70 Jahre Menschenrechte

Aus DER RABE RALF August/September 2019, S. 14

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“

Bild: Aktion BürgerInnen Asyl

„Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“ – Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche, 1940

Im Dezember 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“. Artikel 1 ist mit der Losung der Französischen Revolution überschrieben: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Zeitgemäß wäre heute „Geschwisterlichkeit“, doch der Grundgedanke bleibt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Das Diskriminierungsverbot in Artikel 2 präzisiert: „Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied …“ Artikel 3 sagt unmissverständlich: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“

Allein im ersten Halbjahr 2019 sind etwa 600 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken – die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Am 3. April schrieben mehr als 250 Organisationen einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel und forderten, dem Sterben im Mittelmeer endlich Einhalt zu gebieten. Dafür haben sie drei konkrete Maßnahmen vorgeschlagen: einen Rettungsplan für Bootsflüchtlinge, der vom Europäischen Flüchtlingsrat ECRE ausgearbeitet wurde, die Ermöglichung sicherer Häfen und den Stopp der Rückführungen nach Libyen.

Stattdessen verabschiedete der Bundestag am 7. Juni gegen heftige Proteste ein Gesetzespaket zur Verschärfung des Asylrechts. Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach kritisiert, damit würden jahrelange Bemühungen um eine Willkommenskultur in Berlin kaputt gemacht: „Die heute durch den Bundestag gebrachten Gesetze sind vor allem Regelungen der Abschiebungen, der Reglementierung, der Sanktionen. Sie gehen damit zu Lasten der Geflüchteten und zielen gleichzeitig auf eine abschreckende Wirkung. Die Gesetze steuern bewusst darauf hin, den Geflüchteten das Leben hier möglichst schwer zu machen und ein Willkommen zu verhindern. Es werden Grundrechte mit Füßen getreten …“

Petition: Bleiberecht statt Ausgrenzung

Aus Anlass des 70. Jahrestages des Grundgesetzes hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation Medico International eine Petition gestartet. Sie fordern „Bleiberecht statt Ausgrenzung“ für geduldete und illegalisierte Menschen. Denn diese „sind als Studierende, Arbeitsuchende oder Geflüchtete eingereist. Ihr Visum ist abgelaufen oder ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Sie leben mitten unter uns, arbeiten ‚illegal‘ im Niedriglohnsektor oder ergänzen minimale Sozialleistungen durch Jobs als Putzkräfte, im Pflege-Bereich, in der Gastronomie und ähnliches.“ Sie werden oft ausgebeutet und bekommen keine ausreichende medizinische Versorgung. Soziale Ausgrenzung und Angst vor Abschiebung verhindern eine Lebensplanung und bedrohen die Menschenwürde, denn: „Menschen bedürfen generell des Rechts auf einen Ort, an dem sie das politische, soziale und kulturelle Leben selbstbestimmt mitbestimmen und an dem sie sich ihren individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen gemäß entfalten können.“ Mit der Petition soll erreicht werden, dass die Politik „diesen Anspruch endlich ernst nimmt“.

Elisabeth Voß

Petition (bis Ende August): www.petition-bleiberecht.de
Offener Brief gegen das Sterben im Mittelmeer: www.proasyl.de

 


Bürger*innen-Asyl Berlin

Aus DER RABE RALF August/September 2019, S. 15

Viele Berlinerinnen und Berliner aus aller Welt leben mit der Angst davor, abgeschoben zu werden. Sie sind nur geduldet und müssen regelmäßig zur Ausländerbehörde, um ihre Duldung verlängern zu lassen. Oder sie leben hier illegalisiert ohne Papiere, ohne jeden Anspruch auf Sozialleistungen. Schon für Erwachsene ist dies kaum zu ertragen, ganz besonders betroffen sind Familien mit Kindern.

Die Initiative Bürger*innen-Asyl setzt sich für ein Bleiberecht ein, denn Abschiebungen treten die Menschenwürde mit Füßen. Familien werden auseinandergerissen, Menschen frühmorgens aus den Betten geholt und mit dem Flugzeug dorthin gebracht, wo sie um ihr Leben fürchten müssen. Die Initiative hat sich entschieden: „Diese Umstände können wir nicht tatenlos hinnehmen.“

Was jede und jeder tun kann: Entweder ein Zimmer für von Abschiebung Bedrohte zur Verfügung stellen, ähnlich dem Kirchen-Asyl. Damit gewinnen die Flüchtlinge Zeit für weitere rechtliche Schritte oder um fehlende Dokumente zu beschaffen. Oder sich öffentlich bereit erklären, eine Person, die von Abschiebung bedroht ist, bei sich zu Hause zu verstecken. Eine entsprechende Kampagne ist in Vorbereitung, und sobald 500 Unterschriften beisammen sind, sollen sie veröffentlicht werden. Damit soll die menschenrechtswidrige Abschiebepraxis delegitimiert werden.

Bürger*innen-Asyl-Gruppen gibt es bundesweit. Das öffentliche Bekenntnis, Menschen zu verstecken, um sie vor der Abschiebung zu schützen, erinnert an die Kampagne, mit der 374 Frauen 1971 im Magazin „Stern“ erklärten, dass sie abgetrieben hätten. Mit ihrem Bekenntnis zu einer Straftat protestierten die Frauen gegen das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs. Da sie so viele waren, wurden sie nicht strafrechtlich verfolgt. Das Abtreibungsverbot wurde einige Jahre darauf immerhin gelockert. Ob das Bürger*innen-Asyl strafrechtlich verfolgt wird, ist ungewiss. Selbst eine Strafe in Deutschland hätte jedoch für betroffene Aktive weit weniger schlimme Folgen als eine Abschiebung, die für Geflüchtete den Tod bedeuten kann.

Elisabeth Voß

Weitere Informationen: buerger-innen-asyl-berlin.org


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