Aus DER RABE RALF Februar/März 2021, Seite 12
Der Dannenröder Forst ist zum Symbol für die fehlende Verkehrswende in Deutschland geworden
Kaum ein Wald spaltete die Gesellschaft so sehr wie der Dannenröder Forst in Hessen, der für den Ausbau der Autobahn A49 weichen musste. Während die einen auf Entlastung der Verkehrssituation und wirtschaftlichen Aufschwung hoffen, sind neue Autobahnkilometer für Klimaschützer:innen nur ein weiteres Beispiel für das Versagen der Bundesregierung in der Klimakrise. Monatelang lebten Aktivist:innen deshalb in Baumhäusern im Wald, errichteten Barrikaden und Tripods, besetzten Strukturen und protestierten auf friedliche Art und Weise gegen den Autobahnbau. Anfang Oktober begann dann die Rodungssaison und damit die Räumung des Waldes durch die Polizei. Seitdem berichteten die Medien regelmäßig von Gewalt auf beiden Seiten, die die Proteste überschattete. Mittlerweile ist der letzte Baum gefallen und eine große Schneise durchzieht den Wald. Dennoch verbuchen die Aktivist:innen die Besetzung größtenteils als Erfolg.
Der Rabe Ralf sprach mit einem Aktivisten aus dem Dannenröder Forst über Klimaschutz, Polizeigewalt und die Zukunft der Proteste.
Der Rabe Ralf: Riva, vielleicht möchtest du dich kurz vorstellen?
Riva: Ich bin Riva Morel, habe im Frühjahr letzten Jahres mein Abitur gemacht und bin aktuell unter anderem für die Anti-Kohle-Kidz als Pressesprecher tätig. In letzter Zeit war ich mehrmals im Dannenröder Forst, um die Proteste vor Ort zu unterstützen.
Was erhofft ihr euch von den Protesten?
Wir kämpfen in erster Linie gegen den Ausbau der Autobahn A49, die zwischen Neuental und Gemünden (Felda) in Mittelhessen um etwa 60 Kilometer verlängert werden soll. Die geplante Strecke soll mitten durch den Dannenröder Forst führen, einen gesunden Mischwald, der gleichzeitig natürlich auch ein Symbol für ein intaktes Ökosystem ist. Es kann eigentlich nicht sein, dass im Jahr 2020 ein Wald für eine Autobahn weichen muss. Autobahnen sind gerade in Zeiten der Klimakrise nicht die Zukunft, der Wald in gewisser Weise aber schon. Die Rodungen im „Danni“ spiegeln gleichzeitig das Versagen der Politik wider, die den Bau einfach so hinnimmt – und das, obwohl die Grünen in Hessen Regierungspartei sind. Ich denke, durch die Proteste haben wir sehr gut gezeigt, dass der Bau einer Autobahn im Jahr 2020 keine zeitgemäße Lösung mehr für ein zu hohes Verkehrsaufkommen ist und wir stattdessen eine schnellstmögliche Verkehrswende brauchen.
Wann hast du dich entschieden, an den Protesten teilzunehmen, und warum?
Ich habe erst relativ spät von den Protesten erfahren, ich glaube, im Herbst letzten Jahres. Damals haben mir mehrere Leute von der dortigen Situation berichtet, die ja schon Ähnlichkeiten zu der im Hambacher Forst vor zwei Jahren aufwies. Der Hambacher Forst sollte damals ja von dem Energiekonzern RWE gerodet werden, um dort Braunkohle abzubauen. Daraufhin habe ich beschlossen, selbst hinzufahren und mir die Situation im Danni mal anzuschauen. Insgesamt war ich dreimal vor Ort. Das erste Mal nur für drei, vier Tage, weil ich ziemlich schlecht ausgerüstet war und mir die niedrigen Temperaturen doch sehr zu schaffen gemacht haben. Danach war ich noch zweimal dort, zuletzt Anfang Dezember.
Warst du in einem Baumhaus oder in einem der Camps?
