Eidechsengrab

Aus DER RABE RALF April/Mai 2023, Seite 1

Mit dem Ausbau des Friedhofs Gatow nimmt der Senat die Tötung geschützter Zauneidechsen in Kauf

Zauneidechse. (Foto: Serhij Miroschnyk/​Wikimedia Commons, CC by-sa 4.0)

Die Zauneidechse (Lacerta agilis) lebt bevorzugt in den durch den Menschen geprägten Kulturlandschaften. Sie ist vor allem in Mittel- und Osteuropa sowie in Vorderasien anzutreffen. Durch ihren kurzen Kopf, ihre kräftige Gestalt und ihre durchschnittliche Länge von 20 bis 25 Zentimetern unterscheidet sie sich deutlich von der viel zierlicheren Mauereidechse. Während der Fortpflanzungszeit ist das Männchen durch seine leuchtend smaragdgrüne Farbe besonders auffällig. Unwillkürlich fühlt man sich an Dinosaurier erinnert. Doch während die großen Geschwister aus der Urzeit bereits ausgestorben sind, kann man die Zauneidechse noch bei uns antreffen. Noch. Denn die Art ist durch Flächenverlust und intensivierte Land- und Forstwirtschaft stark gefährdet. Per Gesetz ist sie daher streng geschützt. Das Töten von Zauneidechsen ist verboten.

Winterschlaf und Totenruhe

Der Landschaftsfriedhof Gatow Süd liegt am äußersten Rand von Spandau, einem Bezirk, der für die meisten Berliner am äußersten Rand der Stadt liegt. Seit vielen Jahren dient der Friedhof vor allem den muslimischen Gemeinden der Hauptstadt als letzte Ruhestätte. Von der Ruhe war in letzter Zeit aber nicht viel zu spüren, denn der Friedhof soll vergrößert werden. Bereits zu Beginn des Jahres rollten die Bagger an und machten sich ans Werk. Doch plötzlich herrscht wieder Stille. Was ist geschehen?

Ende Januar wandten sich drei Berliner Naturschutz-Landesverbände, BUND, Nabu und der Dachverband BLN, gemeinsam an die Öffentlichkeit, um darauf aufmerksam zu machen, dass der Ausbau des Friedhofs den Tod zahlreicher Zauneidechsen bedeuten würde, die auf dieser Fläche überwintern. Dies sei dem Straßen- und Grünflächenamt Spandau ebenso seit Langem bekannt wie der steigende Platzbedarf für muslimische Begräbnisstätten. Es sei versäumt worden, rechtzeitig nach geeigneten Alternativen zu suchen und die Umsetzung der Echsen gemäß Naturschutzrecht zu beantragen. Nun wolle sich das Grünflächenamt die Tötung der streng geschützten Tiere von der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt genehmigen lassen. Dann klagte der Nabu. Seitdem herrscht wieder Ruhe bei Toten, Echsen und Baggern. Wie lange?

Umsiedlung wäre möglich

Hier liege ein altbekanntes Problem vor, sagte Dirk Schäuble, Stadtnatur- und Artenschutzreferent des BUND Berlin, dem Raben Ralf. „Der Natur- und Artenschutz wird in der Stadtentwicklung selten rechtzeitig und ausreichend berücksichtigt.“ Der Friedhof in Spandau sei keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Dabei gibt es gerade in diesem Bezirk ein Beispiel für eine erfolgreiche Zauneidechsenumsiedlung: Das private Unternehmen Buwog Immobilien, eine Tochtergesellschaft der Vonovia, will einen Neubau für 320 Mietwohnungen und eine Kita am Brunsbütteler Damm in Spandau errichten. Auch hier auf einem Zauneidechsengebiet. Mit Hilfe eines Biologen konnten die Tiere aber an den 10 Kilometer entfernten Groß Glienicker See umgesiedelt werden. Stolz präsentiert das Unternehmen das Projekt in einem Werbevideo. Im Film tritt auch Anja Sorges auf. Die Leiterin des Umwelt- und Naturschutzamtes Spandau berichtet von einer erfolgreichen Zusammenarbeit.

Warum gelingt ausgerechnet einem privaten Investor das, woran die Stadt scheitert? Liegt es einfach am Geld? Immerhin trägt der Bauherr die Kosten von 150.000 Euro. Doch auch der Faktor Zeit spielt eine Rolle. Spandaus Grünflächenstadtrat Thorsten Schatz (CDU) hat angesichts des Baustopps ein Katastrophenszenario für Berlin gezeichnet: Sollte die Klage eine aufschiebende Wirkung entfalten, würden in Gatow mindestens ein bis zwei Jahre keine Bestattungen mehr stattfinden. Man wisse dann nicht, wohin mit den Leichen.

