Filmkritiken

Aus DER RABE RALF Dezember 2021/Januar 2022, Seiten 22, 26

Tod eines Bauern

Der Film „Das Land meines Vaters“ zeigt die tödlichen Folgen der kapitalistischen Landwirtschaft

In einer Filmrezension sollte man eigentlich darauf verzichten, das Ende des besprochenen Films zu verraten. Diese Regel kann hier gebrochen werden: Der Bauer Pierre wird sich am Ende von Edouard Bergeons „Das Land meines Vaters“ umbringen. In schonungslos dokumentarischer Weise wird vorgeführt, warum der Protagonist glaubt, dies sei sein einziger Ausweg. Die Personen und die Handlung des Films sind nicht frei erfunden und etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht rein zufällig. 

Die Rückkehr der Leinwandbauern

Obwohl die Zahl der Bäuerinnen und Bauern in Deutschland und Europa stetig abnimmt, scheint es im Kino der letzten Jahre eine Renaissance von Filmen zu geben, die bäuerliche Akteure ins Zentrum der Darstellung rücken. Mit Grausen denkt man an die Heimatschnulzen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück, in denen immer ein zünftiger Landmann auftrat, der zwingend zum Lokalkolorit jedes bewegten Heile-Welt-Bilds gehörte. Die Bauern – hier meist männlich – wurden dabei so gut wie nie als selbstständig handelnde Personen vorgeführt, sondern dienten als Projektionsfläche für ein sich nach seligem Vergessen sehnendes Publikum. Proportional zu den auf den realen Äckern verteilten Güllemengen wuchs die auf den Leinwänden verspritzte Menge an zuckrigen Illusionen.

Natürlich gab es auch Ausnahmen. So begann mit dem schwedischen Stummfilm „Das Mädchen vom Moorhof“ (1917) eine ganz andere Tradition, an die immer wieder angeschlossen werden konnte. Nach und nach schienen die Bauern aber aus dem Kino zu verschwinden und man fand sie nur noch als liebenswerte Dorftrottel in Fernsehformaten wie „Bauer sucht Frau“. Das hat sich in den letzten Jahren geändert.

Wenn wir nur einmal das Jahr 2016 nehmen, finden wir mit „Die letzte Sau“, „Unterwegs mit Jacqueline“, „Saint Amour“ und „Jonathan“ gleich vier Filme, die im bäuerlichen Milieu spielen und durchaus erfolgreich waren. Über die Qualität dieser Werke soll hier nur gesagt werden, dass sie zum Teil zwischen grünen Wohlfühlfilmen (Unterwegs mit Jacqueline) und überdreht-gutgemeinten Satiren (Die letzte Sau) schwanken. Aber immerhin: Zumindest im Kino sah man sie wieder häufiger, die Menschen mit den schmutzigen Gummistiefeln. 

Ländliche Idylle

Auch „Das Land meines Vaters“ beginnt idyllisch. Es ist das Jahr 1979 und Pierre Jarjeau (Guillaume Canet) kommt aus den USA in seine nordwestfranzösische Heimat zurück. Hier will er den väterlichen Hof übernehmen. Es reihen sich zahlreiche Bilder eines glücklichen Landlebens aneinander und der Zuschauer beginnt zu befürchten, dass ihm filmischer Landlust-Kitsch vorgesetzt wird, schließlich weist auch das offizielle Filmplakat in diese Richtung. Doch Regisseur Bergeon weiß, was er tut, und mit der Landidylle wird es bald vorbei sein.

Der sich mehr als Unternehmer denn als Bauer verstehende Jarjeau drängt auf Expansion. Aus der mittelgroßen Schafzucht des Vaters ist zwar schnell – wir schreiben nun das Jahr 1996 – eine große Zuchtanlage für Ziegenlämmer geworden, doch für diese lässt sich auf dem Markt kein guter Preis mehr erzielen. Da noch zahlreiche Kredite abbezahlt werden müssen, gerät Bauer Pierre in eine finanzielle Krise, die auch auf den familiären Zusammenhalt übergreift. Die einzige Lösung liegt erneut in einem Sprung nach vorne: Um Masthühner zu züchten, soll noch ein weiterer Stall gebaut werden. Hierfür müssen erneut Kredite aufgenommen werden.

