Aus DER RABE RALF Dezember 2017/Januar 2018, Seite 16-17
Die Klimabewegung ist so global wie der Klimawandel
Wie kommt man am besten von Berlin nach Bonn? Die Berliner BUNDjugend entschied, dass das Fahrrad das geeignetste Mittel dafür sei. In acht Etappen bewältigten die Stärksten unter ihnen die knapp siebenhundert Kilometer zum Klimagipfel-Tagungsort. Mit der Tour wollte die „Fahrrad-Bande“ auf die verfehlte Verkehrspolitik Deutschlands aufmerksam machen, die dafür sorgt, dass der CO₂-Ausstoß im Verkehr immer weiter steigt.
Am 3. November trafen sich Aktive mit vielen anderen aus aller Welt, die den offiziellen Weltklimagipfel kritisch sahen, am Bonner Rheinufer, wo ein großes Zirkuszelt und eine Küche errichtet worden waren. Schon an jenem Freitag vor dem Gipfel begann hier das Training für die Anti-Kohle-Aktionen des Bündnisses „Ende Gelände“ am Sonntag.
Über schlammige Wege von Berlin nach Bonn. (Foto: Kristoffer Schwetje)
Weltklimakonferenz von unten
Fünf Tage lang kamen Klima-Aktive aus der ganzen Welt in Bonn zusammen, um sich kurz vor der offiziellen Klimakonferenz auf einem Alternativgipfel auszutauschen und zu vernetzen. Während eine Woche später die Regierungen verhandelten, waren beim „People’s Climate Summit“ jene anzutreffen, die direkt von den Folgen des Klimawandels betroffen sind und die in ihren Ländern gegen die zum Teil lebensbedrohliche Situation kämpfen.
Die Alternativkonferenz sollte auch das Thema Klimagerechtigkeit voranbringen. „Wir wollen eine Transformation hin zu einer Gesellschaft, in der die Sorge für den Planeten und unsere Mitmenschen im Fokus steht – anstatt deren Ausbeutung“, hieß es dazu im Programm.
Forum für die am stärksten Betroffenen
Der „People’s Climate Summit“ wollte genau denen ein Forum bieten, die in der Weltpolitik keine Stimme haben. „Am Klimawandel leiden diejenigen am meisten, die am wenigsten dazu beigetragen haben“, sagte Nadja Charaby von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Zu den Betroffenen gehören auch die „Pacific Climate Warriors“, ein Zusammenschluss von Aktivistinnen und Aktivisten aus zwölf Inselstaaten im Pazifik, die der steigende Meeresspiegel schon heute zu überfluten droht.
Einer von ihnen ist Joseph Zane Sikulu aus Tonga. „Der Klimawandel kennt keine Grenzen“, sagte er in Bonn. „Er ist eine Krise, die uns alle betrifft und weiterhin betreffen wird – dich, mich und die Orte, die jeder von uns sein Zuhause nennt.“ Die „Klimakrieger“ wollten bei dem Treffen nicht nur ihre Situation schildern, sondern auch die Chance nutzen, Druck auf die Verhandlungen des offiziellen Klimagipfels auszuüben. „Wenn wir nicht aufbegehren und gegen den Klimawandel kämpfen – wer wird es dann tun?“, fragte Sikulu.
1,5 Grad schon beschlossen
Auf den Podien des Alternativgipfel richteten Vertreter zahlreicher Organisationen einen klaren Appell an die Weltklimakonferenz: Die Staaten müssten viel mehr dafür tun, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen – was keineswegs eine radikale Forderung, sondern schon längst beschlossen ist, wie die „Pacific Climate Warriors“ erinnerten. Denn zurzeit sieht es nicht so aus, als wenn dieses im Pariser Klimaabkommen festgeschriebene Ziel erreicht werden könnte. Wenn der CO₂-Ausstoß in den kommenden Jahren nicht drastisch nach unten geht, wird selbst das viel schwächere Zwei-Grad-Ziel krachend verfehlt. Dann werden es drei oder vier Grad Erwärmung sein – was für viele Länder in Afrika oder im Pazifik eine Katastrophe bedeutet.
Gleichzeitig gab es Warnungen, den Klimaschutz auf das CO₂-Zählen zu beschränken. Das verstelle vielfach den Blick auf die Bedürfnisse der Menschen und die Vielfalt der Natur und unserer Lebensweisen, kritisierte zum Beispiel Magdalena Heuwieser von der Organisation „System Change, not Climate Change“ aus Österreich. Wenn die CO₂-Emissionen dann auch noch durch Kompensationszahlungen an Regierungen im Süden „ausgeglichen“ werden sollen, sei das ein koloniales Verständnis von Ökologie.
Offen blieb die Frage, wie die klimagerechte Transformation einer Gesellschaft gelingen soll, die gleichzeitig dem Ideal des unablässigen Wachstums folgt. Charlotte Loreck vom Öko-Institut merkte dazu an: „Natürlich wäre es gut, zuerst den Kapitalismus zu überwinden, doch dafür haben wir in der aktuellen Lage nicht genug Zeit.“
Akut vom Klimawandel bedroht: Der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten.
