Gipfel ohne Protest?

Aus DER RABE RALF August/September 2022, Seite 2

Die globalisierungskritische Bewegung der 1990er gibt es nicht mehr

Bei einer Aktion der Naturfreunde und anderer Gruppen in Berlin, Frühjahr 2022. (Foto: Uwe Hiksch/Flickr, CC BY-NC-SA 2.0)

15.000 Menschen zogen auf einer Großdemonstration durch München, begleitet und überwacht von 6000 Polizisten. So kraftvoll war der Protest gegen den Weltwirtschaftsgipfel 1992 in der bayerischen Landeshauptstadt. Wochenlang hatte damals ein Großteil der Presse vor den radikalen Linken gewarnt, die München ins Chaos stürzen würden.

30 Jahre später tagten Ende Juni wieder die Eliten des globalen Westens in Bayern. Das Treffen nennt sich jetzt G7 und wurde auf Schloss Elmau in den oberbayerischen Bergen abgehalten. Dieses Mal ging es darum, dass die sogenannte freie Welt sich gegen Russland und seine Verbündeten in Stellung bringen wollte. Der Krieg in der Ukraine sollte die Reihen fester schließen.

Merkwürdigerweise stand der Kampf gegen den Krieg Russlands und die Aufrüstungspolitik der Nato nicht im Mittelpunkt der Demonstration, die kurz vor dem Gipfel am 25. Juni in München stattfand. Nur knapp 7000 Menschen beteiligten sich an dem Protestzug durch die Münchner Innenstadt, weniger als erwartet. Nur das Polizeiaufgebot war so groß wie vor 30 Jahren, und am Ende gab es auch bei der friedlichen Demonstration wieder Festnahmen durch die Polizei.

Vergessenes „Empire“

Erklärungsbedürftig ist aber schon, warum in den 30 Jahren die Mobilisierungskraft der außerparlamentarischen Linken so stark nachgelassen hat. Diese Frage stellte sich auch der Berliner Taz-Reporter Christian Jakob in einem Artikel über die Wurzeln der globalisierungskritischen Linken, die in den 1990er Jahren einen kurzen Aufschwung genommen hatte – inspiriert vom Aufstand der Zapatistas (Rabe Ralf August 2021, S. 17).

Jakob erinnert an den kurzen Hype um das Buch „Empire“ von Antonio Negri und Michael Hardt, das für einige Jahre zum theoretischen Leitfaden linker Globalisierungskritik wurde. In zahlreichen Städten hatten sich Empire-Lesekreise gebildet. Heute ist das Buch kaum noch in der Diskussion. Christian Jakob nennt einige der Gründe für das schnelle Abflauen der globalisierungskritischen Bewegung: eine verkürzte Kapitalismuskritik, der Aufstieg einer Rechten, die eine eigene, reaktionäre Globalisierungskritik popularisierte – aber auch die massive staatliche Repression. Zu den Höhepunkten gehören Terror und Folter gegen GlobalisierungskritikerInnen beim Gipfel in Genua im Juli 2001 (Rabe Ralf August 2001, S. 1). Dort haben die Staatsorgane eines Landes des globalen Westens gezeigt, dass auch weiterhin das Instrument des Faschismus zur Verfügung steht, wenn eine Oppositionsbewegung nicht kooperiert.

Viele haben diese Drohung verstanden. Sie engagierten sich in moderaten Nichtregierungsorganisationen, und der Anspruch, mit dem System des globalen marktradikalen Kapitalismus zu brechen, verlor immer mehr an Bedeutung. Spätestens nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 und dem folgenden „Krieg gegen den Terror“ war der Elan der weltweiten globalisierungskritischen Bewegung gebrochen.

Protestflaute und überall Polizei

Die Corona-Pandemie hat den Bewegungsrahmen der außerparlamentarischen Linken nun noch mehr eingeengt. Zudem lähmt der Streit um den Umgang mit dem russischen Krieg in der Ukraine die gesellschaftliche Linke, vor allem in Deutschland. Manche sehen in der Nato plötzlich ein notwendiges Übel.

Nach der Demonstration in München reiste ein kleiner Teil der Protestszene weiter nach Garmisch-Partenkirchen, um gegen das G7-Treffen im nahen Elmau zu demonstrieren. In dem gut organisierten Protestcamp war die Zahl der Zelte überschaubar. Obwohl sich die Protestierenden sehr kooperativ gegenüber den Behörden verhielten, blieben auch sie von Repression nicht verschont. In einer Stellungnahme des Komitees für Grundrechte und Demokratie, das die Proteste und die Reaktionen der Polizei dokumentierte, hieß es:

„Das erste Fazit ist ernüchternd: Protestierende und Anwohner*innen sahen sich einem militärisch anmutenden, polizeilichen Ausnahmezustand ausgesetzt. Proteste konnten zwar stattfinden, wurden allerdings durch Auflagen und Kontrollen komplett durchreguliert. Demonstrierende wurden durch die exorbitante Polizeipräsenz sowie Zugangs- und Personenkontrollen eingeschüchtert. Ein öffentlichkeitswirksames Vorbringen der Protestinhalte wurde nahezu verunmöglicht.“

Bürgerlicher Unmut über G7

Die geringe Teilnahmezahl auf der Großdemonstration und bei den dezentralen Aktionen rund um Elmau bedeutet übrigens nicht, dass der Gipfel auf große Zustimmung in der örtlichen Bevölkerung gestoßen wäre. Vor einem gutbürgerlichen Restaurant im historischen Stadtteil Partenkirchen stand ein Schild mit der Aufschrift: „Weg mit dem G7-Dreck aus unserer Hoamat“.

Die bürgerliche Ablehnung des G7-Gipfels zeigt sich auch in der Forderung der Kreistagsfraktion der Freien Wähler nach einer Resolution, die verhindern soll, dass der Landkreis Garmisch-Partenkirchen weiterhin für solche Gipfeltreffen genutzt wird. Schon vorher klagten BewohnerInnen der Region über Staus, Unruhe und Einnahmeverluste durch den Gipfel. Dahinter steckt der Ärger, dass die für sie gewinnbringende Tourismussaison durch einen solchen Großevent beeinträchtigt wird.

Peter Nowak 

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