Aus DER RABE RALF August/September 2018, Seite 6/em>
Kleine Schritte können viel bewegen, man muss sie nur gehen
In der April/Mai-Ausgabe des Raben Ralf wird eine Broschüre der Grünen Liga vorgestellt mit dem spritzigen Untertitel „Trau keinem Garten ohne Unkraut“. Im gleichen Raben macht Michael Dressel Mut, auf dem eigenen Grundstück mehr Bäume zu pflanzen. Die Artikel geben mir den Anstoß, mich einmal nicht über das Insektensterben auszubreiten oder die Maismonokulturen anzuprangern. Um dort etwas zu verändern, ist vorrangig die große Politik gefragt. Wir können aber auch unabhängig davon – im Kleinen – selbst etwas tun oder uns anstoßen lassen, neue Schritte zu gehen.
Zu den kleinen, aber wichtigen Bereichen rechne ich die Ämter in den Städten und Gemeinden, die über das Bauen zu befinden haben. Ich habe 13 Jahre in so einem Amt gearbeitet, im Naturschutz- und Grünflächenamt Berlin-Pankow. Ich war für die Fällgenehmigungen nach der Baumschutzverordnung bei genehmigten Bauvorhaben verantwortlich – beziehungsweise auch mal für deren Nichterteilung. Zusätzlich fühlte ich mich verantwortlich für Naturschutzfragen. Auch viele meiner Kollegen haben ihre Verantwortung als „Grünschützer“ damals auf verschiedene Weise wahrgenommen. Ich will Ihnen kurz davon erzählen.
Bauherren brauchen manchmal nur einen Anstoß
Neben den Forderungen aus der Baumschutzverordnung habe ich damals den Bauherren und Architekten auch umfangreiche Empfehlungen zum Naturschutz an die Hand gegeben, da die Forderungen aus dem Naturschutzrecht nur sehr schwach und sehr schwer durchsetzbar sind. So sind zum Beispiel auf größeren zu bebauenden Grundstücken meist Igel, Ringelnattern, Erdkröten, Nachtigallen oder sogar Zauneidechsen zu vermuten, doch eine Suche findet fast nie statt, sodass die Tiere praktisch ohne Schutz sind.
Ich versuchte deshalb die Bauherren für dieses Problem zu sensibilisieren. In intensiven Gesprächen, die mir das Stadtplanungsamt einräumte, hatte ich die Chance, Bauherren während der Planung um die Verschiebung eines Gebäudes oder Veränderungen am Baukörper zu bitten. So konnte manch wertvoller Baum erhalten werden. Mit ausführlichen Empfehlungen als Anlage zur Baugenehmigung hoffte ich auf naturschutzfreundliche Lösungen. Die Empfehlungen sind heute genauso aktuell wie damals:
- Einhaltung der DIN-Norm 18920 zum „Baumschutz auf Baustellen“. Obwohl sehr aussagekräftig, hat diese Norm leider keinen Gesetzescharakter.
- Weitgehende Erhaltung von frei wachsenden Hecken und deren Nachpflanzung an den Grundstücksgrenzen als Schutz für Igel und Gebüschbrüter – unter Berücksichtigung einer beigelegten Pflanzenliste mit heimischen Sträuchern.
- Berankung von fensterlosen oder fensterarmen Fassaden mit Klettergehölzen – Pflanzenliste mit Angaben zur Eignung.
- Verringerung der Bodenversiegelung und Förderung der Regenwasserversickerung.
- Ausführung der Parkplätze mit sickerfähigem Untergrund sowie Bepflanzung.
- Weil zwangsläufig Nistplätze für Vögel verlorengehen: Anbringen von Nistkästen aus Holzbeton am Gebäude nach Hinweisen des Naturschutzbundes.
- Anbringen von künstlichen Schwalbennestern mit Kotbrett an fensterlosen Wänden unter der Dachkante, Anlegen einer feuchten Lehmmulde für Schwalben.
- Anbringen eines Insektenhotels mit Stroh, Schilfrohr und angebohrten Holzstämmchen an einer Südwand.
Seit 15 Jahren bin ich im Ruhestand und beobachte nun den erneuten Bauboom in unserer Stadt. Bäume werden gefällt und grüne Flächen versiegelt. Es interessiert mich, wie die Berliner Naturschutzämter heute bei Bauanträgen mit dem Grün umgehen, welche gesetzlichen und welche empfehlenden Hinweise sie geben.
Hilfsmöglichkeiten für Schwalben am Bau: Nisthilfe (1) und Kunstnest (2) für Mehlschwalbe, Kunstnest (3) und Nisthilfe (4) für Rauchschwalbe, Kotbrett (5) und Lehmpfütze (6). (Grafik: NABU Thüringen)
Gute Beispiele sind vorhanden
Die Klage ist zurzeit groß über den Rückgang von Schmetterlingen, Bienen und Vögeln. Das ist nicht nur eine Folge der Chemisierung unserer Landwirtschaft, sondern auch der monotonen Gestaltung unserer Städte mit viel glattem Beton und Glas. Durch die nüchterne und pflegeleichte Gestaltung der Vorgärten finden Schmetterlinge und Insekten keine Nahrung mehr.
Doch es gibt immer wieder gute Beispiele einer naturfreundlichen Gestaltung, auch bei mir in Pankow: die modernisierten Fassaden der Ersten Pankower Wohnungsbaugenossenschaft mit Nistquartieren, spät gemähte Wiesen auf den BVG-Mittelstreifen in der Berliner Straße, Vorgärten der Gesobau mit hohen und dichten Sträuchern, auch viele Vorgärten der älteren Wohnungsbaugenossenschaften oder die Berankung der Giebel.
Wir können nach wie vor eine Menge tun, viele kleine Dinge bewegen, statt nur zu klagen und die Hände resigniert in den Schoß zu legen oder zynisch die kleinen Schritte madig zu machen und schnell noch nach Neuseeland in die letzten Paradiese zu jetten. Fangen wir jetzt damit an!
Wolfgang Heger
Das bisschen Gras
Man will meinen Gehsteig flicken.
Ich hatte nicht einmal bemerkt,
dass er eingesunken war.
Das bisschen Gras,
das da wächst,
finde ich schön.
Wie mache ich ihnen begreiflich,
dass es viel schöner ist
und lebendiger
als der kalte Zement,
den mir meine Freunde anbieten.
Falls der Zement siegt,
wird er zur Grabplatte werden
mit der unsichtbaren Aufschrift:
„Hier ruht das lebendigste Gras,
das hartnäckigste,
das intelligenteste
der ganzen Gegend …“
Helder Camara