Berliner Weltladenszene in Bewegung

Aus DER RABE RALF März 1997

Friedrichshain
“La Tienda”, der Allerweltsladen der Gesellschaft für solidarische Entwicklungszusammenarbeit (GSE) in der Gubener Straße 20 wird im ersten Halbjahr 1997 umziehen. Wunsch des Teams ist es, in ein gemeinsames Haus mit den Nichtregierungsorganisationen zu ziehen, die in diesem Jahr aus dem Missionshaus in der Georgenkirchstraße ausziehen werden, unter anderen auch das INKOTA-Netzwerk. Bis dahin wird es aber weiterhin Waren aus fairem Handel im Allerweltsladen geben, der allerdings nur noch durch den Hausflur erreichbar ist. Die Wochenend-Verkaufsstände im FEZ in der Wuhlheide werden 1997 bleiben, und mit “La Tienda mobil” werden wir auch in dieser Saison die AktivistInnen auf verschiedenen Festen, Märkten und anderen Veranstaltungen treffen.

Steglitz
Die britische Alternativhandelsorganisation Oxfam (Oxford Committee for Famine Relief) eröffnete in der Rheinstraße 22 einen Laden. Die Organisation war 1942 von vier Aktivisten gegründet worden, um der leidenden Zivilbevölkerung in dem von Deutschland besetzten Griechenland zu helfen. Nach Kriegsende leistete Oxfam humanitäre Hilfe auch in Deutschland. Der heutige Schwerpunkt innerhalb der Armutsbekämpfung ist die Hilfe bei Katastrophen. Dafür werden 50% der Mittel verwendet. 1992 wurde Oxfam für den Nobelpreis nominiert. 1995 stellte die Organisation nach eigenen Angaben sauberes Trinkwasser für 1,8 Millionen Flüchtlinge in Ruanda zur Verfügung.

In den Oxfam-Shops werden gespendete, gut erhaltene Gebrauchtwaren wie Kleidung, Bücher, CDs, Krimskrams von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern verkauft. Der Erlös fließt in Projekte zur Armutsbekämpfung, z.B. nach Bangladesh, Ruanda oder Zaire. Hier kann jeder guten Gewissens alte Kleidungsstücke abgegeben und ist nicht mehr auf zweifelhafte Container angewiesen. Die Geschäftsleitung des Shops in Steglitz hat der ehemalige Geschäftsführer der GSE, Dr. Jörn Kalinski.

Stefan Schrom

 

Zukunft teilen – gerechter handeln

Fairer Handel als Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung

Im Juli 1996 kamen trafen sich fast 250 Teilnehmer von Weltläden, alternativen Importorganisationen, Produzentengruppen, NGOs und politischen Einrichtungen in Köln. Auf dem Kongreß gelang es, Themen, die sonst eher abgehoben diskutiert werden – z.B. über Sozialstandards, die Auswirkungen der Welthandelsorganisation WTO und Fragen des Verbraucherschutzes – unter breiter Beteiligung der Aktiven zu behandeln. Darüber hinaus wurden konkrete Forderungen aufgestellt,  die einen Beitrag dazu leisten wollen, daß sich der internationale Handel in den Dienst einer nachhaltigen Entwicklung stellt:

  • Bevorzugung nachweislich umwelt- und sozialverträglich produzierter bzw. fair gehandelter Produkte bei EU-Zöllen und Kontigenten.
  • Veränderte Ausschreibungsbedingungen für öffentliche Haushalte, um neben dem Preis- und Gebrauchswert der zu beziehenden Produkte auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigen zu können.

Durch Lobbyarbeit müssen die Handelsbeziehungen der (Klein-)Produzenten und vergleichbarer Gruppen in den Ländern des Südens verbessert werden. Unter anderem wurden folgende Maßnahmen diskutiert:

  • Abbau von Zöllen für Dritte-Welt- Importe, besonders wenn sie nach den Verarbeitungsgrad gestaffelt sind.
  • Als ”letztes Mittel” unter streng zu definierenden Umständen Sozialklauseln im Rahmen von internationalen Handelsverträgen.
  • Festlegung von Produktionsstandards im Rahmen der EU-Harmonisierung, die nicht auf Kosten der Produzenten in der Dritten Welt gehen.
  • Schutz geistigen Eigentums auch in Gegenrichtung (z.B. Musterschutz für Designs von Kunst- HandwerkerInnen in der Dritten Welt).

