Aus DER RABE RALF Februar/März 2002
Arbeitslosigkeit und Haushaltsparzelle
Angesichts der Lage im postsozialistischen ländlichen Raum ist die vielleicht bedeutungsvollste neue Entwicklung die Kombination von Arbeitslosigkeit mit Kleinlandwirtschaft, obwohl diese Kombination nur möglich ist, wenn mindestens ein Haushaltsmitglied Arbeitslosenunterstützung bezieht. Ein Beispiel ist ein Paar mittleren Alters im Dorf T. in Bulgarien. Beide waren Opfer der Schließung der örtlichen Geflügelverarbeitungsfabrik, aber blicken bemerkenswert unbekümmert in die Zukunft. Ihre Arbeitslosenunterstützung war genauso hoch wie der Mindestlohn und wurde neun Monate gezahlt. Bargeld brauchen sie nur, um Brot, Salz, Kleidung, Schuhe, Verkehrsmittel und Kohlen zu bezahlen. Ihre kleine Parzelle liefert Nahrung für die meiste Zeit des Jahres als auch zusätzliches Einkommen. Das, was sie auf dem Großhandelsmarkt verkaufen, liefert das Geld für Brot. Sie erhalten Futter für ihr Vieh aus der Agrarkooperative, in der sie fünf Hektar Land gelassen haben.
Wenn Haushaltsparzellen auch das Überleben sichern können, für ein angemessenes Einkommen können sie nicht sorgen, insbesondere da nicht, wo die Bodenqualität nicht gut ist. Im bulgarischen Dorf H., in den Bergen an der griechischen Grenze gelegen, berichtet der Bürgermeister, er verfolge die Strategie, wo immer möglich für mindestens ein Familienmitglied Beschäftigung zu besorgen, damit keine Familie von der Landwirtschaft alleine leben müßte. In zwei nahegelegenen Dörfern höher in den Bergen sind praktisch alle Einwohner zur Selbstversorgungslandwirtschaft auf den etwa ein Hektar großen Parzellen zurückgekehrt, auf denen sie mit Hilfe von Zugtieren eine kümmerliche Existenz aus dem Boden kratzen, der für Traktoren ungeeignet ist.
Die vielleicht größten Verlierer in der postsozialistischen Transformation überall in der Region, aber mit Sicherheit in Ostmitteleuropa, sind die polnischen Landarbeiter der Staatsbetriebe. Zum größten Teil waren sie in häßlichen Nachkriegswohnblocks untergebracht, besaßen private Parzellen, die kaum größer als Küchengärten waren, und hatten keinerlei Tradition selbständiger Landbewirtschaftung. So hatten sie wenig, auf das sie zurückgreifen konnten, als die Privatisierung die meisten von ihnen arbeitslos machte.
Arbeitslosenunterstützung und “Landwirtschaft”
Diese Kombination unterscheidet sich von der vorherigen in Grad und Absicht der landwirtschaftlichen Aktivität. Familien mit dieser Kombination operieren in der Regel in einem etwas größeren Stil und empfinden ihren Einstieg in die Landwirtschaft als eine Antwort auf ihre Arbeitslosigkeit. Ein Beispiel ist Herr D. und seine Familie, die in einem Dorf in Westungarn nicht weit vom Nordufer des Plattensees leben. Er war Lastkraftfahrer in der LPG und wurde wegrationalisiert, als die Genossenschaft umgewandelt wurde. Im ersten Jahr wurden er und seine Kollegen nur für die Wintermonate entlassen und im folgenden Frühjahr wieder eingestellt, eine Strategie, die überall in Mitteleuropa und dem Balkan sehr verbreitet ist. Im zweiten Jahr wurden sie wieder entlassen mit dem stillschweigenden Übereinkommen, daß sie im folgenden Frühjahr wieder eingestellt würden. Aber die Nachfolgegesellschaft der Genossenschaft “vergaß”, sie wieder einzustellen. Herr D. verwendete die Genossenschaftsanteile, die ihm im Umwandlungsprozeß der Kooperative zugeteilt wurden, um einen Traktor zu kaufen, und er begann allein Landwirtschaft zu betreiben. Aber weil die Vorstellung von privater Landwirtschaft kein lebenslanger Traum gewesen war, sondern etwas, das die Arbeitslosigkeit ihm aufzwang, war er zu langsam, um Land oder Maschinen billig aus der LPG-Umwandlung heranzuziehen. Er meint, daß es ihm jetzt schlechter geht, verglichen sowohl mit den sozialistischen Jahren als auch der Zeit vor der Kollektivierung. Und obwohl er 30 Hektar Land bekam und erwartet, daß ihm noch etwas mehr zugeteilt wird, meint er, daß es nicht reiche, eine Familie und Haushalt zu unterhalten. Das Überleben hängt ab vom kleinen, aber regelmäßigen Einkommen seiner Frau. Andererseits will er das Land bebauen und ist stolz, einer der drei oder vier Dorfbewohner zu sein, die tatsächlich ihr Land bebauen. Er ist überzeugt, daß er mehr verdient, wenn er die Felder selbst bewirtschaftet als wenn er sie an die Nachfolgegesellschaft verpachtet, so wie die meisten Dorfbewohner es tun.
