Freitags für die Zukunft

Aus DER RABE RALF Dezember 2019/Januar 2020, Seite 20/21

Ein Jahr Fridays for Future in Berlin

Erster Streik vor dem Wirtschaftsministerium: Streit zwischen Jung und Alt wirkt symbolisch für die Debatte. (Foto: Leonhard Lenz)

August 2018: Im Hambacher Forst im Rheinland zeichnet sich die Räumung und Rodung der Reste des Waldes ab. In Berlin tagt, begleitet von Protesten, die Kohlekommission. Währenddessen beschließt eine 15-jährige Schülerin aus Schweden, nach den Sommerferien nicht mehr zu Schule zu gehen und bis zu den Parlamentswahlen vor dem schwedischen Parlament zu streiken. Mit ihrem „Schulstreik für das Klima“ will sie deutlich machen, dass es die jungen Menschen sind, die unter den Folgen der globalen Erwärmung am meisten leiden werden. Einige Menschen werden darauf aufmerksam und Greta Thunberg entschließt sich, nach den Wahlen im September jeden Freitag weiterzustreiken. Bei der inzwischen 24. UN-Klimakonferenz im polnischen Katowice treffen sich Aktive der Jugendorganisationen verschiedener Umweltverbände mit Greta.

Inspiriert und bestärkt durch die Ereignisse, findet am 26. November vor einem Treffen der Kohlekommission in Berlin ein erster Klimastreik in Deutschland statt. Über einhundert Schülerinnen und Schüler, aber auch Studierende, die außerdem zur Blockade des Ministeriums aufgerufen hatten, protestieren an diesem Montag vor dem Wirtschaftsministerium in der Invalidenstraße. Direkt daneben protestiert die Bergbaugewerkschaft, deren Mitglieder um ihre Arbeitsplätze fürchten. Die Jugendlichen übergeben einen Forderungskatalog an die Mitglieder der Kohlekommission und senden die klare Botschaft: „Wir streiken, bis ihr handelt!“

Freitag wird Streiktag

Da Greta Thunberg immer an einem Freitag gestreikt hat, bekommt die nun entstehende Bewegung den Namen „Fridays for Future“ – freitags für die Zukunft. Der nächste Streik findet in Berlin am Freitag, dem 14. Dezember vor dem Reichstagsgebäude statt. Über hundert Menschen tanzen und hüpfen in der Kälte. Auch im neuen Jahr wird weiter gestreikt, jetzt im Invalidenpark zwischen Wirtschafts- und Verkehrsministerium. Der Platz in der Nähe der Charité entwickelt sich zum wöchentlichen Treffpunkt.

Am 25. Januar 2019 sind es über Zehntausend, die in Berlin mit einer Demonstration zum Kanzleramt ziehen, viele aus Berlin, es reisen aber auch junge Menschen aus ganz Deutschland an. Wirtschaftsminister Altmaier will die Jugendlichen beruhigen und auf der Bühne etwas sagen, kommt jedoch wegen anhaltender Protestrufe nicht zu Wort und geht fluchend wieder.

Überall im Land bilden sich in diesen Wochen hunderte Fridays-for-Future-Ortsgruppen, die in kleineren und großen Städten ihre Proteste koordinieren. Die Kohlekommission stellt ihr Ergebnis vor, das mit einem Kohleausstieg bis 2038 in keiner Weise den Pariser Klimaschutzzielen gerecht wird.

FDP-Chef Christian Lindner findet die Proteste gar nicht gut und sagt, die Kinder sollten in die Schule gehen, denn Klimaschutz sei „eine Sache für Profis“. Daraufhin schließen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter dem Motto „Scientists for Future“ zusammen. Mehr als 700 Unterschriften aus dem deutschsprachigen Raum hat eine am 12. März veröffentlichte Stellungnahme, mit der sich die Profis hinter die Proteste stellen. Über 26.000 kommen später hinzu.

Am 15. März sind es wieder Zehntausende, die den Invalidenpark füllen und mit einer Großdemo durch das Regierungsviertel ziehen. Zwei Wochen später kommt Greta Thunberg nach Berlin, wieder geht es mit Zehntausenden vom Invalidenpark zum Brandenburger Tor. Dort stehen die Gesichter der Bewegung aus verschiedenen europäischen Ländern auf der Bühne und verkünden gemeinsam, dass die Europawahlen zu Klimawahlen gemacht werden müssten.