Einfluss der Energiekonzerne stoppen
Die Pacific Climate Warriors hatten bereits eine Erklärung veröffentlicht, in der sie unter anderem fordern, die Förderung von fossilen Brennstoffen gänzlich aufzugeben – und die größten Verursacher von den UN-Klimaverhandlungen auszuschließen. Damit sind Energiekonzerne wie Exxon oder RWE gemeint, die in den letzten Jahren bei den UN-Klimaverhandlungen mit eigenen Veranstaltungen und Vertretern immer stärker präsent waren.
Diese Einflussnahme kritisierte auch Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung scharf: „Wenn wir von Klimagerechtigkeit sprechen, müssen wir auch die Machtfrage stellen. Wollen wir, dass die großen fossilen Unternehmen weiterhin den immensen Einfluss ausüben können, den sie derzeit in der internationalen Klimapolitik haben?“ Das Handeln dieser Konzerne, so Unmüßig, stehe eindeutig dem Ziel entgegen, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten und den Verwundbarsten auf dem Planeten das Überleben zu ermöglichen.
Workshop-Vielfalt
In den über 50 Workshops am Montag und Dienstag ging es vom Messen von Luftschadstoffen über das Organisieren des sozial-ökologischen Wandels bis zu globalen Kämpfen für Klimagerechtigkeit. Hier gab es breiten Raum für Vereinbarungen zur praktischen Unterstützung von Initiativen, Aktionen und Demonstrationen. Natürlich wurde auch lebhaft diskutiert. So ging es zum Beispiel darum, strukturelle Ursachen für die weltweite Ungleichheit aufzudecken und zu bekämpfen. Dazu gehören ungerechte Handelsverträge und Wirtschaftsmodelle, die Menschen- und Arbeitsrechte missachten und zu hohem Ressourcenverbrauch führen, aber auch Bergbauprojekte, die Dörfer und Trinkwasserquellen zerstören, oder eine Agrar- und Entwicklungspolitik, welche die großen Konzerne statt einer regionalen, umweltgerechten Landwirtschaft begünstigt. Kritisiert wurden auch Projekte, die als Klimaschutzmaßnahmen daherkommen, aber ökologische und soziale Schäden anrichten.
Rote Masse in Bonn
Am 4. November, am Samstag, gab es in Bonn die größte Anti-Kohle-Demonstration, die Deutschland je gesehen hat. Schon früh starteten 3.500 Aktive in Köln zu einer Fahrraddemo, um gemeinsam zur Bonner Großdemonstration zu fahren. Nachdem die Fahrt über die Autobahn verboten worden war, sollte für ein starkes Bild eine Runde durch den Kreisverkehr an der Autobahnauffahrt gedreht werden. Die Polizei genehmigte das zwar, verbot aber gleichzeitig die Fahrt in die Bonner Innenstadt. Die Veranstalter ließen sich das nicht gefallen und lösten die Veranstaltung noch vor ihrem eigentlichen Start auf. So entstand die größte Kölner „Critical Mass“ – eine unangemeldete „Nicht-Demonstration“ per Fahrrad –, die sich über die Hauptstraße nach Bonn bewegte. Hier stießen die Radelnden zu den über 20.000 Menschen, die bei der Demonstration „Klima schützen – Kohle stoppen!“ durch die Bonner Innenstadt liefen.
„System change not climate change“ die Zentrale Forderung von „Ende Gelände“
„Gemeinsam haben wir heute ein wichtiges Zeichen für konsequenten Klimaschutz und den Ausstieg aus der Kohleverstromung gesetzt“, erklärten die Organisatoren nach der Demo. „25.000 Menschen aus aller Welt haben mit einer bunten Demonstration deutlich gemacht, dass unsere Initiative für einen schnellen und sozialverträglichen Kohleausstieg von der Mitte der Gesellschaft getragen wird.“ Jetzt müsse die Bundesregierung das Pariser Klimaabkommen endlich zur Wirkung bringen. „Die dreckigste Hälfte der Kohlekraftwerke muss in wenigen Jahren abgeschaltet sein, denn Klimaschutz entscheidet sich am Kohleausstieg.” Auch Bundes-Umweltministerin Barbara Hendricks kam vorbei und hörte sich die Forderungen an.
Gefährliche Strohsäcke
Am nächsten Morgen um sieben Uhr fuhren Züge von Köln und Bonn mit zum Teil schon in weiße Maleranzüge gekleideten Menschen nach Buir, einem kleinen Ort in der Nähe des Braunkohletagebaus Hambach, der zusammen mit seinen Kraftwerken die größte CO₂-Schleuder Europas ist. Nach einer zünftigen Stärkung im Regen machten sich 4.500 Menschen gemeinsam auf den Weg nach Morschenich. Dieses Dorf soll nach den Plänen des Kohlekonzerns RWE in den nächsten Jahren abgerissen werden, um die darunter liegende Kohle abzubaggern. Wegen sogenannter „Schutzbewaffnung“ wie Strohsäcken oder Schutzbrillen wurde der Demonstrationszug zunächst gestoppt. Nachdem die Polizei in einem Nadelöhr nach den verbotenen Gegenständen Ausschau gehalten hatte, konnte die Demo weiter in Richtung Morschenich ziehen.
