„Der kurze Herbst der Utopie“

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2021, Seite 2

Ein Narrativ der jüngeren deutschen Vergangenheit wird in einer Ausstellung kritisch beleuchtet

„Mit der Maueröffnung war die politische Kraft weg.“ (Foto: Peter Himsel)

Eine sehenswerte Ausstellung wird in der zweiten Novemberwoche im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin-Prenzlauer Berg eröffnet. Hier haben 56 gemeinnützige Initiativen und Organisationen ihren Arbeitsort und verfolgen in gegenseitiger Toleranz ihre Ziele: politische Bildung, Ökologie, Engagement für Menschenrechte und politische Selbstbestimmung. Mit Projekten und Aktionen, oft auch mit internationaler Ausrichtung, versuchen sie diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Das Haus hat keine typische Büroatmosphäre, es ist vor allem ein Gemeinschafts- und Bewegungshaus, das neuen Ideen und Projekten Raum bietet. Finanziert wird es ausschließlich durch die Vermietung der Räume und durch Spenden, die jedoch zuletzt stark zurückgegangen sind. Deshalb sind Ehrenamtliche eine große Unterstützung.

Durch die Pandemie befindet sich vieles erst wieder im Aufbau. Die Akteure wollen das Haus weiter mit Leben füllen und weisen ausdrücklich darauf hin, dass Räume allen Interessierten – auch kurzfristig – zur Verfügung gestellt werden können. Die Infrastruktur vor Ort bietet Hilfe und Unterstützung in verschiedenen Bereichen. Kooperationen mit externen Projekten sind erwünscht.

Gemeinsame Geschichte

In der DDR war es für oppositionelle Gruppen schwer bis unmöglich, Kritik und Einsprüche zu äußern. Die meisten konnten nur im Schutz der Kirche, abgeschirmt von der Gesellschaft, ihren Tätigkeiten nachgehen. Als dann jedoch im Dezember 1989 das „Haus der Demokratie“ in der Friedrichstraße dem vorherigen Mieter, der Regierungspartei SED, abgerungen wurde, gab es endlich einen öffentlichen Raum für neue Meinungen und Ideen. Das Haus wurde in die Hände der ostdeutschen Bürgerbewegungen übergeben. Etliche Oppositionsbewegungen waren die tragende Kraft des Ortes, viele auch mit Fokus auf ökologische Probleme, weswegen die Geschichte des Hauses auch mit der Geschichte der Grünen Liga verbunden ist.

Die Grüne Liga hat ihre Wurzeln in kirchlichen Umweltgruppen und staatlich geduldeten Naturschutzgruppen, die nun ihre Kraft bündeln wollten. Einige Tage nach dem Fall der Berliner Mauer wurde der „Gründungsaufruf für eine Grüne Liga“ verfasst. Angetrieben von den drängenden Aufgaben des Umweltschutzes wurde das Netzwerk am 3. Februar 1990 offiziell gegründet und gehörte dann zu den Gründungsorganisationen des Hauses der Demokratie. Auch nach dem Umzug 1999 in das neue „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ ist die Bundesgeschäftsstelle der Grünen Liga weiterhin in dem Gebäude zu finden und setzt sich für die „Ökologisierung der Gesellschaft“ ein.

Lohnenswerter Besuch

Die kollektiv konzipierte Ausstellung „Der kurze Herbst der Utopie“ will dem Wende-Narrativ ein eigenes Erinnerungskonzept gegenüberstellen. Gestaltet wurde sie von Menschen und Gruppen, die 1989 selbst Geschichte (mit-)gemacht haben. Thematisiert wird, welchen Anteil oppositionelle Gruppen des Herbstes 1989 am gesellschaftlichen und politischen Umbruch hatten, dem die bürokratische Oberschicht schlussendlich nicht mehr standhalten konnte. Behandelt werden außerdem Alltag und Krisen in der DDR sowie deren Übergang in den Westen. Hierbei werden Teile der Geschichte beider Seiten dargelegt und beurteilt.

Eine Chronik mit ausgewählten Ereignissen gewährt spannende Einblicke in die Jahre 1989/90. Durch die Ausstellung führen Informationstafeln, unter anderem mit persönlichen Erlebnisberichten. Beigefügt sind einzigartige Schwarz-Weiß-Fotografien, die realistisch und unverstellt Einblick in Vergangenes geben. Bei dem einen oder anderen Bild werden vielleicht auch persönliche Erinnerungen wach.

Zwei Zeitzeugen, die gleichzeitig Haus-Vorstandsmitglieder sind, teilen persönliche Erinnerungen mit, die bei der Arbeit in dem Projekt hochgekommen sind: Heidemarie Kruschwitz ist Historikerin, seit über 20 Jahren im Haus tätig und hat die Ausstellung mitorganisiert. Sie hat ebenso in der DDR gelebt wie ihr Kollege Dirk Wassersleben. Während sie lächelnd an die „hochinteressante und spannende Zeit“ zurückdenkt, beleuchtet er die politische Veränderung, die mit der Wende einherging. Als es zur Grenzöffnung kam, wurde die Kraft der Opposition abgeleitet und bei vielen schwand die Motivation, etwas zu verändern, erinnert er sich. „Diese ganze politische Kraft war dann plötzlich weg“, erläutert Wassersleben. Die Menschen hätten dann neue Interessen gehabt.

Wenn schon bei diesen beiden Zeitzeugen verschiedene Wahrnehmungen der Vergangenheit zur Sprache kommen, kann das Publikum gespannt auf seine eigenen Gedanken und Bilder beim Besuch der Ausstellung sein.

Ausstellung ab 11. November

„Der kurze Herbst der Utopie“ soll jährlich für mehrere Wochen zu sehen sein. In diesem Jahr läuft die Ausstellung vom 11. bis zum 30. November. Die Arbeitsgruppe hinter dem Projekt freut sich, vielen Interessierten und auch jungen Leuten einen Einblick in den kurzen Herbst der Utopie zu geben und das Haus, in dem auch in Zukunft viele neue Ideen entstehen sollen, der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Kaya Thielemann 

Ausstellung vom 11. bis 30. November werktags 10-17 Uhr im Foyer des Hauses der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg. Bitte kurz vorher bei der Verwaltung melden.
www.hausderdemokratie.de

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