Aus DER RABE RALF August/September 2020, Seite 12
Was Sanitärversorgung mit globaler Gerechtigkeit und Bildung zu tun hat
Mindestens 20 Sekunden lang soll man sich gründlich die Hände waschen, um sich vor Corona-Viren und anderen Erregern zu schützen. Aber was, wenn man keine Seife und kein fließend Wasser hat – und im schlimmsten Fall nicht einmal eine Toilette? Der Zugang zu einer hygienischen Sanitärversorgung ist weltweit höchst ungleich verteilt.
Die German Toilet Organization (GTO) arbeitet seit 15 Jahren daran, das Toiletten-Tabu zu brechen. Beatrice Lange ist Projektkoordinatorin für Globales Lernen und erzählt im Interview, welche Bedeutung Toiletten haben und wie man sogar kichernde Jugendliche für das Thema begeistern kann.
Der Rabe Ralf: Beatrice, warum sind Toiletten so wichtig und welche Probleme entstehen, wenn es keinen Zugang zu hygienischen Toiletten gibt?
Beatrice Lange: Sobald man sich mit Sanitärversorgung tiefergehend beschäftigt, merkt man, welche weitreichenden Auswirkungen eine gute Versorgung hat, besonders in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Oder andersrum gesagt: Man sieht, was passiert, wenn man keine sichere Versorgung mit hygienischen Toiletten hat, wie es für ein Drittel der Weltbevölkerung der Fall ist. Gerade marginalisierte Gruppen wie Frauen und Kinder sind davon betroffen. Zum Beispiel, wenn sie Angst haben müssen, überfallen zu werden, wenn sie mal müssen, oder gar nicht erst zur Schule gehen während ihrer Menstruation.
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist nicht zu trennen von einer sicheren Abwasserentsorgung. Wir sprechen auch vom Themenbereich WASH, das heißt „water, sanitation, hygiene“. Weil in vielen Regionen der Welt die Wasserversorgung über einen Brunnen erfolgt, muss dort sichergestellt werden, dass das Wasser auch sauber und keimfrei ist. Sonst können sich Krankheitserreger ausbreiten. Außerdem ist der Zugang zu einer Toilette auch eine Frage der Menschenwürde.
Apropos Menschenwürde: Es gibt das Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung. Hilft dieser rechtliche Ansatz, reale Verbesserungen zu erreichen?
Dieses Menschenrecht ist noch relativ jung und wurde erst 2010 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen als eigenständiges Recht beschlossen. Das nimmt die Staaten noch konkreter in die Pflicht. Als Maßstab schafft das Menschenrecht einen Definitionsrahmen: Es muss eine Sanitärversorgung sein, die verfügbar ist, die zugänglich ist, erschwinglich, angemessen, mit einer gesicherten Qualität. Die Versorgung oder Dienstleistung muss auch langfristig bestehen, beispielsweise müssen notwendige Materialien immer verfügbar sein.
Das Recht bringt darüber hinaus eine Legitimation: Man kann sich als zivilgesellschaftliche Organisation darauf berufen, wenn man versucht, politische Aufmerksamkeit für das Thema zu bekommen. Es ist ja ein Tabu-Thema.
Was macht die German Toilet Organization, um die Sanitärversorgung zu verbessern?
Die ersten Mitarbeitenden haben beim Wiederaufbau nach dem verheerenden Tsunami von 2004 in Südostasien festgestellt, dass häufig Wissen zu nachhaltiger Sanitärversorgung fehlt. Daraus ist die Idee entstanden, einen Verein zu gründen, der sich für Umweltschutz und Gesundheit im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe weltweit einsetzt. Wir sind ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin, haben inzwischen mehr als 120 Mitglieder und freuen uns immer über weitere Unterstützung. Wir bilden Fachkräfte im In- und Ausland fort, wir entwickeln Materialien für die Hygieneaufklärung in Schulen und wir sind eine laute Stimme für das tabuisierte Thema in Politik und Öffentlichkeit.
