Für eine sozial-ökologische Revolution

Aus DER RABE RALF Februar/März 2021, Seite 16

Zum 100. Geburtstag von Murray Bookchin, dem Vordenker des libertären Kommunalismus

Murray Bookchin in seinem Haus in Burlington (Vermont). (Foto/​Ausschnitt: Debbie Bookchin/​Wikimedia Commons)

Der Ökoanarchismus ist eine ziemlich junge Strömung. Zu seinen Vordenkern werden häufig der amerikanische Autor und Philosoph Henry David Thoreau („Walden“), der englische Frühsozialist William Morris („Kunde von Nirgendwo“) oder der französische Geologe und Vegetarier Élisée Reclus gezählt. Dass aber der 1920 als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer in New York geborene Murray Bookchin und seine 33 Jahre jüngere Mitstreiterin Janet Biehl maßgeblichen Einfluss auf den modernen Ökoanarchismus in Form der libertären Sozialökologie hatten und haben, bestreitet wohl niemand.

Klassiker der Ökologiebewegung

Bookchin gehört zu einer Zwischengeneration zwischen den alten Linken und der sogenannten „New Left“. In kommunistischen und trotzkistischen Gruppen als Jugendlicher sozialisiert, bei den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg wegen seines jungen Alters abgelehnt, findet er frühzeitig Interesse an ökologischen Themen, die ihn ein Leben lang begleiten.

Schon 1952 veröffentlicht er unter Pseudonym einen kritischen Fachartikel über Zusatzstoffe in Lebensmitteln. Er befasst sich mit der Energiegewinnung von der Sonne und diskutiert die Bedeutung von Technik („Für eine befreiende Technologie“). Weitere Beiträge zu ökologischen Themen wie die Aufsatzsammlung „Die Formen der Freiheit“ (1977) und das Hauptwerk „Die Ökologie der Freiheit“ (1985) werden zu modernen Klassikern und machen Bookchin zu einem Wegbereiter der neuen Ökologiebewegung in den USA und darüber hinaus. Auf sein Engagement geht die Gründung des bis heute bestehenden Institute for Social Ecology im Jahr 1971 in Vermont zurück.

Kritik am Staatskommunismus

Bei Bookchin wird Ökologie nie getrennt von gesellschaftlichen (Herrschafts-)​Verhältnissen gesehen. Sein Anarchismus-Verständnis ist geprägt von der Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der sozialen Revolution in Spanien 1936/37 und dem anarchistischen Kommunismus von Pjotr Kropotkin. Trotz seiner Kritik am Staatskommunismus, die er exemplarisch in dem Essay „Hör zu, Marxist!“ (1974) äußert, bildet Karl Marx einen Bezugspunkt für seine Philosophie – nicht zuletzt vermittelt durch die von ihm geschätzte Frankfurter Schule. Auch hier zeigt sich seine Zugehörigkeit zu der mit den 68ern verbundenen „Neuen Linken“, in der unterschiedliche Strömungen (mehr oder weniger gut) eine Symbiose eingingen. Während er von Marx die Ökonomiekritik übernimmt, sind es Herrschaftskritik, Föderalismus und Selbstorganisation, die er aus dem Anarchismus entleiht und in sein Konzept eines „libertären Kommunalismus“ integriert. Andererseits wendet er sich später auch vom Anarchismus ab, weil er in den 1980er Jahren eine zunehmende Entpolitisierung und Hinwendung zum Lifestyle-Anarchismus feststellt.

Von den frühen Grünen …

Im Kern beruhen Bookchins Ideen auf dezentral organisierten, selbstverwalteten Gemeinschaften in der Tradition der idealisierten griechischen Polis, die im Inneren direktdemokratisch organisiert sind und sich mit anderen Gemeinschaften zusammenschließen. Bookchin verbindet dies mit der Vorstellung von kommunalem Eigentum an Produktionsmitteln. Zentral für sein Konzept ist die Einbeziehung einer ökologischen Komponente. Das geschieht durchaus kontrovers, etwa in seinem Buch „Post-Scarcity Anarchism“ (etwa: „Nach-Knappheits-Anarchismus“, 1974), das die mögliche Entwicklung einer freien, anarchistischen Gesellschaft in einer Welt beschreibt, in der alle grundlegenden Ressourcen im Überfluss bereitstehen – für viele Umweltschützer eine Provokation. Andererseits verwirft er auch manches Dogma und steht beispielsweise der Gründung der Partei der Grünen Anfang der 1980er Jahre in Westdeutschland offen gegenüber.

Eine weitere Etappe für die Entwicklung seiner Theorie des libertären Kommunalismus bildet die Auseinandersetzung mit der Stadtsoziologie, die sich in Werken wie „Die Grenzen der Stadt“ (1974) oder „Die Agonie der Stadt“ (1996) niederschlägt. Bookchin hebt dabei stets die Bedeutung der Ökologie hervor und stellt auch die Verbindung zwischen ökologischen Bewegungen und anderen Strömungen her. Laut der Bookchin-Biografie seiner Mitstreiterin Janet Biehl geht sogar der Begriff „Ökofeminismus“ auf ihn zurück – noch ein Zeichen für die Vielschichtigkeit seines Denkens.

… bis zur Revolution in Rojava

Bookchins Schriften werden zur Inspiration für moderne Utopien – namentlich Ernest Callenbachs „Ökotopia“ und Ursula K. LeGuins „Planet der Habenichtse“. LeGuin schreibt auch ein Geleitwort für die Essaysammlung „Die nächste Revolution“. Darin würdigt sie den 2006 Verstorbenen: „Murray Bookchin war Experte für gewaltlose Revolutionen. Zeit seines Lebens dachte er über geplante und ungeplante radikale Veränderungen der Gesellschaft nach, und darüber, wie man sich darauf vorbereiten könnte.“

Seit einigen Jahren erleben Bookchins Ideen eine gewisse Renaissance, vor allem durch Abdullah Öcalan mit seiner Theorie des „demokratischen Konföderalismus“ und ihrer praktischen Umsetzung in der kurdischen Provinz Rojava im Norden Syriens (Rabe Ralf Dezember 2018, S. 22). Vor dem Hintergrund der akuten Klimakrise ist Bookchins ökologisches Denken aktueller denn je.

Maurice Schuhmann

Kostenloser Reader zum 100. Geburtstag Bookchins mit Texten über „Ökoanarchismus“ und einer Liste deutschsprachiger Publikationen von und über Murray Bookchin:
www.gustav-landauer.org

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