Ich war vor allem in den Camps, wo ich meist im Pressebereich tätig war. Dort habe ich zwar auch klettern gelernt, war aber nicht in den Baumhäusern oder habe mich von Strukturen räumen lassen
Wie sah der Alltag in den Camps aus?
Prinzipiell wird in dem Wald eine alternative Lebensform gelebt. Man kann sich den Tag also grundsätzlich unabhängig und individuell gestalten. Meist gab es zwischen neun und zehn Uhr Frühstück und parallel dazu ein Camp-Plenum, wo Aufgaben verteilt wurden, die erledigt werden mussten. Dann hat man sein Zeug ein bisschen zusammengepackt und ist in den Wald gegangen, wo man bei der Errichtung von Barrikaden helfen oder Bodensupport bei den Räumungen leisten und Strukturen besetzen konnte. Es gab auch die Möglichkeit, eine Schicht in der Küfa, der Küche für alle, zu übernehmen, die uns mit drei Mahlzeiten pro Tag versorgt hat. Manchmal gab es geplante Aktionen, die den Tag ein bisschen strukturiert haben, die meisten Aktionen sind aber eher spontan entstanden. Ich war jedes Mal, wenn ich aus dem Wald zurück in die Stadt kam, von den geregelten Abläufen total überfordert, weil man sich ziemlich schnell an diese Autonomie dort gewöhnt.
Was war dein schönster Moment im Wald?
Ich glaube, den habe ich bei der „Ende Gelände“-Aktion erlebt. Das war am Tag meiner Abreise, es war schon relativ spät und ich hatte nicht mehr viel Zeit, bevor ich losmusste. Den ganzen Tag über gab es Stress mit der Polizei, die eigentlich angekündigt hatte, dass sie erstmal nicht ausrücken wird. Als wir dann ein bisschen in die Nähe von ihrem umzäunten Gebiet gerückt sind, sind sie dann doch ausgerückt und haben uns provoziert und eingekesselt. Durch die Aktion von Ende Gelände waren wir so um die 800 Menschen und konnten die Polizist:innen dann wieder zurückdrängen, weil wir so viele waren. Nach diesem Erfolg haben wir die letzten Strukturen besetzt, jemand hat Musik angemacht und wir haben alle zusammen getanzt. Obwohl es unfassbar kalt war und wir wussten, dass nur noch wenige Bäume stehen, war die Stimmung total gelöst. Ich glaube, es sind die Momente, in denen man den Zusammenhalt und die Kraft einer Bewegung spürt, die so besonders sind.
In den Medien wurde immer wieder von hoher Gewaltbereitschaft sowohl vonseiten der Polizei als auch bei den Aktivist:innen berichtet. Wie hast du das wahrgenommen? Hattest du mit Polizeigewalt zu tun? Du sitzt hier gerade mit einer FCK-CPS-Mütze neben mir …
Durch das Presseecho wurde größtenteils das Gefühl vermittelt, die Besetzer:innen seien total gewaltbereit und radikal, was aber absolut nicht der Fall war. Die Gewalt ging eigentlich fast ausschließlich von der Polizei aus. Ich selbst hatte zum Glück keinen persönlichen Kontakt mit Polizeigewalt, habe sie aber sehr wohl beobachten und auch dokumentieren können.
Ich war zum Beispiel auch Anfang Dezember bei der Massenaktion zivilen Ungehorsams von Ende Gelände dabei. Ich war dort Pressesprecher und habe auch gefilmt, wie Menschen geschlagen und getreten wurden und wie Pfefferspray gegen Menschen eingesetzt wurde. Ein anderes Mal wurden Tripod-Beine nacheinander gekürzt, was für die ungesicherten Aktivist:innen dort oben lebensgefährlich ist. In einer solchen Situation ist es ja auch zu dem Unfall gekommen, bei dem eine Aktivistin aus vier Metern Höhe abgestürzt ist. Zudem haben mir verschiedene Personen berichtet, dass Menschen in 22 Metern Höhe getasert, also mit einem Elektroschocker behandelt wurden. Häufig wurden auch die Sicherheitsseile von Baumhäusern durchgeschnitten, sodass die Aktivist:innen dort oben ungesichert waren und zum Teil durch Baumfällung auch abgestürzt sind.