Auf die Frage, ob die Echsen nicht einfach zügig umgesiedelt werden können, erläutert Dirk Schäuble vom BUND: „Eine zeitnahe Umsiedlung der Zauneidechsen bei Winterstarre in den kalten Monaten birgt erhebliche Risiken für die Tiere und ist deshalb gefährlich. Wir setzen uns dafür ein, dass die Tiere erst in den warmen Monaten umgesiedelt werden.“

Die Berliner Umweltverwaltung wollte sich aufgrund des anhängigen Verfahrens nicht zum Sachverhalt äußern.

Die Arbeiten auf dem Landschaftsfriedhof Gatow ruhen, aber die Eidechsen sind weiter bedroht. (Foto: Justin Penzel)

Alle totschlagen?

Da muslimische Gräber nach Mekka ausgerichtet sein müssen, können sie nicht einfach in die „normalen“ Reihen von Friedhofsgräbern eingefügt werden. Größere Flächen müssen freigeräumt und eingerichtet werden. Dafür geeignete innerstädtische Friedhöfe sind seit Langem belegt. Auf bestehenden Friedhöfen islamische Gräberfelder einzurichten, ist islamrechtlich gesehen eigentlich nicht möglich, auch wenn es Ausnahmeregelungen gibt.

In bestimmten Teilen der Presse wurde der Fall Gatow zum Politikum erklärt. Plötzlich erscheint er als Kulturkampf zwischen der „deutschen Zauneidechse“ und den „fremden Muslimen“, die sich nicht einmal in unsere Friedhofsordnung integrieren wollen. Sind die Muslime mal wieder an allem schuld? Wer einmal ganz naiv im Internet nach der Erwähnung von Eidechsen in islamischen Schriften sucht, wird sich erst einmal erschrecken: In einigen der Hadithen, den Aussprüchen und Handlungen des Propheten Mohammed, scheint geradezu zum Massenmord an Eidechsen und Geckos aufgerufen zu werden. Man mache aber einmal die Gegenprobe und sehe einzelne Bibelstellen nach bestimmten Tierarten durch. Religiöse Texte können nur anhand ihres sozialhistorischen Kontextes verstanden werden, von einzelnen Passagen auf eine generelle „Eidechsenfeindschaft“ von Muslimen zu schließen, wäre populistisch.

Es empfiehlt sich, nicht über die Muslime zu sprechen, sondern mit ihnen. Mit Iman Andrea Reimann zum Beispiel. Sie ist Vorsitzende des Deutschen Muslimischen Zentrums Berlin, einer deutschsprachigen Gemeinde, die sich für den Dialog zwischen Muslimen und Nichtmuslimen einsetzt. Auf seiner Internetseite schreibt der Verein: „Uns eint unser Bekenntnis zum Islam, die deutsche Sprache und unser Lebensmittelpunkt in Berlin.“ Dass dieser Lebensmittelpunkt auch den Tod einschließt, weiß auch Iman Reimann, auch die diesbezüglichen hauptstadtspezifischen Probleme kennt sie nur zu gut: „Die Problematik für Muslime in Berlin besteht darin, dass es innerstädtisch kaum Gräberfelder gibt, und wenn welche zur Verfügung gestellt werden, sind sie in kürzester Zeit belegt.“ Als erweiterbare Möglichkeit bleibe deshalb nur Gatow, sagt sie und betont: „Das Problem der fehlenden islamischen Gräberstätten ist seit vielen Jahren bekannt.“ Zu den „eidechsenfeindlich“ wirkenden Hadithen gibt Iman Reimann zu bedenken, dass hier nicht allgemein von Eidechsen gesprochen wird und dass in der Praxis, etwa im asiatischen Raum, Hauseidechsen nicht getötet werden.

Iman Reimann will optimistisch bleiben: „Seit ein bis zwei Jahren sind einige Bezirke und die zuständige Senatsverwaltung an dem Thema dran. Die evangelische Friedhofsverwaltung hat auf einigen Friedhöfen islamische Gräberfelder eingerichtet. Auch hier wird sich zukünftig noch einiges ergeben. Aber es braucht Zeit und Geduld, bis alle verwaltungstechnischen Angelegenheiten geklärt und auf den Weg gebracht werden.“

Nekrophobe Hauptstadt

Berlin ist eine Stadt, die sich gerne jung, lebendig und dynamisch gibt. Der Tod hat hier keinen Platz. Im Gegenteil, immer mehr Friedhofsflächen sollen, wie unlängst der Georgen-Parochial-Friedhof III in Weißensee, zu Bauland werden. Auf Gräbern sollen Wohnungen errichtet werden. Dabei sind Friedhöfe nicht nur für die Toten da, sie sind lebendige, naturnahe Orte und Oasen der Biodiversität. Die Zauneidechsen in Gatow sind ein Symbol dafür.

Johann Thun

Weitere Informationen bei BUND Berlin und NABU Berlin

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