Aus DER RABE RALF Oktober/November 2022, Seite 5
Ein Mehrwegsystem für Glasbehälter ist wirklicher Klimaschutz
„Wie die Glasindustrie vom Erdgas abhängt“ – unter diesem Titel brachte das Online-Magazin „Klimareporter“ am 27. Juni eine gute Zusammenfassung über die aktuellen Probleme der Glasherstellung. Alle Versuche, die Glasschmelzwannen mit Strom oder Wasserstoff statt mit Erdgas zu erhitzen und auf diese Weise ununterbrochen zu betreiben – es geht um mindestens zehn Jahre Dauerbetrieb –, sind in der Großproduktion gescheitert.
Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Gerade ist in Südthüringen bei Wiegand-Glas eine neue Glaswanne mit Erdgasbefeuerung in Betrieb gegangen, geplanter Dauerbetrieb bis 15 Jahre. Die Betriebstemperatur, um aus Quarzsand, Kalkstein und Soda Glas zu erschmelzen, liegt bei 1.500 Grad. Eine gewaltige Energiemenge – und ein hoher CO₂-Ausstoß. Das Magazin schreibt: „Diese chemischen Emissionen werden auch als Prozessemissionen bezeichnet, sie sind für etwa ein Viertel der Emissionen der Glasschmelzöfen verantwortlich. Bislang gibt es keine Konzepte, um diese Emissionen völlig zu verhindern.“ Dann wird Fabrice Rivet vom Glasindustrieverband zitiert: „Der vielversprechendste Weg ist die Erhöhung der Glasrecyclingrate.“ Das würde wenigstens den CO₂-Ausstoß aus der chemischen Reaktion einsparen.
Allerdings: Es geht in dem Artikel lediglich um die Produktivität der Glasindustrie – ein Industriezweig, der wie alle am bestmöglichen Umsatz interessiert ist. Deshalb wird auch mit keinem Wort erwähnt, dass ein viel klimafreundlicherer Weg die Rücknahme der Glasbehälter und ihre Wiederverwendung wäre – also echte Kreislaufwirtschaft mit einem Pfandsystem, wie sie zurzeit nur in bescheidenem Umfang bei uns praktiziert wird. Die Glasbehälter werden dabei mit Heißdampf bei 150 bis 200 Grad gereinigt und können dann mehrfach eingesetzt werden. Der Dampf lässt sich auch ohne Gas erzeugen, vorrangig mit Strom, das Wasser kann zurückgewonnen werden.
Zurückgeben statt einschmelzen
Voraussetzung wäre, dass die Politik sich entschließt, einen größeren Teil der Glasbehälter per Gesetz zu standardisieren. Vielleicht könnte dann wenigstens ein Teil der Obst-, Gemüse- und sonstigen Gläser wieder der Lebensmittelindustrie zugeführt werden – mit nur noch einem Fünftel oder einem Sechstel an Energieaufwand. Dazu müssten sich allerdings die bundesdeutschen Entscheidungsträger dazu durchringen, ein im „armen Osten“ einstmals funktionierendes System neu aufzulegen, das SERO-System – SERO stand für Sekundärrohstoffe (Rabe Ralf Februar 2019, S. 22). Die Standardisierung galt für alle sogenannten Ostblock-Länder, so dass man Radeberger Bier in Bulgarien trinken und dort auch die leeren Flaschen gegen das Pfand einlösen konnte. Genauso konnten Kompott-Gläser aus Ungarn in Berlin-Pankow zurückgegeben werden.
Natürlich wären damit nicht alle Probleme gelöst, aber es wäre ein kräftiger Schritt in Richtung Klimaschutz vor unserer Haustür. Ich will auch nicht die Marktstrategen davon abbringen, Radeberger Pilsner mit eingegossener Banderole oder Eierlikörflaschen in Eiform zu verkaufen. Jedoch müsste dafür eine Einweggebühr entrichtet werden, von der man die Pfand-Annahmestellen mitfinanzieren könnte.
Mogelpackung Getränkekarton
Noch ein Hinweis zu der unsäglichen Anzeige auf der letzten Seite der August-Ausgabe, die den angeblichen ökologischen Vorteil von Getränkekartons preisen soll. Spätestens jetzt in der Erdgas-Preiskrise sind Mehrweg-Glasflaschen besser als Getränkekartons, die aus Verbundmaterial mit hohem Energieeinsatz hergestellt werden. Die Kartons lassen sich schwer recyceln und werden zu einem höheren Anteil verbrannt, als in den statistischen Annahmen behauptet wird, natürlich mit entsprechendem CO₂-Ausstoß. Beschönigend nennt man das dann „thermische Verwertung“.
Die „Kartons“, die eigentlich mit Papier stabilisierte Kunststoffbehälter sind, enthalten außerdem Weichmacher, die in die umgebende Flüssigkeit wandern. Beim Ausspülen wird Mikroplastik frei, das bis jetzt die Kläranlagen ungehindert durchläuft. Glasbehälter helfen auch bei der Regionalisierung durch kurze Transportwege. Joghurts können aus Brandenburg kommen statt aus Bayern.
Es wäre schön, wenn sich jemand von der Grünen Liga oder einer anderen Bürgerbewegung mit einer Petition oder Kampagne zu diesem Problem an den Bundestag oder die Grünen wenden könnte, um der Politik auf die Beine zu helfen.
Wolfgang Heger