Aus DER RABE RALF Dezember 2017/Januar 2018, Seite 18
Volksentscheid gegen die Werbeflut
Die Initiative „Berlin Werbefrei“ will kommerzielle Produktwerbung im öffentlichen Raum einschränken und aus Kitas, Schulen und Universitäten verbannen. Denn die Werbung im öffentlichen Raum nimmt zu und verändert das Gesicht unserer Stadt. Niemand kann sich den Botschaften der Werbung entziehen.
Das gilt besonders für die neuen digital leuchtenden Werbetafeln mit blinkenden Bildsequenzen und Video-Clips. Außenwerbung wird immer aufdringlicher gestaltet und bohrt sich in das Bewusstsein. Nicht nur Kinder und Jugendliche werden mit zweifelhaften Leitbildern verführt und gefährdet.
Die Masse an Werbeflächen beeinträchtigt massiv die soziale und ästhetische Funktion des öffentlichen Raumes als Ort gesellschaftlichen Lebens. Fake-Baustellen und die Vermietung ganzer Hausfassaden zu Werbezwecken sind keine Seltenheit. Straßen, Plätze und Grünflächen werden durch Werbung verunstaltet. Die Folge: Das individuelle Gesicht Berlins verschwindet.
Die Initiative „Berlin Werbefrei“ fordert deshalb einen „Adblocker“, einen Werbestopp für Berlin.
Berlin ohne Werbung: Den Blick freibekommen. (Foto: Berlin Werbefrei)
Außenwerbung hat viele Facetten
Mit der Zunahme beleuchteter und selbstleuchtender Werbeanlagen nimmt auch die Lichtverschmutzung zu. Neue Formen der digitalen Außenwerbung sind nicht nur störend, sondern auch gefährlich: Im Straßenverkehr stellen sie eine große Ablenkung dar. Sie beeinträchtigen die Sicht, bringen noch mehr Verwirrung in den Straßenschilder-Dschungel Berlins und lenken die Aufmerksamkeit von Auto- und Radfahrenden weg von der Straße.
Der Großteil der Werbeflächen wird von den großen Marken der internationalen Konzerne in Anspruch genommen. Damit findet eine Wettbewerbsverzerrung zum Schaden kleiner und mittelständischer Betriebe statt.
Besonders Kinder sind empfänglich für Werbung. Werbung in und an Schulen ist vielen Eltern ein Dorn im Auge. Abbildungen von Capri-Sonnen-Trinkpäckchen in Ernährungspyramiden und die Zahnfee von Signal sollen der Vergangenheit angehören. Mit einem Volksentscheid will die Initiative Werbung und Sponsoring an Kitas, Schulen, Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen regulieren und transparent gestalten. Damit fordert „Berlin Werbefrei“ ebenso wie die Organisation LobbyControl: „Bildung statt Meinungsmache!“
Werbung wird oft und zu Recht als sexistisch oder diskriminierend wahrgenommen. Wir wollen, dass herabwürdigende und diskriminierende Werbung vollständig von den Straßen und Plätzen Berlins verschwindet.
Alle sollen mitentscheiden
„Berlin Werbefrei“ hat einen Gesetzentwurf gegen die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums verfasst. Ziel ist es, Werbung in verträgliche Bahnen zu lenken. Der Entwurf beruht im Wesentlichen auf einer Neufassung von Paragraf 10 der Berliner Bauordnung und erfüllt damit die Voraussetzung für einen Volksentscheid auf Landesebene.
Mit einem Volksentscheid, zeitgleich zur Europawahl 2019, sollen die Berlinerinnen und Berliner die Möglichkeit zur Abstimmung bekommen. Zuvor müssen zwei Unterschriftensammlungen erfolgreich absolviert werden. Die erste Stufe läuft bereits seit Ende November, es werden rund 20.000 Unterschriften benötigt. In der zweiten Stufe der Unterschriftensammlung, voraussichtlich im kommenden Sommer, gilt es dann die Marke von 200.000 Unterschriften zu knacken.