Zur Verwunderung der Polizei, aber auch einiger aus dem Zug, bog der hintere Teil in „Finger“-Formation ab und ging schnell parallel zur Autobahn weiter, wo er auch mit neuen Strohsäcken versorgt wurde. Diese „Fingertaktik“ wurde von der Anti-Atom-Bewegung für die Gleisblockaden im Wendland entwickelt und seitdem vielfach für ähnliche Aktionen angewandt, zum Beispiel bei Tagebau-Besetzungen von „Ende Gelände“ in den letzten Sommern. Den „Fingern“ werden dabei Farben zugeordnet, wobei die Farbe häufig auch den thematischen Schwerpunkt der Gruppe repräsentiert, außerdem unterscheiden sich die Finger in der Art der Aktion und der Radikalität. So war die eigentliche Demo der „blaue Finger“. Die offizielle Demonstration zog durch Morschenich und sollte an einer Wiese am Ende des Ortes zum Stehen kommen.
Vom Weg abgekommen: Der Rote Finger konnte einfach nicht stoppen.
Gräben und Wälder
Doch der rote Finger „verpasste das Ende der Demo“, wie es „Ende Gelände“ auf Twitter formulierte, und lief weiter über das Feld in die Kohlegrube. Die Polizei versuchte mit etwa 20 Leuten, die über 100 Aktivistinnen und Aktivisten aufzuhalten, doch alle schafften es auf die oberste Stufe der Grube. Zeitgleich betraten die anderen Finger einige Kilometer entfernt die Braunkohlegrube. Auch der blaue Finger begann sich in Richtung Grube zu bewegen, stoppte dann jedoch zum Großteil an einem der Wälle im Grubenvorland. Dort hielt ein Weihnachtsmann eine Rede und eine feministische Trommelgruppe machte Musik. Durch das Verhalten der Polizei, die nur langsam Verstärkung holte, wurden viele mutiger, begannen über die Wälle am Rand der Grube entlangzugehen und beobachteten den roten Finger, der das weitere Vorgehen beriet, sowie die Polizei, die einen Bagger umstellt hatte. Als dunkle Regenwolken aufzogen, versuchte die Polizei, keine weiteren Personen mehr auf die Wälle zu lassen und alle davon zu vertreiben. Währenddessen machte sich der rote Finger in der Grube an den Abstieg in Richtung Bagger. Dort wurden sie später, wie auch die anderen Finger, eingekesselt, wobei es zu einigen Zwischenfällen kam. Der Großteil wurde aber, wohl weil es dunkel wurde, am späten Nachmittag fast unbehelligt aus der Grube gebracht.
Gute Stimmung im Grubenvorland.
Bei der Aktion stellte sich heraus, dass der Kohlekonzern RWE sich in diesem Jahr noch mehr angestrengt hatte, um die Besetzung zu verhindern. So ließ er noch am Tag vor der Aktion metertiefe Gräben ausheben und Wälle aufschütten. Alle Zufahrtswege in den Tagebau Hambach wurden zerstört – in der Hoffnung, Ruhe vor den Aktivistinnen und Aktivisten zu haben. Umsonst, rund 3.000 Menschen gelangten am Ende an der Polizei vorbei in die Kohlegrube. Inmitten der Mondlandschaft bildeten viele einen riesigen Kreis und hielten sich an den Händen. Die Kohlebagger und das Förderband mussten stoppen. Zumindest an diesem Tag gelang es, der Zerstörung Einhalt zu gebieten und ein Zeichen für Klimagerechtigkeit zu setzen.
Demnächst geräumt und zerstört? Oder bald nicht mehr nötig? Baumhaus in Hambacher Forst. (Fotos: Leonhard Lenz)
Nachdem sich der blaue Finger bei der inzwischen beendeten Abschlusskundgebung noch einmal gestärkt hatte, begann das Bildungsprogramm – in Form einer Waldführung durch den seit fünf Jahren immer wieder besetzten Hambacher Forst. Dabei ging es um den ökologischen Wert und die 1200-jährige Geschichte des Waldes, um die Auswirkungen des Tagebaus und die Besetzungen. Einige der Besetzerinnen und Besetzer berichteten über das Leben in ihren Baumhäusern und die vergangenen Räumungen, die in der jetzigen Rodungssaison auch wieder befürchtet werden.
Etwas Hoffnung machte ein Gerichtsverfahren, nachdem der BUND Nordrhein-Westfalen gegen RWE geklagt hatte. Der Richter machte Vorschläge für einen Vergleich, der den restlichen Wald zu einem Großteil geschützt hätte. RWE lehnte dies ab. Am 24. November entschied das Gericht für RWE und gegen die Umweltschützer.
Mittlerweile untersagte das Oberverwaltungsgericht Köln die Rodungen, bis im Hauptverfahren entschieden ist, was voraussichtlich mehrere Monate dauern wird.
Leonhard Lenz