Jarjeau glaubt fest an seinen Erfolg und schuftet weiter. Bis zum Umfallen. Die Preise fallen allerdings auch. So schnell, wie aus dem Unternehmer ein Schuldner geworden ist, wird aus dem Antreiber ein Getriebener. Der liebevolle Familienvater ist bald nur noch eine leere Hülle, verliert seinen inneren Antrieb und findet nicht einmal mehr die Kraft, um sein Bett zu verlassen. Gleichzeitig schämt er sich dafür, dass er seinem eigenen Sohn (Anthony Bajon), der sich nun um den Betrieb kümmert, nicht helfen kann.

Ehefrau Claire, glänzend gespielt von Veerle Baetens, fängt an, in den der Buchhaltung dienenden Büchern vornehmlich Notizen über den Geisteszustand ihres Mannes einzutragen. Als dann noch eine der Scheunen abbrennt, ist Pierre endgültig am Ende. Nachdem er sich seiner Familie gegenüber aggressiv verhalten hat, muss er in die Psychiatrie eingewiesen werden. Dort wird er unter Medikamente gesetzt, darf dann wieder nach Hause und bringt sich um. 

Im Magen der Bestie

Edouard Bergeons Film ist großartig. Was ihn großartig macht, ist das, was ihn von den zuvor genannten Filmen unterscheidet: Dem Regisseur geht es nicht vorrangig um die Vermittlung einer Botschaft oder um die Darstellung der ländlichen Kulisse, sondern um die Innenansicht eines Systems. Die Zuschauer werden mit den Protagonisten in das Wachse-oder-weiche-System der kapitalistischen Landwirtschaft hineingezogen und bleiben mit ihnen darin gefangen. Wie in einer antiken Tragödie läuft Pierre gleichzeitig schuldig und schuldlos seinem eigenen Untergang entgegen. Der Selbstmord wirkt schließlich auch auf die Zuschauer alternativlos.

Bergeon verzichtet darauf, das gezeigte Geschehen von außen zu beurteilen, die Kamera nimmt keine Vogelperspektive ein. Auf horizontaler Ebene scheint es im Film auch die Möglichkeit solidarischen Handels nicht zu geben. Jarjeaus Bauern-Kollegen sind mit ihrem eigenen Existenzdruck beschäftigt und sehen im Nachbarn vor allem den Konkurrenten.

Der Film ist auch ein Vater-Sohn-Drama. Die Dialoge zwischen Pierre und seinem Vater Jacques (Jacques Narcy) gehören zu den beeindruckendsten Szenen. Jarjeau senior will nicht auf die Pacht verzichten, die ihm der Junior für die Hofübergabe bezahlen muss. Der sich als Versager fühlende Sohn schafft es nicht, den Übervater mit Widerstandsvergangenheit um einen Zahlungsaufschub zu bitten. Die einzig mögliche Erklärung, warum der Betrieb nicht läuft, ist für den Vater, dass der Sohn schlecht wirtschaftet. Früher sei das noch anders gewesen. Doch auch die Vergangenheit ist nicht heil: Im Streit erinnert Pierre seinen Vater daran, dass auch er bereits Teil des Systems war, auch er hatte seine Tiere mit Antibiotika vollgestopft. Der Weg zurück ist damit ebenfalls versperrt. 

Kein Ausweg?

Edouard Bergeons Film konnte vielleicht nur deshalb so gut werden, weil er zum großen Teil autobiografisch ist. Der Film ist schonungslos, aber nicht kalt, stets spürt man die emotionale Nähe des Machers zu seinen Figuren. Der Vater des Regisseurs war Landwirt, vergiftete sich absichtlich mit Glyphosat und starb in den Armen seines sechzehnjährigen Sohnes. Dieser wurde kein Bauer, sondern Dokumentarfilmer. Bekannt wurde er durch die Dokumentation „Les fils de la terre“ (Die Söhne der Erde, 2012), die dasselbe Thema hat und über die von Bergeon gegründete Plattform CultivonsNous.tv anzusehen ist. Auf diesem Sender, einer Art Netflix für Agrarthemen, werden die politisch-ökonomischen Analysen und alternativen Lösungsvorschläge geliefert, die im Film selbst ausbleiben. „Das Land meines Vaters“ ist zwar Bergeons erster Spielfilm, aber nichts darin ist fiktiv: Am Ende wird eingeblendet, dass es in Frankreich täglich einen Selbstmord unter Bauern gibt.

