer transparenten Kennzeichnungspflicht für die der Produktentwicklung bereits zugrunde liegende geplante Gebrauchsdauer. Solche und weitere bereits in der Fachliteratur vorgeschlagene leichter umsetzbarere Handlungsansätze lässt die Studie jedoch außer Betracht.

Damit die kaufende Gesellschaft Produkte länger nutzen kann, müssen unverzüglich auf Seiten der Politik, der Hersteller, des Handels und der Reparaturwirtschaft die erforderlichen Maßnahmen nach deren Dringlichkeit umgesetzt werden. Der Respekt vor der Natur, die dringend gebotene Ressourcenwende, der Klimawandel, die volkswirtschaftlichen Interessen der werdenden Kreislaufgesellschaft und der nachfolgenden Generationen sind eindrückliche Herausforderungen, die entschlossenes und zielführendes Handeln für mehr Haltbarkeit fordern.

Stefan Schridde, MURKS? NEIN DANKE! e.V.

Weitere Informationen:

www.murks-nein-danke.de/verein

Download UBA-Studie: bit.ly/1Tqlwvm

Mängelliste zur UBA-Studie bit.ly/24OVmX3


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