„Digitaler Landraub“ im Nationalpark

Aus DER RABE RALF April/Mai 2021, Seite 20

Digitale Technologien können illegale Landnahme in ärmeren Ländern fördern, ergibt eine Studie

Felder in Indonesien: Erst kommen die Drohnen, später die Drohungen. (Foto: Tom Fisk/Pexels)

Unsichere Grundbesitzverhältnisse, Korruption und andere weit verbreitete Probleme im Zusammenhang mit Landrechten in Entwicklungsländern lassen sich durch Digitalisierung beheben, so lautet ein Versprechen. Doch wie eine Untersuchung der Menschenrechtsorganisation Fian ergab, können digitale Technologien ungleiche Eigentumsverhältnisse und Landraub fördern. Während mächtige Großkonzerne auf dem jüngsten Weltwirtschaftsforum über „Tech for Good“ (Technologie für das Allgemeinwohl) diskutierten, zeigt die Fian-Studie, dass Digitalisierung die Ungleichheit auf dem Land vergrößern und als Mittel zum Landraub missbraucht werden kann.

Für die Studie wurden Projekte und Entwicklungen in Brasilien, Indonesien, Georgien, Indien und Ruanda untersucht. Die Ergebnisse dokumentieren, wie Digitalisierung dazu beiträgt, vorhandene Formen von Ausgrenzung zu verschärfen.

Mit Drohnen und GPS-Geräten

Digitale Technologien werden immer häufiger für die Verwaltung und das Management von Land eingesetzt. Zum Beispiel wird Land mit GPS-Geräten und Drohnen kartiert und abgegrenzt. Informationen zu Landbesitz und Landnutzung werden in digitalen Registern und Katastern gespeichert. Schließlich werden digitale Anwendungen und Plattformen zur Anbahnung und Abwicklung von Landtransaktionen genutzt und beeinflussen so auch die Politik. Die Digitalisierung im Kontext von Land hat große Auswirkungen auf den Zugang zu dieser wichtigen Ressource, auf ihre Nutzung und Kontrolle.

So nutzen Großunternehmen und lokale Eliten die neuen Technologien mitunter, um sich Land zu sichern und lokale Gemeinden zu vertreiben. Ein Beispiel ist der 700.000 Hektar große Mirador-Nationalpark im Nordosten Brasiliens, wo sich Agro-Unternehmen mithilfe digitaler Kataster Land in Naturschutzgebieten illegal angeeignet haben. Mehrere hundert Familien, die dort seit Generationen leben, wurden infolge des „digitalen Landraubs“ vertrieben.

Ein zweites Beispiel ist die sogenannte Blockchain-Technologie, die Kryptowährungen wie Bitcoin zugrunde liegt. In mehr als 20 Ländern wird mit Blockchain-Anwendungen im Landmanagement experimentiert. Mit der „Spitzentechnologie“ soll es angeblich möglich sein, grundlegende Probleme im Landsektor nahezu auf einen Schlag zu lösen. Die verfügbaren Informationen über die verschiedenen Blockchain-Projekte deuten jedoch darauf hin, dass sich die Technologie bisher als wenig effektiv erwiesen hat. Viele Vorhaben sind ins Stocken geraten oder werden nicht weitergeführt.

Türöffner für private Unternehmen

Ein weiteres Ergebnis: Obwohl der Zugang zu Land für das Wohl der ländlichen Bevölkerung und für grundlegende Menschenrechte entscheidend ist, werden bei vielen Digitalisierungsprojekten keine Vorkehrungen zum Menschenrechtsschutz getroffen. Doch ohne einen klaren Fokus auf die Menschenrechte und das öffentliche Interesse sind die Nutznießer der ländlichen Digitalisierungsprojekte vor allem Agro- und Hightech-Unternehmen, während benachteiligte Gruppen das Nachsehen haben.

Die analysierten Fälle zeigen auch, dass Digitalisierung oft mit einer Übertragung von Kompetenzen des Staates auf private Akteure einhergeht. In Georgien beispielsweise betreibt ein niederländisches Unternehmen die Blockchain-Infrastruktur, die als Grundlage für die digitale Landverwaltung dienen soll. Diese und andere öffentlich-private Partnerschaften geben Anlass zu ernsthafter Besorgnis. Die Schlüsselstellung der Privatunternehmen untergräbt die öffentliche Kontrolle über grundlegende Dienstleistungen und Güter.

Wie die Fian-Untersuchung auch ergab, ist viel Geld im Spiel. Internationale Geber stellen Hunderte Millionen US-Dollar für den Einsatz digitaler Technologien im Landsektor zur Verfügung. Allein die Weltbank investiert und verleiht mehr als eine Milliarde Dollar für Landprojekte mit Digitalisierungskomponente in afrikanischen Ländern südlich der Sahara sowie in Süd- und Südostasien.

„Die gegenwärtige Anwendung von digitalen Technologien verstärkt häufig Ungleichheiten im Landsektor“, fasst Philip Seufert, einer der Autoren, die Studie zusammen. „Das ist kein Tech for Good, sondern Tech for Profit.“ Dabei seien digitale Technologien nicht von vornherein gut oder schlecht, betont er. Wenn aber bei ihrem Einsatz die Menschenrechte vernachlässigt werden, dann profitiere nur eine kleine Gruppe mächtiger Unternehmen und Eliten, warnt der Experte. „Ländliche Gemeinden hingegen laufen Gefahr, ihr Land und ihre Existenzgrundlage zu verlieren.“

Landverteilung bleibt ungerecht

Digitalisierung, wie etwa die Einführung digitaler Kataster, wird als Königsweg zur Lösung der Probleme beim Landmanagement angepriesen. Doch die Projekte in den fünf Ländern, die in der Studie analysiert wurden, zeigen: Oft dienen solche Digitalisierungsinitiativen in erster Linie dazu, Land für Finanzinvestitionen attraktiv zu machen.

Die Verteilung von Land ist ein Indikator für soziale Ungleichheit. Seit der Finanzkrise von 2008, die einen weltweiten Ansturm von Investoren auf Land ausgelöst hat, kommt es wieder häufiger zur Vertreibung lokaler Gemeinden. Unsicherer Zugang zu Land ist eine wichtige Ursache für Armut und Hunger. Dagegen lässt sich nur ankommen, wenn die strukturellen Probleme bekämpft werden, zum Beispiel die äußerst ungleiche Landverteilung und der mangelhafte Schutz der Landrechte ländlicher Gemeinden.

Es ist nicht hinnehmbar, dass Regierungen und Entwicklungsbanken den Einsatz digitaler Technologien im Landsektor vorantreiben, ohne international akzeptierte Menschenrechtsstandards zu berücksichtigen. Es ist unverantwortlich und gefährlich, wenn strukturelle Diskriminierung allein mit technischen Lösungen bekämpft werden soll. Verschlimmert wird die Lage durch die zumeist mangelhaften Beteiligungsmöglichkeiten der Betroffenen.

Mathias Pfeifer  

Studie (PDF, 40 Seiten, englisch)
Weitere Informationen: www.fian.de

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