Johann Thun

Das Land meines Vaters
Regie: Edouard Bergeon
Frankreich/Belgien 2019, 103 min
Kinostart: 18.11.2021

Weitere Informationen: www.weltkino.de

Wer Suizidgedanken hat, empfindet seine persönliche Lebenssituation als ausweglos. Doch es gibt viele Angebote zur Hilfe und Selbsthilfe, auch anonym, zum Beispiel bei der Telefonseelsorge, Tel. 0800 / 1110111 oder 0800 / 1110222, www.telefonseelsorge.de


Einfach mal hart durchgreifen?

Ein Dokumentarfilm gegen die Lügen von Polizei und Justiz im Fall „Ella“

Wer sich für Waldbesetzungen und Klimaaktivismus interessiert, hat vielleicht schon einmal von Ella gehört, vielleicht aber auch nicht. Mit Sicherheit ist aber allen der Dannenröder Forst  ein Begriff, der mittlerweile von vielen nur noch „Danni“ genannt wird. In dem Dokumentarfilm „Ella“ geht es um die Kriminalisierung von Klimagerechtigkeitsaktivismus am Beispiel von Ella, die letztes Jahr im Dannenröder Wald gewaltsam festgenommen wurde, und um „Lügen einer Staatsmacht, die einschüchtern und verschleiern will“ – so der Film-Untertitel.

Riskanter Polizeieinsatz gegen Autobahnprotest

Nach dem Anschauen des Trailers befürchtete ich zunächst, dass man den Film ohne Hintergrundwissen über den Fall Ella und über das juristische System gar nicht richtig versteht. Das hat sich jedoch nicht bewahrheitet. Zu Beginn des Films wird die Vorgeschichte kurz und prägnant, aber dennoch ausführlich genug erklärt. Durch den Dannenröder Wald in Hessen soll eine Trasse für den Ausbau der Autobahn A49 geschlagen werden. Um dagegen zu protestieren, hatten sich schon 2019 Klimaaktivisten zusammengeschlossen und eine Baumhaussiedlung namens „Nirgendwo“ gebaut – genau dort, wo gerodet werden sollte. Ungefähr ein Jahr später schritt die Polizei ein und begann mit der Räumung der Waldbesetzung.

Einige Wochen später verschärfte sich dann die Situation, die Polizei ging immer unsanfter mit den Protestierenden um (Rabe Ralf Februar 2021, S. 12). Besonders schlimm traf es Ella. Sie kletterte über Seilkonstruktionen in 15 Metern Höhe von einem Baum zum nächsten, um dem Spezialeinsatzkommando (SEK) zu entkommen. Dabei passierte es mehrmals, dass SEK-Beamte unvermittelt nach Ellas Fuß oder ihrer Sicherung griffen, während sie gerade ihre Sicherungen am jeweils nächsten Seil befestigte. So wurde Ella mehrfach ohne triftigen Grund von geschulten Kletterern in Lebensgefahr gebracht. Letztendlich wurde sie festgenommen. Ein Gericht verhängte eine harte Strafe: Ella wurde zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.

Schockierende Schummeleien der Staatsmacht

Das Problem dabei: Die Tatvorwürfe gegen Ella sind nicht haltbar. Die beteiligten SEKler berichteten in den Zeugenaussagen beispielsweise von gezielten Tritten ins Gesicht und ähnlichen Angriffen durch Ella. Das polizeiliche Videomaterial widerlegt dies aber. Und das ist nicht die einzige Falschaussage, auch andere Vorwürfe wurden erfunden oder verändert dargestellt. Ellas Haftstrafe wurde dadurch künstlich erheblich verlängert. Das Gericht entschied offensichtlich nicht objektiv, denn es ignorierte vieles, wie zum Beispiel widersprüchliche Aussagen, und lehnte einen Gutachter und Anträge der Verteidigung sowie die beiden von Ella ausgewählten Wahlverteidiger ab. Hinzu kommt, dass die Polizei die Versammlung nicht ordnungsgemäß auflöste, bevor sie in das Geschehen eingriff. Der Polizeieinsatz sei illegal gewesen und die SEKler hätten sich nicht an die Sicherheitsvorschriften gehalten, analysieren die Klimaaktivisten, die sich mit Ella solidarisieren und sie unterstützen. Aber all dies wurde vor Gericht übergangen.