Transfair: ein starkes Bündnis

Entgegen den politischen Entscheidungen, die weltweit auch 1996 nicht zu Gunsten der Kleinbauern ausfielen, sind immer mehr Verbraucher in der Bundesrepublik bereit, sich durch ihre Kaufentscheidung für sozialverträglichen Handel einzusetzen. So erzielen fair gehandelte Waren heute europaweit bereits mehr als 220 Millionen DM Umsatz. Entsprechend konnte auch Transfair, derzeit von 36 Organisationen aus den Bereichen Kirche, Entwicklungspolitik, Frauenarbeit, Jugend und Verbraucherschutz getragen, 1996 einen weiteren Aufschwung verbuchen. Inzwischen gibt es mehr als 50 Kaffeesorten, 40 Teesorten, elf Schokoladensorten und zehn Honigsorten mit Transfair-Siegel. Auch hier kann jeder einzelne einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten, der sich jedoch immer wieder mit politischem Einsatz verbinden muß.

Sozialkriterien im Ökolandbau

IFOAM (International Federation of Organic Agriculture Movement), die größte Organisation ökologischer Anbauverbände (530 Mitgliedsorganisationen in 92 Ländern) diskutierte im August 1996 in Kopenhagen das Thema Sozialklauseln. Wenngleich es noch nicht zu einer verbindlichen Festlegung von Sozialstandards kam (unter anderem aufgrund der Widerstände amerikanischer und europäischer Verbände und der behaupteten Schwierigkeiten bei der Kontrolle derselben), wurde deutlich, daß eine weltweite Ökorganisation wie IFOAM dauerhaft nicht um die Einführung von Sozialstandards und Standards des fairen Handels herumkommen wird. In einer Übergangszeit bis 1998 werden in Zusammenarbeit mit der EFTA (European Fair Trade Association) erste Erfahrungen mit freiwilligen Standards gesammelt.

Gespräche mit UBA über Alternativhandel

Vertreter verschiedener Umwelt- und entwicklungspolitischer Organisationen, darunter NABU, Germanwatch, TransFair, gepa und IFOAM, verständigten sich bei Fachgesprächen mit dem Umweltbundesamt (UBA) in Berlin unter anderem auf folgende gemeinsame Aussagen:

  • Die Förderung ökologisch und sozial verträglicher Produkte aus Entwicklungsländern ist ein wichtiger Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung, für die Einbeziehung von Umweltschutzzielen in den weltweiten Handel und für mehr Verständnis für die Herausforderungen globaler Umwelbelastungen.
  • Ökologisch motivierte Initiativen sollen soziale Anforderungen (fairer Handel), soziale Initiativen sollen Umweltanforderungen (Ökolandbau) einbeziehen.
  • Es besteht ein Bedarf für eine stärkere Kooperation und Vernetzung von Umweltverbänden, Verbraucher- und Entwicklungshilfeorganisationen und staatlichen Stellen im Sinne einer Verständigung auf gemeinsame Strategien, Initiativen und Aktionen.

Dieses Gespräch machte eindringlich deutlich, wie wichtig eine Verknüpfung von Handels- und Umweltfragen ist, wenn man nachhaltiger Entwicklung dienen will. Zugleich zeigen diese Beispiele, daß es viele Menschen und Organisationen gibt, die bereit sind, sich für eine Veränderung der Strukturen hin zu einer zukunftsfähigen Entwicklung für alle zu engagieren.

Werner Fusenig, BDKJ

Leicht gekürzt aus: Rundbrief 4/1996 der AG Handel im Forum Umwelt & Entwicklung. Wir danken für die freundliche Genehmigung des Autors.


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