Bei mangelhaften Toiletten denkt man erst einmal an den globalen Süden. Aber auch in Deutschland sind öffentliche Toiletten oft schlecht. Ihr habt vor allem Erfahrung mit Schultoiletten. Wie sehen die aus?
Es ist kein Geheimnis, dass Schultoiletten ein Problem darstellen und oft mit Frust und Ärger verbunden sind. Oftmals werden Schuldige für die Missstände gesucht. Aber uns geht es besonders um die Akzeptanz und die Wertschätzung. Die Probleme mit Schultoiletten werden seit der Gründung des Vereins an uns herangetragen. Wir als GTO können keine Einzellösungen anbieten, sondern die Schule muss mit allen Beteiligten überlegen, wie sie etwas verändern kann. Unser Wettbewerb „Toiletten machen Schule“ 2018/2019 hatte genau das Ziel, Schulen zum Einreichen von Konzepten einzuladen. Und mehr als 37.000 Schülerinnen und Schüler haben sich engagiert. Diese Konzepte sind jetzt in der Umsetzung.
Wie sieht eure Bildungsarbeit an Schulen aus? Wie sind die Reaktionen in den Klassen?
Nach unserem Verständnis ist die Schultoilette ein pädagogischer Ort, denn Schülerinnen und Schüler lernen dort Verantwortungsbewusstsein. Wir bieten ein entwicklungspolitisches Bildungsprojekt an, das nennt sich „Klobalisierte Welt“. Wenn wir in eine 7. Klasse kommen, reagieren oft manche erst angeekelt oder belustigt. Wir wagen dann zusammen den Blick über den Toilettenschüsselrand und nutzen die eigene Lebenswelt, um einen Perspektivwechsel zu erwirken. Die Schüler und Schülerinnen diskutieren über ihre Sanitäranlagen und ihre eigenen Anliegen. Und dann wird diese Situation mit Schulen weltweit verglichen. Das steigert auch noch mal die Wertschätzung, weil man merkt: Aha, ich habe den Zugang, ich habe Ressourcen und eine ausreichende Versorgung – wie gehe ich denn eigentlich damit um?
Die Schultoiletten sind ein Ort, an dem Schülerinnen und Schüler unbeobachtet sind, aber auch ein Ort, an dem sie Verantwortung übernehmen können. Wenn sie sich auf der Toilette wohlfühlen, gehen sie mit diesem Ort achtsamer um, es gibt zum Beispiel auch weniger Vandalismus. Vor allem geht es uns darum, dass die Kinder und Jugendlichen Teil einer globalen Welt sind, in der sie auch dazu beitragen können, dass es mehr Gerechtigkeit gibt.
Arbeitet ihr auch mit Organisationen im Ausland zusammen?
Wir kooperieren mit der GIZ, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, und mit lokalen Partnern beispielsweise in Pakistan, Uganda und Jordanien. Für das Projekt „Toilets Making the Grade“ haben wir unsere Erfahrungen mit Schultoiletten in Deutschland eingesetzt. Im Prinzip wurde der deutsche „Toiletten machen Schule“-Wettbewerb ins Ausland übertragen und von Organisationen vor Ort zusammen mit Schulen veranstaltet. Das Projekt soll Schulen dabei fördern, in einem selbst gestalteten Prozess ihre Probleme zu analysieren und darauf aufbauend ihre eigenen Lösungswege zu erarbeiten. Da sind tolle Ergebnisse zu sehen. Es ist eben nicht so, dass hier alles gut ist und woanders alles schlecht.
Wie sieht es denn mit den Schultoiletten weltweit aus?
Wenn 620 Millionen Kinder keine entsprechenden Toiletten und sauberes Wasser an ihren Schulen haben, dann trägt das zu einer mangelnden Bildung bei. Viele Mädchen verpassen den Unterricht oder gehen vorzeitig von der Schule ab, weil sie während der Menstruation nicht zur Schule gehen können, wenn keine hygienische Versorgung gewährleistet wird. Das ist ein großes Problem.
