Hängt ein Spruchband über der Autobahn

Aus DER RABE RALF Februar/März 2022, Seite 6

Warum Abseilaktionen über Autobahnen nötig und legal sind – und trotzdem verfolgt werden

Die Beteiligten an dieser Aktion über der A5 stehen ab 1. Februar vor Gericht. (Foto: Projektwerkstatt)

In Berlin wurde nicht nur die erste Autobahn der Welt gebaut, dort fallen heute noch die Entscheidungen für immer neue Straßen, auch Autobahnen – überall im Land und sogar weiterhin in Berlin. Während woanders Bäume fallen, sind es in Berlin vor allem Häuser, die dafür abgerissen werden. Dass Beton und ein schönes Leben im Widerspruch zueinander stehen, wird deutlich sichtbar.

Noch bekannter sind die Wirkungen neuer Straßen auf das Autoaufkommen: Es wächst. „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“ ist seit Jahren ein Leitspruch all derer, die für eine Verkehrswende eintreten – und eine Binsenweisheit aus allen einschlägigen Studien. Absurderweise wollen Autolobby und Politik die durch sie verursachten wachsenden Verkehrsmengen, die Staus und all die damit verbundenen Belastungen trotzdem mit weiteren Straßen bekämpfen – also Feuer mit Öl, fast wörtlich. Mit dem Verkehr nehmen dann auch Lärm, Verkehrstote und -verletzte, Flächenversiegelung und Feinstaub zu.

Erlaubte Kundgebungen auf Autobahnen

Ein Elektroantrieb, Lieblingskind der Grünen mit ihrer wachstumsorientierten Umweltpolitik, ändert daran gar nichts. Der einzige Ausweg besteht in der Umkehrung: Weniger Straßen für Autos, Umwidmung zu Fußgängerzonen, Fahrradstraßen und Schienenstrecken. Dafür kämpfen VerkehrswendeaktivistInnen mit vielfältigen Aktionen.

Eine besondere Symbolik haben dabei Autobahnen als Hauptschlagadern des Verkehrsflusses. Der Protest findet zunehmend auch auf ihnen statt. Das geht: „Die spezifische Widmung der Autobahnen für den überörtlichen Kraftfahrzeugverkehr schließt deren Nutzung für Versammlungszwecke nicht generell aus“, stellte der Hessische Verwaltungsgerichtshof am 4. Juni 2021 fest (Az. 2 B 1193/21). Andere Gerichte urteilten ähnlich. So hat es 2020 und 2021 einige Raddemos auf Autobahnen gegeben, mehrere davon in Zusammenhang mit der Besetzung des Dannenröder Forstes. Jedes Mal wurden die Magistralen gesperrt – alles legal.

Warum ist es dann plötzlich eine nicht hinnehmbare Gefahr und wird als heftige Straftat verfolgt, wenn Menschen über einer Autobahn Spruchbänder anbringen? Sie sind genauso eine Versammlung, indem sie direkt am passenden Ort und gegenüber vielen, die die Autobahn nutzen, ihre Vision einer Verkehrswende kundtun. Doch die Beteiligten landeten schon mehrfach in Untersuchungshaft und werden nun vor Gericht gestellt – zunächst in Frankfurt am Main, später auch an anderen Orten.

Raddemo auf der Autobahn legal, aber Transpi-Aktion über der Autobahn eine schwere Straftat? Schon das wäre absurd. Doch es wird noch unklarer: Je nachdem, über welcher Autobahn es passiert, ändern sich die Strafvorwürfe, weil sich die Justiz völlig uneinig ist. Einige Staatsanwaltschaften sehen gar keine Straftat – und liegen damit juristisch völlig richtig. Andere fordern mehrjährige Haftstrafen.

Reaktion auf Abseil-Aktionen mal so, mal so

Dabei sind Autobahnabseilaktionen nichts Neues. Im Jahr 2000 musste der Messeschnellweg in Hannover zur Expo-2000-Eröffnung gesperrt werden. Im Jahr 2015 hängten AktivistInnen Spruchbänder an der Autobahn nahe dem Tagebau Garzweiler im Rheinischen Braunkohlerevier auf. Die Polizei sperrte die Strecke, was andere nutzten, um über die Betonpiste zu den Kohlebaggern zu gelangen.