15. März 2019: Massen im Invalidenpark von Kindergartengruppen bis Großeltern. (Foto: Leonhard Lenz)

Am 8. April stellt Fridays for Future Deutschland im Naturkundemuseum seine Forderungen vor: Netto null CO₂-Emissionen bis 2035, Kohleausstieg bis 2030, hundert Prozent erneuerbare Energieversorgung bis 2035. Außerdem sollen noch 2019 die Subventionen für fossile Energieträger enden, jedes vierte Kohlekraftwerk abgeschaltet und eine CO₂-Steuer in Höhe von 180 Euro pro Tonne eingeführt werden – was den offiziell errechneten Schäden entspricht.

Proteste werden Routine

Im April und Mai gehen die Proteste im Invalidenpark weiter, die Bäume bekommen wieder grüne Blätter, doch in der Politik wird vor allem darüber diskutiert, ob es denn in Ordnung sei, für den Protest die Schule zu schwänzen, und weniger über Klimaschutz.

Kurz vor den EU-Wahlen wird die Kampagne „Europawahl ist Klimawahl“ groß. In Berlin findet wieder eine Großdemonstration statt. Bei der Wahl verdoppeln die Grünen in Deutschland ihr Ergebnis, die Groko-Parteien verlieren. Ob das positive Auswirkungen auf die europäische Klimapolitik haben wird, lässt sich noch nicht sagen. Die Streiks gehen weiter.

Parallel zu einer mehrtägigen Blockadeaktion des Bündnisses „Ende Gelände“ am Braunkohletagebau Garzweiler findet im nahen Aachen ein internationaler Streiktag mit 35.000 Teilnehmern statt.

Zur letzten Sitzung des Bundestags vor der Sommerpause wird dieser in Berlin mit einer „Roten Linie“ umzingelt. Da mit der parlamentarischen Sommerpause auch die großen Schulferien beginnen, heißt es überall: „In den Ferien kann ja nicht mehr gestreikt werden. Die Proteste sind vorbei.“ Doch davon ist wenig zu spüren, die Proteste gehen weiter. Vor der Landtagswahl in Brandenburg fahren viele vom Invalidenpark gemeinsam zu Streiks in kleinere Städte in Brandenburg und nach Potsdam. Am 19. Juli besucht Greta Thunberg wieder die Berliner Kundgebung.

Aus Hundertausenden werden Millionen

Die Proteste werden weltweit immer größer. In Berlin wird nicht mehr nur im Invalidenpark, sondern auch in allen Bezirken und auf dem Fahrrad gestreikt. Überall beginnen die Vorbereitungen für einen globalen Klimastreik am 20. September, zeitgleich zu einem UN-Klimasondergipfel in New York. Am gleichen Tag will die Bundesregierung die Gesetzesvorschläge des Klimakabinetts vorstellen. Im Klimakabinett haben sich die Minister aller betroffenen Ressorts mit den Vorschlägen der Kohlekommission und den Klimazielen der Bundesregierung beschäftigt.

Am 20. September strömen Massen zum Brandenburger Tor und auf die Straße des 17. Juni. Am Ende sind es fast dreihunderttausend Menschen. Ausdrücklich sind an diesem Tag auch ältere Menschen zum Mitstreiken aufgerufen. Schon lange waren zu den Schülern und Studierenden auch Ältere hinzugekommen, die zahlreiche Unterstützergruppen von „Artists for Future“ bis zu „Parents for Future“ gründeten. An diesem Tag sind sie alle auf den Straßen – 1,4 Millionen Menschen allein in Deutschland, über vier Millionen weltweit. Die ganze Woche gehen die Aktionen weiter, und am Freitag darauf sollen es weltweit sogar sieben Millionen werden.

In Berlin ist am 20. September die Strecke für die geplante Route viel zu kurz und zu schmal, und auch nachdem sie noch einmal verlängert wird, sind die ersten Menschen schon wieder am Brandenburger Tor, als die letzten dort loslaufen. Währenddessen wird das Ergebnis aus dem Klimakabinett bekannt gegeben. Auch wenn die meisten nicht viel erwartet haben, sind alle dennoch enttäuscht, wie wenig sich die Bundesregierung vorgenommen hat. Ein CO₂-Preis von nur 10 Euro je Tonne ab 2021 und 35 Euro vier Jahre später – allerdings sollen Pendler deutlich mehr Geld zurückerhalten. Zwar soll die Mehrwertsteuer für Bahntickets gesenkt werden, doch Fliegen wird oft deutlich billiger bleiben. Dass Deutschland mit allen Maßnahmen zusammen immer noch weit von der Erfüllung des Pariser Klimaabkommens und den eigenen Klimazielen entfernt sind, stört die Bundesregierung nicht.