Erwerbstätigkeit (oft neue Arbeit) und Haushaltsparzelle
Eine Variante ist die Kombination von Kleinlandwirtschaft mit Erwerbstätigkeit, die oft eine neue Form der Erwerbstätigkeit vor dem Hintergrund sich verändernder ökonomischer und politischer Umstände ist. Eine Arbeit zu haben bedeutet mehr als einfach nur Einkommen zu erwirtschaften: Sie liefert künftig eine Rente. Wie der stellvertretende Bürgermeister vom Dorf L. in Westrumänien nahe der ungarischen Grenze sagt: “Die Leute können vom Fabriklohn nicht leben. Wenn sie kein Land haben, sind sie tot. Aber sie geben ihre Fabrikstellen für das Land nicht auf, weil jeder eine Rente bekommen will. Man muß zwei Schichten arbeiten, um zu leben.” Dies ist eine derart übliche Lebensstrategie, daß es vielleicht die unsichtbarste von allen ist.
Ein Beispiel ist der frühere Bürgermeister vom Dorf A. im Nordosten Bulgariens. Bis 1979 hatte er als Buchhalter für die örtliche Genossenschaft gearbeitet, danach war er erst Bürgermeister im Nachbardorf, dann in A. und ab 1985 arbeitete er in den Lichttechnik-Werken im Dorf. Seine Frau bezieht eine Invalidenrente. 1991 wurde er Hausmeister in der lokalen Schule und Teilzeitlandwirt. Von der Genossenschaft übernahm er nur einen Hektar des ihm zustehenden Landes, weil er niemanden hat, der ihm bei der Bewirtschaftung hilft. Obwohl er bis dahin ausschließlich als Angestellter gearbeitet hatte, hatte er immer ein bißchen Land zur Bewirtschaftung gehabt, einschließlich seiner Zeit als Bürgermeister. Weil er die Landwirtschaft niemals aufgegeben hatte, fühlt er sich heute nicht unwohl dabei, so von ihr abhängig zu sein.
Erwerbstätigkeit und “Landwirtschaft”
Wie im Falle der Kombinationen mit Arbeitslosigkeit unterscheidet sich diese Kategorie nur im Ausmaß von der vorherigen: Es gibt ein größeres Engagement in der Landwirtschaft als Quelle der Einkommenserwirtschaftung statt zur Erfüllung der Grundbedürfnisse. Der stellvertretende Bürgermeister vom Dorf L. in Westrumänien ist ein gutes Beispiel. Er hat eine Arbeit als Verwalter der Schule, in der seine Frau Sekretärin ist. Aber er betreibt auch in beachtlichem Ausmaß Landwirtschaft und war – nach seiner Ansicht – mutig genug, einen Kredit aufzunehmen und zwei Traktoren zu kaufen. Da er als Kind echte Armut kennengelernt hatte, arbeitet er bereitwillig seine “zwei Schichten”, um für sich und seine Familie ein Auskommen zu haben. Aber er bezweifelt, daß die jüngere Generation derartige Verpflichtungen noch einzugehen bereit ist.
Ganz ähnlich der Bürgermeister desselben Dorfes: Er arbeitet im Handel und besitzt eine Kneipe, zusätzlich zu den 37 Hektar Land, das ihm als Kind einer reichen Bauernfamilie von der Genossenschaft zurückgegeben wurde. Seine nicht-landwirtschaftlichen Aktivitäten liefern ihm das Kapital, das notwendig ist, um landwirtschaftliche Maschinerie zu kaufen.