Bei der Auseinandersetzung mit Ella im Wald haben Anwesende, aber auch die Polizei selbst die gesamten Geschehnisse gefilmt. Die Videos lagen der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vor, wurden aber offensichtlich für weniger aussagekräftig befunden als die widersprüchlichen Aussagen der SEKler, was schlicht keinen Sinn ergibt.

Ella sei dabei ein zufällig ausgewähltes Opfer der Staatsmacht, an dessen Beispiel die Konsequenzen für zivilen Ungehorsam gezeigt werden sollen, um abzuschrecken, so die Hypothese der Filmemacher. Und damit noch nicht genug: Fälle von frei erfundenen Begebenheiten im Rahmen aktivistischer Vorfälle habe es schon öfter gegeben, um ein negativeres Bild zu zeichnen. Im Fall Ella sei geplant gewesen, einmal besonders hart durchzugreifen.

Ella ist übrigens nur ein Platzhaltername, denn die Justiz konnte ihre Identität bis heute nicht feststellen und nennt sie daher „Unbekannte weibliche Person Eins“. Wenn man „Ella“ rückwärts liest, ergibt sich „alle“. Das passt sehr gut, denn beim Kampf um Gerechtigkeit für Ella geht es letztendlich nicht nur um den Einzelfall, sondern um eine Systemfrage.

Wie unabhängig ist unsere Justiz?

Der Filmtitel ist keineswegs übertrieben. Das wird im Film sehr deutlich und anhand von Fakten und vor allem mit sehr genau analysiertem Videomaterial belegt. Es ist schockierend zu sehen, dass so etwas im 21. Jahrhundert in einer vermeintlich fortschrittlichen Demokratie wie Deutschland möglich ist. Dass sich die Justiz offenbar nicht auf Fakten stützt, erinnert stark an die Wissenschaftsleugnung in der Politik, die in Sachen Klimaschutz leider momentan dominiert.

Es stellt sich die Frage: Warum machen da alle mit? Mehrere SEK-Mitarbeiter und Polizisten machten falsche Aussagen, Gericht und Staatsanwaltschaft erklärten alle Gegenreden oder für Ella entlastendes Beweismaterial für unwichtig. Kann das Zufall sein? Hat vielleicht sogar die Betonlobby ihre Finger im Spiel? Erstaunlich ist auch, dass nicht einmal die Medien, die ja auch als politische Kontrollinstanz fungieren sollen, diesen Skandal in die breite Öffentlichkeit tragen.

Unbedingt ansehen

Der knapp einstündige Film wurde am 1. Oktober an über 100 Orten in Deutschland, Österreich und der Schweiz uraufgeführt. Der Tag hat eine symbolische Bedeutung, denn es ist der erste Jahrestag des Polizeiangriffs auf die Waldbesetzung. Alle, die den Film verpasst haben, können ihn aber jederzeit auf der Film-Webseite oder bei Youtube und Vimeo kostenfrei ansehen.

Was die technische Umsetzung anbelangt, handelt es sich hier um einen Amateurfilm. Inhaltlich aber ist sehr professionell gearbeitet worden, alles scheint sehr genau juristisch analysiert worden zu sein. Jede Aussage wird mit Fakten belegt, zum Beispiel aus offiziellen Dokumenten von den Gerichtsverhandlungen und mit Original-Videomaterial, sodass man alles nachvollziehen kann. Geht es um Themen, mit denen nicht jeder Mensch vertraut ist, wie zum Beispiel die Sicherungen beim Klettern, wird dies kurz erläutert. Wer vorher schon einmal von Ella gehört hatte, aber nicht wusste, worum es genau geht, wird aufgeklärt.

Die Dokumentation ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Stunde der Wahrheit. Eine ebenso spannende wie empörende Stunde. Diesen Film sollte jeder gesehen haben, denn er sagt so viel aus – über das Land, in dem wir leben, über die Demokratie, in der wir leben, über das Rechtssystem, in dem wir leben.

Lisa Graf

Ella. Von den Lügen einer Staatsmacht,
die einschüchtern und verschleiern will
Dokumentarfilm, 58 Minuten
Deutschland 2021
Filmstart: 1.10.2021

Film ansehen und weitere Informationen:
www.ella.siehe.website
www.vimeo.com/621581974

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