Die Wut der jungen Menschen wächst. Im Invalidenpark haben die Bäume wieder die Blätter verloren und es ist kalt geworden, doch die Proteste gehen weiter. Die Botschaft: „Wir streiken bis ihr handelt!“

Leonhard Lenz

Weitere Informationen: www.fridaysforfuture.berlin

 


Protestieren geht über Studieren

Die Berliner Studierendenbewegung von Fridays for Future

Studierende im Tiergarten beim globalen Klimastreik am 20. September 2019. (Foto: Jan Akyol)

Zu Beginn waren die Streiks von Fridays for Future fast eine reine Schülerveranstaltung. Nur vereinzelnd beteiligten sich die etwas älteren Studierenden an den Protesten. Bis an einem Streiktag Mitte Februar 2019 die Fridays-Aktivistin Luisa Neubauer die Studis zusammenrief und gezielt zum Mitmachen einlud. Im Vordergrund standen zunächst die Unterstützung der Schülerinnen und Schüler – vom Streik über Workshops bis zur Nachhilfe – sowie die Vernetzung und Rollenfindung.

Nach kurzer Zeit gründeten sich die ersten Gruppen der einzelnen Hochschulen, machten gezielt Werbung an den Unis und organisierten die ersten Aktionen. Zunächst war das das wegen der Semesterferien schwierig und konzentrierte sich auf persönliche Kontakte, digitale Wege und die großen Demonstrationen am 15. und 29. März. Erst mit Beginn des Sommersemesters nahm die Mobilisierung Fahrt auf und gipfelte im „Sturm auf die Unis“, dem Protesttag am 16. Mai. Hier fanden an den Hochschulen eigene Aktionen statt – vom „Die-in“ bei der TU über lautstarke Proteste in der Eingangshalle der HU bis zum Sturm auf die Hörsäle und Mensen in der FU.

Fordern und bilden

Schon wenig später begannen die Vorbereitungen für die Vollversammlungen. Um die Klimakrise zu bewältigen, so der Grundgedanke, kann und sollte jede Person und jede Institution Verantwortung übernehmen und ihren Beitrag leisten. Das gilt besonders für die Universitäten. Die Studierenden diskutierten und stimmten über Forderungen ab: Klimanotstand ausrufen, veganes Mensaessen, keine Kurzstreckenflüge, 100 Prozent erneuerbare Energien. Die Verhandlungen mit den Präsidien begannen bald danach und dauern bis heute an.

Vor, neben und nach den Vollversammlungen wurden Vorlesungsreihen organisiert. Die Humboldt-Uni (HU) startete bereits am 22. März und lud nach den Freitagsdemos zu Vorlesungen rund um die Klimakrise ein, was das angeschlossene Museum für Naturkunde aufgriff. Mit demselben Semester begannen auch an TU und FU Vorlesungsreihen über Lösungen und Perspektiven der Klimakrise.

Aktionen für die „Erstis“

Im Rahmen des einwöchigen „We for Future“-Camps im September organisierten die Hochschulen Aktionen wie Foodsharing, Upcycling, Diskussionen oder Ringbahnvorlesungen. Gleich darauf begann die Ersti-Woche mit speziellen Aktionen im Rahmen der „Kritischen Orientierungswochen“ für die Erstsemester.

Doch trotz der vielen engagierten Menschen, der vielen guten Lösungsideen und der lauter werdenden Unterstützungsbekundungen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bleiben wirksame Klimaschutzmaßnahmen auf allen Ebenen weit hinter dem Allernotwendigsten und Machbaren zurück. Deswegen startete in der letzten Novemberwoche mit Diskussionen und verschiedenen Aktionen die Public Climate School. Hier redeten die Studierenden mit vielen unterschiedlichen Menschen über Klimakrise, Klimagerechtigkeit und Handlungsmöglichkeiten – und richteten an die Politikerinnen, Präsidenten und Vorstände die klare Botschaft, dass wir endlich wirksame Maßnahmen brauchen.

Jurek Brzoska

Weitere Informationen: www.studentsforfuture.info

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