Die Räumung der besetzten Wälder auf der A49-Trasse in Hessen (Rabe Ralf Februar 2021, S. 12) provozierte dann gleich mehrere solcher Aktionen – und in der Folge die ersten harten, aber auch sehr unterschiedliche Reaktionen des Staates. Am 1. und 6. Oktober 2021 erwischte es die A5 in der Nähe der Räumungen – die Staatsanwaltschaft Gießen sah darin gar keine Straftat. Drei Wochen später sah das rund um Frankfurt am Main ganz anders aus: Die Beteiligten verschwanden zum Teil für mehrere Wochen in Untersuchungshaft und erwarten ab Februar mehrere Strafprozesse – mal wegen Nötigung, mal wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.

Für eine andere Aktion lautet die Anklage sogar auf Körperverletzung, weil acht Kilometer entfernt ein Fahrer nicht aufpasste und – ohne Gurt, aber mit Handy am Ohr – ins Stauende krachte. Für die weiteren Aktionen, darunter am 27. November 2020 mit neun gleichzeitigen Blockaden bundesweit, am 23. März 2021 über der A39 im Zusammenhang mit Aktionen gegen den VW-Konzern in Wolfsburg, am 15. April rund um Bremen, dem Gastgeber der gleichzeitigen Verkehrsministerkonferenz, und am 7. September zur Eröffnung der Automesse IAA rund um München, sind bislang keine Verfahren eröffnet worden.

Was aber schon sichtbar wird: Die Rechtsfragen scheinen knifflig zu sein. Die AktivistInnen haben sich ganz bewusst stets mehr als 4,70 Meter über der Autobahn aufgehalten und alle mitgeführten Sachen gegen Herunterfallen gesichert. In dieser Höhe endet der offizielle Bereich der Straße. Einige Anklagebehörden griffen deshalb zu einem abenteuerlichen Trick. Zwar hätten die AktivistInnen nie selbst den Verkehr gestoppt oder gefährdet, aber durch ihr Handeln die Polizei zu ihrem „willenlosen Werkzeug“ gemacht, um durch diese den Verkehr zu stauen.

Seltsam daran ist, dass die Polizei sich von Ort zu Ort völlig unterschiedlich verhielt. Einige Male ließ sie den Verkehr einfach weiterlaufen, einmal auf der Autobahn umkehren und bereits mehrfach leitete sie den Verkehr weit vor dem Aktionsort ab und sperrte die Strecke erst, als alle Autos weggefahren waren, so dass kein Stau entstand. Kreativ zeigte sich die Polizei bei der Bremen-Aktion, als sie einen Unfall mit einer Schwangeren und ihrem Kleinkind erfand und in ihrer Pressearbeit lancierte. Die Lüge räumte die Polizei Tage später auch ein.

Abseilen über der A9 – eine von sechs solcher Aktionen zur Eröffnung der IAA 2021. (Foto: Projektwerkstatt)

„Wir lassen uns nicht einschüchtern“

Nun also laufen die Strafprozesse an, mit Start am 1. Februar am Amtsgericht Frankfurt am Main. Einfach wird das nicht, da die AktivistInnen die Autobahn formal nie betreten und auch keinerlei Absprachen mit der Polizei getroffen haben. Diese handelte je nach Ort unterschiedlich, aber immer mit dem Ziel, die Aktion zu beenden. Mehrfach erkannte sie deren Versammlungscharakter sogar an und ging entsprechend vor.

Ob die Gerichte, die sich teilweise selbst für zuständig erklärten, obwohl die Aktion nicht in ihrem Gebiet lief, am Ende das Recht beachten oder nur Kapital- und Machtinteressen vertreten werden, wird sich zeigen. Die Angeklagten sind gut vorbereitet. Mehrere Gerichtsprozesstrainings fanden statt. Und auch weitere Aktionen sind geplant: „Wir werden uns nicht einschüchtern lassen – der Kampf gegen Klimawandel und das tägliche Sterben durch Autos und Straßen geht erst richtig los!“, heißt es aus dem Kreis der Beteiligten.

Jörg Bergstedt

Weitere Informationen: www.autobahn.siehe.website und www.e-autos.siehe.website

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