Im Dorf Ch. in der Nähe von Klausenburg ist es der örtliche Polizist, der gleichzeitig lokaler Würdenträger und ein bedeutender Bauer ist, wobei in diesem Fall eher das Vieh als der Landbesitz Reichtum definiert: Der Polizist mästet 30 Schweine. Andere bedeutende Viehhalter im gleichen Dorf sind M.T., der zehn Milchkühe hält, und ein junger Mann, der in Klausenburg als Fahrer lebt und arbeitet, aber in einem früheren Genossenschaftsgebäude, das er vom Gemeinderat gemietet hat, 70 Schweine hält. Er zieht außerdem hunderte von Schafen auf. Alle der bedeutsamsten Landwirte in diesem Dorf haben auch nicht-landwirtschaftliche Beschäftigung.
Rente und Haushaltsparzelle
Die Kombination einer Rente mit Landwirtschaft unterscheidet sich wenig von der ersten Kombination mit Arbeitslosenunterstützung, außer in bezug auf das Alter der Beteiligten. Im Dorf K. im östlichen Ungarn, zum Beispiel stützt sich eine verdächtig große Zahl der Einwohner seit dem “Systemwechsel” auf Invalidenrente. Sie kalkulieren, daß solche Renten langfristige Sicherheit garantierten, auch wenn sie unter der Arbeitslosenunterstützung liegen.
Die Beziehung zu jüngeren Familienmitgliedern funktioniert in zwei Richtungen. Manchmal, wie im Falle eines Rentnerehepaars im ungarischen Dorf T. im Weinanbaugebiet Tokaji, unterstützen die Rentner die jüngeren Familienmitglieder. Sie schaffen dies durch ein außergewöhnlich bescheidenes Leben. Nahrung ist in den Dörfern billiger als in Budapest, und sie kaufen nur eine sehr beschränkte Anzahl von Dingen regelmäßig im Laden: Brot, Kräuter und Gewürze, Öl zum Kochen, Zucker, Mehl, Streichhölzer usw. Sie brauchen kaum Öl, weil sie zweimal im Jahr ein Schwein schlachten und meistens Schweinefett zum Kochen verwenden. Außerdem kaufen sie gelegentlich Butter, Quark und sauren Rahm. Fast alle anderen Nahrungsmittel kommen von ihrer Parzelle: Fleisch (zusätzlich zu den Schweinen halten sie 80-100 Hühner, deren Eier sie regelmäßig verkaufen), Kartoffeln, Kohl, Bohnen, Erbsen, Kopfsalat, Mohrrüben, Paprika, Gurken (einige werden frisch gegessen, der Rest wird für den Winter konserviert) und alle Sorten Obst (ein bißchen zu Konserven, der Rest zu Sirup verarbeitet). Kleidung und Metallwaren kommen vom sogenannten Polenmarkt, Küchenschränke, Sessel und einen Gaskocher wurden von einer bankrott gegangenen Agrargenossenschaft erstanden. In der ersten Hälfte der Heizperiode kann der Boiler, der sowohl Wärme als auch heißes Wasser liefert, mit Maiskolbenspindeln und Weinreben befeuert werden. Die Gemeinschaftseinkünfte aus ihren Renten betragen weniger als 40.000 Forint (1999: 205 Euro) pro Monat, aber sie geben selten mehr als 25.000 Forint pro Monat aus, so daß sie ihre Tochter finanziell bei größeren Käufen unterstützen können.
Wenn Rentner kein Geld für Kinder und Enkel haben, liefern sie oft Naturaleinkommen und ein Wochenendrefugium. Dies kann anhand eines Beispiels im äußersten Osten der Slowakei nahe der ukrainischen Grenze erläutert werden, wo der Vater, der sich in den 1950ern wegen nur sechs Hektar Land als ein “Kulak” hatte beschimpfen lassen müssen, nach der LPG-Umwandlung einen halben Hektar zurücknahm, um Lebensmittel für seine Familie anzubauen. Seine Tochter lebt in der nahe gelegenen Stadt, verbringt jedoch die meisten Wochenenden und Feiertage im Dorf und kehrt zum Wochenbeginn mit Vorräten beladen in ihre kleine Stadtwohnung zurück.
