Das vielleicht nachhaltigste Land der Welt

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2021, Seite 20

Umweltpolitik in Kuba zwischen Verfassungszielen, Klimakrise, Sanktionen und Bürokratie

Solarmodul in einem abgelegenen Tabakbauernhof. (Foto: Sarah Buron)

„Eine wichtige biologische Spezies läuft Gefahr zu verschwinden aufgrund der schnell fortschreitenden Beseitigung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen: der Mensch.“ So deutlich wie kaum ein anderer Staatschef artikulierte Fidel Castro beim UN-Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 die Bedrohung, vor der die Welt steht. Nach der Revolution von 1959 wurden Umwelt und Natur in Kuba schon früh als wichtig erachtet. Heute steht der Inselstaat wie andere Länder des globalen Südens vor großen Herausforderungen besonders für die Wirtschaft. Hinzu kommt die starke Betroffenheit durch die Klimaerhitzung, zum Beispiel durch ausbleibenden Regen, zerstörerische Wirbelstürme und den Anstieg des Meeresspiegels.

Gegen „irrationales“ Produzieren und Konsumieren

Das findet seinen Niederschlag in der neuen kubanischen Verfassung von 2019, die nach zwei mehrmonatigen öffentlichen Partizipationsprozessen mit 86 Prozent der abgegebenen Stimmen angenommen wurde. Darin legt Artikel 13 als eines der Staatsziele fest: „Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, die gewährleistet: individuellen und kollektiven Wohlstand, die Erreichung eines höheren Niveaus an Gerechtigkeit und Gleichheit sowie die Erhaltung und Vermehrung der Errungenschaften der Revolution.“

In Artikel 16 heißt es zu den internationalen Beziehungen: „Die Republik Kuba fördert den Schutz und die Erhaltung der Umwelt und die Bewältigung des Klimawandels, der das Überleben der menschlichen Spezies bedroht, … und die Etablierung einer gerechten internationalen Wirtschaftsordnung sowie die Beseitigung irrationaler Muster von Produktion und Verbrauch.“

Papier ist auch in Kuba geduldig

Doch Papier ist geduldig, und auch in Kuba gibt es eine Diskrepanz zwischen den offiziellen Proklamationen und gesetzlichen Vorgaben einerseits und der Umsetzung in die Praxis andererseits. Das lässt sich vor allem mit den sehr begrenzten Finanzmitteln, die dem kubanischen Staat zur Verfügung stehen, und mit der Blockade durch die USA erklären. Daneben spielen aber auch bürokratische Strukturen, überforderte Beamte und mangelndes Umweltbewusstsein bei Bürgerinnen und Bürgern eine Rolle. Eine neue Belastung sind die Folgen der Corona-Pandemie. Der Totalausfall des ökonomisch sehr wichtigen Tourismussektors verursacht extreme Engpässe in vielen Bereichen.

Schulkinder beim Umweltunterricht im Botanischen Garten in Pinar del Río. (Foto: Edgar Göll)

Gleichwohl wird in Kuba sehr viel für Umwelt- und Klimaschutz getan. Das zeigt sich auch im Vergleich mit anderen Ländern, wo Kuba meist sehr gut abschneidet. Der Anthropologe Jason Hickel und andere Wissenschaftler errechnen seit einigen Jahren den „Sustainable Development Index“ (SDI), den Index für nachhaltige Entwicklung, der soziale Indikatoren wie Lebenserwartung, Bildung und Einkommen mit ökologischen Parametern kombiniert. Der SDI-Bericht von 2019 identifizierte Kuba als das „am nachhaltigsten entwickelte Land der Welt“. Auch im aktuellen SDI ist Kuba unter den Top Ten, während Deutschland auf Platz 134 rangiert. Schon 2006 kam der „Living Planet Report“ des WWF zu dem Ergebnis, das Kuba das einzige Land ist, dass sowohl die sozialen als auch die ökologischen Entwicklungskriterien erfüllt.