Der Zeitpunkt für den Start des Volksbegehrens ist bewusst gewählt. Derzeit läuft das Ausschreibungsverfahren der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt für die Vergabe von Sondernutzungsrechten zur Aufstellung von etwa 8.100 Werbeanlagen im öffentlichen Raum. Zuletzt wurden diese städtischen Flächen hauptsächlich an die Wall GmbH und an den Online- und Außenwerber Ströer vergeben. Im Zuge der neuen Ausschreibung sollen nun 1.140 Werbeanlagen digitalisiert werden. Die Ausschreibung ist ein guter Zeitpunkt, die Frage zu stellen: Wem gehört die Stadt? Wer darf über den öffentlichen Raum bestimmen?
Das Anti-Kommodifizierungs-Gesetz
Wirtschaftliche Interessen bestimmen zunehmend das Stadtbild Berlins. Unsere Stadt wird zur Ware, und der öffentliche Raum wird kommerzialisiert. Im Fachjargon wird dieser Prozess „Kommodifizierung“ genannt. Deshalb hat die Initiative Berlin Werbefrei ihren Vorschlag „Antikommodifizierungsgesetz“ genannt.
Mit dem neuen Gesetzestext stellt Berlin Werbefrei der Kommodifizierung ein Konzept für den verträglichen Umgang mit Werbeflächen im öffentlichen Raum entgegen. Die wichtigsten Änderungen lassen sich so zusammenfassen:
1. Produkt- und Dienstleistungswerbung im öffentlichen Raum wird stark eingeschränkt. An der Stätte der Leistung, also zum Beispiel bei Geschäften und Handwerksbetrieben, kann für die dort erhältlichen Dienstleistungen und Produkte weiterhin geworben werden. Damit stärkt das Gesetz kleine und mittelständische Unternehmen in der Region.
2. Veranstaltungswerbung für Sport und Kultur sowie von gemeinnützigen Organisationen ist weiterhin an Litfaßsäulen, Haltestellen und ausgewiesenen Flächen erlaubt. Diese gesellschaftlich wichtigen und wertvollen Informationen erhalten dadurch mehr Aufmerksamkeit.
3. Displaywerbung – digitalisierte Werbung mit veränderlichen Bildern – soll im öffentlichen Raum nicht mehr auftauchen. Damit fällt eine wesentliche Gefahr im Straßenverkehr weg und Berlins Straßen werden wieder sicherer für alle Verkehrsbeteiligten.
4. Werbung an Kitas, Schulen und Hochschulen soll nicht mehr möglich sein. Für Sponsoring soll es transparente Regeln geben.
Zusammengefasst: Fastfood, Smartphones und Models in Unterwäsche werden fast vollständig aus dem Straßenbild verschwinden. Fußballspiele, Konzerte, Kunstausstellungen und Straßenfeste erhalten dagegen mehr Aufmerksamkeit, ebenso wie Einzelhändler und Fachgeschäfte.
Bäume statt Werbetafeln
Seit 2007 gilt in der brasilianischen Millionenstadt São Paulo ein Werbeverbot in der Öffentlichkeit. Die Stadt verbot die meisten Werbeschilder per Gesetz, nur wenige kleine Werbetafeln sind erlaubt.
Unter dem Motto „Bäume statt Werbetafeln“ begann die französische Stadt Grenoble vor drei Jahren mit der „Erfindung einer neuen, schöneren städtischen Lebensweise“. In Grenoble hat die Stadt die Werbeverträge gekündigt, um Platz für Bäume und Ankündigungen der Stadtbevölkerung zu schaffen.
Auch die Aktiven der Initiative „Berlin Werbefrei“ wünschen sich mehr Grün für Berlin. „Green Walls“, also begrünte Häuserwände, wären ihnen in jedem Fall lieber als weitere Werbewände der Firma Wall. Kunst am Bau könnte eine weitere ästhetische Alternative sein. In Deutschland wäre Berlin Vorreiter einer neuen Bürgerbewegung.
Die Initiative „Berlin Werbefrei“ hofft auf zahlreiche Unterstützung bei der aktuellen Unterschriftensammlung.
Jörn Alexander
Kontakt und weitere Informationen:
www.berlin-werbefrei.de