Einen Oscar für provokante Aktionen

Aus DER RABE RALF Februar/März 2023, Seite 6

Kaum etwas ist so aufmerksamkeits- und sinnstiftend wie gut gemachter, niveauvoller und spektakulärer Protest

Erfolgreich waren Feldbesetzungen gegen Gentechnik, hier 2008 bei Groß-Gerau. (Foto: Projektwerkstatt)

Die „Letzte Generation“ ist in aller Munde. Ihre Aktionen polarisieren – und viele derer, die Macht oder Kapital in ihren Händen halten, schimpfen auf die Aktivist*innen. Neben strafrechtlichen Drohungen fordern sie, wieder zurückhaltendere Aktionsformen zu wählen. Ein Staatsanwalt in Heidelberg, der – erfolgreich – die harte Bestrafung für eine völlig friedliche Demo auf dem Zebrastreifen vor Heidelberg Cement (inzwischen Heidelberg Materials), einem der größten CO₂-Emittenten der Welt, forderte, hielt dazu ein beachtliches Plädoyer: Die Protestierenden sollten sich ein Beispiel an Fridays for Future nehmen. Die hätten sich an die Regeln gehalten und seien deshalb erfolgreich.

Regelkonform, aber erfolglos

Das war doppelt gelogen. Zum einen war der Klimastreik unter anderem deshalb so öffentlichkeitswirksam, weil er mit dem Zwang, zur Schule zu gehen, gebrochen hat. Der Ruf nach Sanktionen und Bestrafungen war eine wichtige Begleitaufregung, als zum ersten Mal Schüler*innen für ihre Zukunft auf die Straße gingen und – ja: schwänzten. Das hatte der Staatsanwalt offenbar schon wieder vergessen oder erfolgreich verdrängt. Zum anderen heimste Fridays for Future zwar viel Applaus ein. In der Sache bewegte sich aber überwiegend nichts. Viele derer, die damals mit Schuleschwänzen begannen, kleben heute auf der Straße, weil ihnen langsam klar wurde, dass der nette Protest, wie ihn sich der Staatsanwalt und viele andere aus den oberen Schichten wünschen, eben nichts oder zu wenig bewegt.

Fridays for Future steht da nicht allein. Im Gegenteil: Alles deutet darauf hin, dass die provokanten Aktionen das Salz in der Suppe sind. Was wären die Atomproteste ohne Schienenblockaden und Bauplatzbesetzungen? Was der Widerstand gegen die Agrogentechnik ohne Feldbefreiungen? Wo stünden wir in der Kohleausstiegsdebatte, wenn es die Besetzung des Hambacher Forstes und die Aktionen in Tagebauen nicht gegeben hätte? Oder auch: Wie wäre die Aufarbeitung der Nazivergangenheit führender Personen in Politik und Verwaltung verlaufen, wenn Beate Klarsfeld es nicht geschafft hätte, 1968 auf das Podium des CDU-Parteitags zu gelangen und den Ex-NSDAPler und Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger öffentlich zu ohrfeigen?

Provokation allein bringt es auch nicht

Offenbar braucht politischer Protest direkte Aktionen, also ein provokantes, aufmerksamkeitserzeugendes Eingreifen in die gesellschaftlichen Abläufe, um wirksam zu werden. Dieser Effekt wird weiter verstärkt, wenn die Staatsmacht eingreift: Polizeigewalt, spektakuläre Räumungen von Besetzungen oder Blockaden, Inhaftierungen und Strafprozesse werden in Medien mitunter umfangreicher dargestellt als die auslösende Aktion selbst. Daraus lässt sich folgern, dass Regelübertritte zusätzlich helfen können. Diese Überzeugung liegt dem klassischen Konzept des zivilen Ungehorsams zugrunde, das sich aber hinsichtlich der spektakulären Elemente in diesem Regelübertritt erschöpft. Noch mehr Wirkung entfalten die Aktionen, die auf mehrere Arten spektakuläre Elemente enthalten, zum Beispiel zusätzlich durch eine erhebliche störende Wirkung oder durch ein Design der Aktion, das starke Bilder für Publikum und Medien erzeugt.

Dennoch gibt es zwei wichtige Einschränkungen. Erstens: Direkte Aktion ist nicht alles. Sie kann Aufmerksamkeit erzeugen. Die aber wäre sinnlos, wenn dann nicht auch niveauvolle Inhalte vermittelt werden. Das können politische Forderungen, Kritik an Vorhaben und Planungen oder, besonders anspruchsvoll, gesamtgesellschaftliche Utopien sein. Hier zeigen Aktionsgruppen, die spektakuläre Aktionen planen, oft bedauerliche und unnötige Schwächen. Wer eine Holzplantage besetzt, um gegen eine neue Autofabrik (Tesla) zu demonstrieren, aber dann nichts anderes zu sagen hat als das Mitleid mit den Bäumen in der Nadelwaldmonokultur, vertut eine große Chance. Wenn eine Anti-Atom-Gruppe den Castorzug per Einbetonierblockade für viele Stunden aufhält und alle Kameras auf die Aktion draufhalten, dann aber nur ein Transparent mit „Castor stoppen“ zu sehen ist, bleibt die Sache ebenso hinter ihren Möglichkeiten zurück. Dass die „Letzte Generation“ jetzt Sprecher*innen zwar vor ein Millionenpublikum bringt, aber dann nur „Tempolimit und Neun-Euro-Ticket“ sagt, ist gleichfalls schade.

Unterschiedlichkeit ertragen 

Zweitens: Die größte Wirkung im politischen Protest findet nie die einzelne Handlung, also auch nicht eine noch so spektakuläre, massiv störende oder sonst auffällige Aktion, sondern stets die Mischung vieler verschiedener Aktionsformen. Provokante Aktionen sind darin ein Teil, ohne die es schwer würde, die nötige Aufmerksamkeit zu erreichen. Sie sind aber oft nicht direkt anschlussfähig für die breite Bevölkerung in ihren Ängsten um öffentliches Ansehen, Arbeitsplatz oder was auch immer. Deshalb ist es sinnvoll, eine politische Kampagne stets als eine „Welt, in der viele Welten Platz haben“ zu begreifen – also die Übertragung dieser bekannten Zapatista-Vision auf die politische Organisierung.

Das ist ein Aufruf an alle, Unterschiedlichkeiten zu ertragen und Organisierungsmodelle zu entwickeln, die solche Vielfalt und dann möglichst viel Kooperation und Kommunikation in ihr erzeugen. Das ständige Zurschaustellen der eigenen Label oder Kontonummern dürfte dabei eher schädlich wirken, weil es Konkurrenzkämpfe erzeugt und das eigentliche Thema in den Hintergrund rückt. Zudem macht es eine Kooperation auf Augenhöhe schwierig mit denen, die auf solche Eigenwerbung verzichten.

Fazit: Bilder bewegen die Welt. Provokante Aktionen, die emanzipatorische Ideen transportieren, sind starke Bilder. Daher: Ein Oscar für alle direkten Aktionen!

Jörg Bergstedt

Der Autor ist seit Langem zu ökologischen und politischen Themen aktiv und an diversen Aktionen beteiligt. Zur Bedeutung von provokanten Aktionen hat er ein Buch geschrieben. Für einen bebilderten Vortrag zum Thema kann er eingeladen werden. Weitere Informationen: provokante-aktionen.siehe.website

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