Wenn es keine Wasserversorgung vor Ort gibt, sind es oft Frauen und Kinder, die dafür zuständig sind, Wasser zu holen – was viel Zeit in Anspruch nehmen kann, die auch wieder für Bildung fehlt.
Toiletten sind also wichtig für Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheit und Gesellschaft. Aber wie ist es mit dem ökologischen Aspekt? Wie kann man nachhaltiger sein Geschäft verrichten?
Es geht um eine nachhaltige Versorgung, die ständig und unbegrenzt zur Verfügung steht, die aber auch die ökologischen Kreisläufe schützt. Es gibt Systeme, bei denen Fäkalien und Urin getrennt werden, die dann als Wertstoffe weiterverwertbar sind. Da gibt es viele unterschiedliche Modelle, wie Trocken-Trenntoiletten oder Kompost-Toiletten, sodass auch die Landwirtschaft davon profitieren kann. Fäkalschlamm kann vergoren werden, um Biogas zu gewinnen.
Es existieren auch zahlreiche Ideen, Wasser wiederzuverwenden. Auch hier wird an Schulen oft diskutiert, inwiefern man Regenwasser sammeln und nutzen kann.
Bei uns in Deutschland sind Wasserklosetts der Standard und viele sind schon verwirrt, wenn sie im Urlaub das Toilettenpapier in einen Eimer statt in die Kloschüssel werfen sollen. Unsere Vorstellungen sind also auch sehr von Normen geprägt. Die kann man aber nicht einfach woandershin übertragen, oder?
Bei der Wahl eines Toilettensystems spielen immer die Gegebenheiten vor Ort eine Rolle. Zum Beispiel die klimatischen Verhältnisse. Aber auch das Bewusstsein, dass die Toilette Kultur ist. Das heißt, dass verschiedene Handlungs- und Hygienepraktiken mit der Toilette in Verbindung stehen. Man kann nicht einfach zu den Leuten gehen und sagen: So, hier ist eine Spültoilette und die benutzt ihr jetzt. Es hängt immer davon ab, welcher soziokulturelle Kontext vorherrscht. So ist beispielsweise weltweit die Hocktoilette verbreiteter als die hiesige Sitztoilette. Die sogenannten „Wascher“ bevorzugen eine Reinigung mit Wasser, während „Wischer“ Klopapier benutzen. Hierbei spielt auch die Religion eine Rolle. Im Endeffekt muss ein System vor Ort funktionieren.
Wie geht es nach dem Corona-Lockdown für euch weiter? Welche Möglichkeiten haben Berliner Schulen, die sich jetzt für eure Bildungsarbeit interessieren?
Die Schulen mussten sich jetzt alle mit dem Thema Hygiene auseinandersetzen. Es gibt natürlich Vorlagen vom Senat, aber die Schulen stehen weiter vor großen Herausforderungen, den Infektionsschutz zu gewährleisten. Das begreifen wir auch als Chance, um gemeinsam das Thema auf die Agenda zu setzen und die „klobalen“ Auswirkungen der Corona-Krise zu betrachten. Ab diesem Schuljahr bieten wir wieder Projekttage an, bei denen die Schülerinnen und Schüler auch die eigenen Erfahrungen mit der Pandemie und den eigenen Hygienepraktiken reflektieren können.
Am Ende eines Projekttags steht immer eine gemeinsame Aktion, bei der die kreativen Ideen der Kinder und Jugendlichen im Vordergrund stehen. An Grundschulen kann das eine schulinterne Aktion wie eine Ausstellung sein. Mit den weiterführenden Schulklassen organisieren wir einen Kongress, der am Welttoilettentag stattfinden wird, am 19. November. Dabei werden alle Schulklassen, die in diesem Jahr einen Projekttag erlebt haben, zusammenkommen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Sarah Buron
Weitere Informationen:
www.germantoilet.org
Kontakt zum Bildungsprogramm Klobalisierte Welt:
E-Mail: klowelt@germantoilet.org
Übersicht zu Toilettensystemen (engl./frz.):
www.emersan-compendium.org