Die Gewalt ging also eher von der Polizei aus, was sich in den Medienberichten allerdings nicht so richtig widergespiegelt hat, wahrscheinlich auch, weil oft einfach die Pressemitteilungen der Polizei übernommen und veröffentlicht wurden.
Warst du dabei, als der letzte Baum gefällt wurde?
Als der letzte Baum gefällt wurde, war ich leider nicht mehr vor Ort, es soll aber ein unfassbar emotionaler Moment gewesen sein. Bevor ich das letzte Mal nach Hause gefahren bin, standen noch um die 30 Bäume und es war da schon ein sehr beklemmendes Gefühl in der Schneise.
Obwohl in der Schneise kein Baum mehr steht, haben sowohl das Aktionsbündnis „Keine A49“ als auch das Bündnis „Wald statt Asphalt“ angekündigt, dass die Proteste und der Widerstand weitergehen werden. In welcher Form?
Alle Menschen, die dort sind, wissen, dass diese Autobahn noch nicht gebaut ist. Bis jetzt ist ja „nur“ der Wald gerodet worden, was wir leider trotz aller Bemühungen nicht verhindern konnten, aber wir kämpfen ja auch für eine Verkehrswende. Die Autobahn soll erst 2024 fertiggestellt werden und bis dahin werden die Proteste auf jeden Fall weitergehen. Vielleicht nicht mehr in Form von Baumbesetzungen, aber stattdessen durch Sitzblockaden oder Demonstrationen.
Zum Beispiel wurde gerade ein Protestcamp im Herrenwald geräumt, das in den letzten Tagen erst aufgebaut worden war. Wir sind also weiterhin aktiv und die Aktionsformen sind sehr verschieden, aber es ist ziemlich schwierig, solche Aktionen vorauszusehen. Durch die autonomen Strukturen im Wald ist das mit dem Planen so eine Sache, viele Aktionen entstehen spontan. Natürlich gibt es hin und wieder solche Massenaktionen wie die von Ende Gelände, die dann auch eine gewisse Planung und Struktur benötigen, aber ansonsten setzt sich eigentlich keiner hin und plant so was zehn Wochen im Voraus.
Fakt ist aber, dass wir nicht aufgeben werden. Es sind deutschlandweit noch 800 weitere Kilometer Autobahn geplant. Fest steht, dass jeder einzelne dieser 800 Kilometer von massivem Widerstand begleitet sein wird, in welcher Form auch immer
Wie kann man die Bewegung unterstützen? Gibt es auch Möglichkeiten, beispielsweise aus Berlin etwas zu den Protesten beizutragen oder sich zu engagieren?
Wer Lust und Möglichkeiten hat, in den Danni zu fahren und die Bewegung vor Ort zu unterstützen, sollte das unbedingt tun, es ist auf jeden Fall eine krasse Erfahrung. In den Camps finden auch immer wieder Vorträge statt, man kann an Workshops teilnehmen und es gibt viele gemeinsame Spaziergänge durch den Wald.
Wer dafür keine Zeit hat, könnte zum Beispiel auf Demonstrationen gehen, die manchmal in den größeren Städten organisiert werden, auch in Berlin. Ansonsten sind auch Spenden immer willkommen, hier ist es aber am besten, wenn man sich vorher auf den Webseiten von „Wald statt Asphalt“ oder „Keine A49“ informiert, was gerade gebraucht wird. Während der Besetzungsaktionen fehlt es beispielsweise häufig an warmer Kleidung und an Lebensmitteln, da gerade die Küfa auf Spenden angewiesen ist.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Lenja Vogt
Weitere Informationen:
www.stopp-a49-verkehrswende-jetzt.de
www.wald-statt-asphalt.net
Autobahnproteste in Berlin:
www.a100stoppen.de