In anderen Fällen, wie im rumänischen Dorf Ch., helfen jüngere Familienmitglieder den Alten. K.I. ist ein 75 Jahre alter Witwer, dessen Tischlerbetrieb in den 1960ern von der Genossenschaft übernommen wurde. Er erhält eine winzige Rente von der Genossenschaft und hat seine Tischlerei wieder aufgebaut. Außerdem besitzt er Land, aber zur Bewirtschaftung muß er sich auf die Hilfe seiner Tochter und seines Schwiegersohns stützen. Das jüngere Paar verfügt über eigenes Land, und die zwei Parzellen werden zusammen bewirtschaftet.
Natürlich können Renten auch mit anderen Aktivitäten als Landwirtschaft kombiniert werden. Im Dorf P. nahe Brasov in Rumänien ist D.D.C. ein extremes Beispiel eines mehrfachbeschäftigten Rentners. Als er sein Land zurückbekam, war er schon Rentner. Mit 70 Jahren kaufte er einen alten Traktor, reparierte ihn und machte den Traktorführerschein. Er bebaut etwa einen Hektar mit Kartoffeln und Rüben. Er hält zwei Pferde, die er an einen der lokalen Betriebe vermietet, zwei Kühe und mästet Schweine. Außerdem benutzt er seinen Traktor, um für andere zu arbeiten, hauptsächlich als Gegenleistung für manuelle Arbeit auf seinem Hof. Zudem besitzt er seine eigene Ausrüstung zur Wurstherstellung und arbeitet im Winter als Fleischer. Nach Auftrag baut er kleine Wagen und Karren, und hilft anderen im weiteren Familienverband.
Rente und “Landwirtschaft”
Dieselben Unterscheidungen in Ausmaß und Absichten zwischen Kleinlandwirtschaft und “Landwirtschaft” können im Falle von Rentnern getroffen werden. Im bulgarischen Dorf B. nahe Plovdiv verließen R.A., ein Traktorfahrer im Ruhestand mit der Höchstrente, und seine Frau 1994 die Genossenschaft und beschlossen, mit 1,3 Hektar (einschließlich 0,5 Hektar Kirschgarten, 0,2 Hektar Weinberge und 0,2 Hektar Mais ) privat Landwirtschaft zu betreiben, statt ihr Land in der Genossenschaft zu lassen. Der Sohn betreibt eine Werkstatt, die von der Versicherung abgeschriebene Autos repariert, und lebt wie die Tochter anderswo. Zwei der Enkel arbeiten auf dem Bauernhof und beabsichtigen, dort ein Haus zu bauen und den Hof zu übernehmen.
M.V. und seine Frau, beide Senioren im Dorf Ch. in Rumänien, sind ebenfalls Beispiele für Rentner, die mit privater Erwerbslandwirtschaft statt Zubrotlandwirtschaft begonnen haben. Er war Briefträger in Klausenburg, sie in der Genossenschaft. Sie bewirtschaften zehn Hektar und besitzen zehn Kühe, Pferde, Schweine sowie verschiedene Landmaschinen einschließlich eines Traktors. Sie liefern Milch an die lokale Molkerei, produzieren Getreide für die Staatseinkaufsgesellschaft auf Basis eines jährlichen Vertrags und werden im Ort für “gute Landwirte” gehalten.
Der Fall der F.A., einer Rentnerin aus Ch. erläutert, warum das Wort “Landwirt” in Anführungszeichen steht. Sie hat sieben Hektar Land, drei Kühe und vier Schweine, einen Traktor, einen Pflug und alle nötigen Geräte, die eine Größenordnung von Landwirtschaft andeuten, die über der für den Eigenbedarf liegt. Dennoch produziert sie – mit der Hilfe ihrer beiden Kinder, die im nahegelegenen Klausenburg wohnen – nur für ihren Eigenbedarf und den ihrer Verwandten in der Stadt. Ihre Kinder besuchen sie jedes Wochenende und in der Sommerzeit helfen sie ihr auf dem Bauernhof.
