Digitalzwang

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2023, Seite 7

Das 49-Euro-Ticket gibt es weder am Schalter noch am Automaten

Beim Neun-Euro-Ticket war alles einfach – zu einfach. (Foto: Igor Calzone/​Wikimedia Commons)

Das Deutschlandticket für 49 Euro ist eine gute Sache. Es hat allerdings für einige Menschen einen „kleinen Haken“. Es lässt sich leider nicht in Papierform am DB-Fahrkartenautomaten oder am Schalter kaufen.

Das alte, billige Neun-Euro-Ticket konnten die Kunden und Kundinnen noch problemlos monatlich auf Papier bekommen. Das neue, wesentlich teurere Ticket gibt es digital auf dem Smartphone oder als Chipkarte – und nur während einer Übergangsfrist bis Jahresende bei wenigen Verkehrsverbünden auch als QR-Code auf Papier, und das sehr kompliziert. Die FDP hat in der Ampel-Regierung erreicht, dass das Deutschlandticket als digitales Abonnement – auch mit Scheckkarte – angeboten wird. Eine Bestellung muss immer bis zum 15. des Vormonats erfolgen. Abonnements werden von der DB nicht an Fahrkartenautomaten verkauft.

Eine gezielt technokratische Regelung

Eine Anfrage am Schalter meines Heimatbahnhofs zeigte, dass viele Menschen von dieser gezielt technokratischen Lösung genervt sind und lieber ein einfaches Papierticket am Bahnschalter oder am Automaten wollen. Für sie gibt es aktuell nur noch ein „Schlupfloch“: die Chipkarte in der Mitte des Vormonats kaufen und das Abo sofort wieder abbestellen. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

Digital ist generell okay – aber nur, wenn wir die Wahl haben und nicht dazu gezwungen werden. Und genau für diesen Zwang steht das von der FDP gezielt durchgesetzte Vertriebsmodell der Bahn. Ältere und teilweise eingeschränkte Menschen sowie alle, die sich aus anderen Gründen aus digitalen Prozessen heraushalten, werden dadurch ausgeschlossen und diskriminiert. Laut Statistischem Bundesamt gibt es zurzeit mehr als 3,4 Millionen Menschen in Deutschland, die nach wie vor offline leben. Nicht nur bei der Bahn werden sie immer mehr zu ihrem „digitalen Glück“ gezwungen.

Warum nicht anbieten, was die Leute wollen?

Lieber Verkehrsminister Wissing, wie wäre es mit einer nicht konzerngelenkten, menschenfreundlichen Technologieoffenheit? Oder Sie lassen beim Ticketkauf einfach mal den Markt und die Menschen entscheiden.

Wir sollten uns den Digitalzwang beim 49-Euro-Ticket nicht gefallen lassen. Das Deutschlandticket ist in seiner jetzigen Vertriebsform ein guter Anwärter für den nächsten „Oscar für Datenkraken“, den Big Brother Award, und ein Fall für die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung.

Axel Mayer

Weitere Informationen: www.digitalcourage.de/digitalzwang

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