Klimaschutz als „Lebensaufgabe“

Um den riesigen Herausforderungen durch die Klimaerhitzung zu begegnen, genehmigte Kubas Ministerrat 2017 den Klimaschutzplan „Tarea Vida“ (Lebensaufgabe). Zuständig für die Durchführung ist das Umwelt- und Technologieministerium, das umfangreiche Maßnahmen und Investitionen in die Wege geleitet hat. Geplant wird für verschieden lange Zeiträume: kurzfristig (2020), mittelfristig (2030), langfristig (2050) und sehr langfristig (2100). Die Umsetzung erfolgt auf allen administrativen Ebenen und in allen Provinzen. Der ganzheitliche, systemische Ansatz umfasst alle wesentlichen Bereiche von der Wasserverfügbarkeit und -nutzung über Wiederaufforstung zum Wasser- und Bodenschutz, Schutz und Sanierung der Korallenriffe, erneuerbare Energien und Energieeffizienz bis zu Nahrungsmittelsicherheit, Gesundheit und Tourismus. Das wirkt sich beispielsweise auf die Bauplanung aus, indem Neubauten nicht mehr in Küstennähe erlaubt sind.

Solche Pläne einzuhalten setzt viel voraus und dürfte nur selten im vorgesehenen Zeitraum und Umfang gelingen. In den Provinzen und Kommunen, wo an der Umsetzung gearbeitet wird, ist der Klimaplan durchaus so etwas wie Tagesgespräch und stark präsent. Dazu tragen die sogenannten Massenorganisationen bei, wie Frauenverband, Gewerkschaften, Studierendenverbände, die lokalen CDR-Nachbarschaftsorganisationen und die Gremien und Mitglieder der Kommunistischen Partei. Aktiv sind hier auch zivilgesellschaftliche Institutionen wie FANJ, Ecovida sowie zahlreiche Genossenschaften und in Privatinitiative gestartete Projekte wie Organoponicos (Urbane Landwirtschaft). Daran beteiligen sich auch Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

Pestizidfreie Landwirtschaft

Ein kleines Beispiel für ein Erfolgsmodell ist die Bienenzucht. Während Imker weltweit über schwindende Bienenpopulationen klagen, geht es den Bienenvölkern in Kuba sehr gut. In Kuba gibt es ausschließlich „Bio“-Honig, weil nach dem Wegfall der wichtigsten Handelspartner 1991 und wegen der seit 60 Jahren andauernden US-Blockade die kubanischen Landwirte kaum noch Pestizide einsetzen konnten. Dadurch ist heute fast die gesamte kubanische Landwirtschaft pestizidfrei. Laut Thomas Friedrich vom US-Landwirtschaftsverband kostet ein Kilo kubanischer Honig auf dem Weltmarkt 3,24 US-Dollar, „mehr als doppelt so viel wie der fair geschätzte Weltmarktpreis“.

Urban Farming: Kleinlandwirtschaft in Havanna. (Foto: Daniel Pilar)

Gemessen an den schwierigen Rahmenbedingungen konnte Kuba in der Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitspolitik bisher erstaunliche Ergebnisse erzielen. Die insgesamt positiven Ansätze für „Zukunftsfähigkeit“ sind besonders bemerkenswert, berücksichtigt man die andauernden Sanktionen und Blockademaßnahmen der US-Regierungen, die unter dem letzten Präsidenten Donald Trump extrem verschärft wurden. Wie viel weiter wäre Kuba wohl in Sachen Nachhaltigkeit, gäbe es nicht den Destruktionsdruck und die Bedrohungen von außen?

Mangrovenwälder werden wiederhergestellt

Erfreulich sind zahlreiche Projekte, die von den Vereinten Nationen, ausländischen Regierungen und Nichtregierungsorganisationen in Kuba unterstützt werden. Beispielsweise fördert der Grüne Klimafonds der Vereinten Nationen ein 30-Jahres-Projekt zur Wiederherstellung von 15.000 Hektar Mangroven, Sumpfwald und Sumpfgras. Ein zweites, siebenjähriges Vorhaben soll die lokale Lebensmittelproduktion verbessern und 240.000 Menschen in besonders gefährdeten Gemeinden zugutekommen. Auch Organisationen aus Deutschland führen Nachhaltigkeitsprojekte in Kuba durch.

Edgar Göll

Weitere Informationen:

Edgar Göll: Kuba auf dem Weg zur Zukunftsfähigkeit? ISW-Report 122, München 2020. www.isw-muenchen.de/reporte

www.sustainabledevelopmentindex.org

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