Im rumänischen Dorf L. nahe der ungarischen Grenze haben Familienmitglieder begonnen, S.M. ganztags zu helfen. S.M. ist eine Rentnerin aus einer verhältnismäßig reichen Bauernfamilie, die 1952 in das Dorf einheiratete. Die Familie hatte bereits 1983 mit intensivem Gemüsebau in Gewächshäusern begonnen, so daß private Landwirtschaft in den 1990ern für sie nichts neues war. Zusätzlich zu S.M.s Rente erwirtschaftet der weitere Familienkreis aus insgesamt zehn Personen Einkommen in einem Blumengeschäft sowie in der Landwirtschaft. Sie haben zehn Hektar Land, drei Kühe, vier Färsen, ein Pferd, 19 Schweine, Gänse und Hühner, an Maschinen einen Traktor, eine Kreiselegge, eine Sämaschine und einen Kombiernter, alle bei einer Auktion vor Ort von einer Maschinen- und Traktorenstation gekauft. Die Arbeit auf dem Hof nimmt die gesamte Zeit der Familie in Anspruch, und während der Arbeitsspitzen müssen sie für vier oder fünf Tage Tagelöhner einstellen. Ihre Söhne gaben vor kurzem ihre Arbeit in der Fabrik auf, um ganztags auf dem Hof zu arbeiten. Sie lernten die Benutzung der landwirtschaftlichen Maschinen, so daß sie nicht mehr auf die Dienste eines Lohnunternehmers angewiesen sind.
Schließlich trifft man auch auf “Nostalgiebauern”, deren primäre Motivation “Sentimentalität” ist, meistens ein Pflichtgefühl, das Unrecht, das ihren Eltern während der Kollektivierung widerfuhr, zu korrigieren. So zum Beispiel ein Rentner im Dorf B. im Zentrum der Slowakei, der jahrelang (über seine Entschädigungsklage war im Frühjahr 1997 immer noch nicht vollständig entschieden) um die Rückgabe des Bodens seiner Familie kämpfte, der nach der Verhaftung seines Vaters 1950 konfisziert worden war, nachdem er Kritik an der Idee der Kollektivierung geübt hatte. Der Rentner bewirtschaftet 34 Hektar, von denen nur zwölf Hektar ihm selbst gehören und nur fünf Hektar für Ackerbau geeignet sind. Vieh ist in dieser Gegend wichtiger. Er hält zwölf Kühe und 27 Schafe. Obwohl er zuversichtlich ist, daß er kurzfristig davon leben kann, stimmen ihn die langfristigen Aussichten pessimistisch, und seine Kinder und Enkel haben nur wenig Interesse an dem Hof.
Im ungarischen Dorf N. nahe des Nordufers des Plattensees nahm ein Rentnerehepaar aus ähnlichen Gründen die Landwirtschaft auf, obwohl weder Mann noch Frau während der sozialistischen Jahre Landwirtschaft betrieben hatten (von der Bewirtschaftung ihres eigenen Küchengartens abgesehen). Der Anstoß zu dieser radikalen Veränderung kam von der Frau, die aus einer “Kulaken”-Familie stammte und der aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit der Zugang zu höherer Bildung verwehrt worden war. Sie hatte niemals die Ungerechtigkeiten vergessen, die ihre Eltern erlitten hatten. Das Paar erhielt etwa 20 Hektar Land in der Rückgabe und begann, Landwirtschaft zu betreiben. Aber sie finden es schwer, in einem Preisklima zu überleben, das eine bei weitem effizientere Produktion voraussetzt, als sie möglicherweise erreichen können. Sie bedauern den Familienentschluß in den 1970ern, das alte Haus der Familie mit zahlreichen Nebengebäuden zu verkaufen und ein neues, modernes Haus ohne Nebengebäude zu bauen. Das bedeutet, sie können – wie so viele neue Bauern – Ackerbau nicht mit Viehhaltung kombinieren. Deshalb glauben sie, daß “niemand Landwirtschaft betreibt, ohne noch anderswo zu arbeiten. Wir können uns das nur trauen, weil wir Rentner sind. Wir würden es nicht wagen, wenn wir nur die Landwirtschaft zum Leben hätten”.
Nigel Swain
Text nach: Elisabeth Meyer-Renschhausen, Anne Holl (Hrsg.), Die Wiederkehr der Gärten – Kleinlandwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung, Innsbruck 2000. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Studien Verlags Innsbruck. Übersetzung: A. Holl, P. Hill, E. Meyer-Renschhausen.