Kleine Körner gegen den großen Hunger

Aus DER RABE RALF August/September 2021, Seite 12

In 80 Nutzpflanzen um die Welt – Teil 1: Getreide

Fonio-Ernte mit der Sichel in Senegal. (Foto: James Courtright/​Wikimedia Commons)

Los geht unsere Reise um die Welt in 80 Nutzpflanzen. In sieben Teilen stellen wir verschiedene Nutzpflanzengruppen vor, die bei uns und im globalen Süden auf den Teller kommen – manche altbekannt, andere wiederentdeckt, viele weitgereist. Im ersten Teil geht es um Getreide.

Alles auf eine Karte setzen?

Botanisch gehören die Getreide zu den Süßgräsern. Sie werden weltweit angebaut und sind die wichtigsten Grundnahrungsmittel für Milliarden von Menschen. Mais, Weizen, Hirse und Reis sind hier die wichtigsten. Ihren Nutzen haben Menschen schon vor 100.000 Jahren erkannt. Bis zur Domestizierung dauerte es allerdings noch. Diese begann vor rund 12.000 Jahren in der Region des „Fruchtbaren Halbmondes“ zwischen Mittelmeer und Persischem Golf, etwas später passierte dies auch anderswo. Regional wurden unterschiedliche Getreide gezüchtet: Weizen, Gerste und Hirse in Mesopotamien, Reis von Ost- bis Südasien, Mais in Mittel- und Südamerika.

Die meisten der heute großflächig angebauten Getreidearten haben mit den Urgetreiden nicht mehr viel gemein. Die Vielfalt der Getreide ist heute größtenteils auf eine Handvoll Arten reduziert. Moderne Hochleistungsgetreide erfordern zusätzlich synthetische Dünger und Pestizide für die reiche Ernte. Da sie in Monokulturen angebaut werden, sind sie oft anfälliger für Plagen und Dürren. Meist handelt es sich um Hybrid-Sorten, das heißt, die Bäuerinnen und Bauern können die Körner nicht wieder aussäen. Sie müssen das Saatgut jedes Jahr neu kaufen. Dadurch entsteht eine Abhängigkeit von großen Saatgutkonzernen. Viele Agrarkonzerne kassieren gleich mehrfach, weil sie oft auch die passenden chemischen Dünger und Pflanzenschutzmittel liefern, ohne die solche Getreidesorten nicht gedeihen. Das gilt sowohl bei uns als auch in den Ländern des globalen Südens (siehe Seite 19).

Perfekt angepasst

Einseitiger intensiver Getreideanbau, zum Beispiel mit Mais, begünstigt Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbefall, macht die Böden mit der Zeit unfruchtbar und führt zu Bodenerosion. Dabei weisen Getreidepflanzen eine große Vielfalt und Widerstandsfähigkeit auf. Wer im Supermarkt genauer hinschaut, kann auch Urgetreide wie Emmer und Einkorn entdecken, meist in der Bioabteilung.

Und auch anderswo ist die Vielfalt groß. In Westafrika, zum Beispiel in Senegal und Mali, wird seit über 5000 Jahren Fonio angebaut. Der Anbau dieser Getreideart geriet allerdings zugunsten anderer Nutzpflanzen in Vergessenheit, auch durch die Kolonialisierung. Denn wegen der sehr kleinen Körner ist der Ertrag mager und der Zeitaufwand für Ernte und Aufbereitung steht in keinem Verhältnis zur scheinbaren Effizienz der industrialisierten Landwirtschaft. Dabei ist Fonio, auch Hungerhirse genannt, perfekt auf die Anbaubedingungen in Westafrika angepasst. Von der Aussaat bis zur Ernte vergehen bei manchen Sorten höchstens acht Wochen, und selbst unter schwierigen Bedingungen bringt die Hungerhirse Ertrag. Zeitweilige Trockenheit oder Starkregen machen ihr genauso wenig aus wie karger Boden.

Ein anderes wichtiges Getreide mit langer Geschichte ist Teff, eine Zwerghirse. In Ostafrika, in Äthiopien, wird Teff seit etwa 6000 Jahren kultiviert und trägt dort einen wesentlichen Teil zur Ernährung der Bevölkerung bei.

Beim Worfeln wird die Spreu vom Fonio getrennt. (Foto: James Courtright/​Wikimedia Commons)

Sicherheit durch Vielfalt

Die Hirsearten Fonio und Teff sind in Afrika heimische Getreide. Von ihnen gibt es viele traditionelle Sorten, die an ihre jeweiligen Anbauregionen angepasst sind. Ihr Anbau trägt zum Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt bei. Das ist wichtig, weil die Widerstandsfähigkeit von Pflanzen gegenüber Trockenheit, Krankheiten und Schädlingen unterschiedlich ist. Wird eine Region trockener oder breitet sich eine Krankheit bei einer bestimmten Sorte aus, kann die Bäuerin oder der Bauer so auf eine andere Sorte zurückgreifen.

Auch für die Züchtung ist die genetische Vielfalt wichtig. Wenn sich beispielsweise durch den Klimawandel die Anbaubedingungen ändern, können aus den vielfältigen Varietäten neue robuste Sorten gezüchtet werden. Im Augenblick ist unsere Ernährung übrigens von vier Pflanzenarten abhängig: von den Getreiden Reis, Weizen und Mais sowie der Hülsenfrucht Soja. Wenn eine davon ausfallen sollte, zum Beispiel wegen einer Krankheit, dann werden sehr viel mehr Menschen Hunger leiden. Auf dem afrikanischen Kontinent ist Mais heute das wichtigste Getreide. Der Mais wurde von den europäischen Kolonisatoren eingeführt und hat die vielen Hirsearten weitgehend verdrängt. Er diente einst als haltbarer Proviant für die versklavten Menschen, die per Schiff von Westafrika in die amerikanischen Kolonien verschleppt wurden.

Superfood und Ernährungssouveränität

Inzwischen entdeckt der globale Norden Fonio und Teff als neues Superfood. Allerdings sollte man hier gut abwägen, was sinnvoller ist. Auf der einen Seite könnten Fonio und auch Teff als fair gehandeltes und ökologisch angebautes Superfood Kleinbauern zu einem Einkommen verhelfen. Andererseits ist es vielleicht doch besser, sie dort, wo sie wachsen, als nährstoffreiche Nahrungsquellen zu nutzen.

So kann Ernährungssicherheit und vor allem Ernährungssouveränität entstehen und wachsen. Mit Fonio kann die Zeit bis zur Ernte anderer Nutzpflanzen überbrückt werden oder wenn diese knapp oder zu teuer sind. Neuere technische Hilfsmittel können hier durchaus gute Dienste leisten, zum Beispiel bei dem langwierigen und anstrengenden Dreschen der Körner oder auch bei der Trennung von Sand und Korn.

Anke Küttner

Mit diesem Beitrag beginnt unsere siebenteilige Reihe „In 80 Nutzpflanzen um die Welt“. Das gleichnamige Projekt wird von Engagement Global im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums gefördert. Beim nächsten Mal geht es um Kartoffeln, Maniok und Co.

Weitere Informationen: 80nutzpflanzen.grueneliga-berlin.de

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