Grün ist kein Luxus

Aus DER RABE RALF Februar/März 2022, Seite 4 

Das „Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung“ setzt sich für grüne Innenhöfe und Stadtnatur ein

Der grüne Innenhof in der Atzpodienstraße in Lichtenberg wurde zerstört. (Foto: Bürgerinitiative auf dem lichten Berg)

Ob Lichtenberg, Pankow oder Friedrichshain-Kreuzberg – wohin der Blick in Berlin auch fällt, nach Grün muss das Auge lange Ausschau halten, immer mehr Beton versperrt die Sicht. Die Hauptstadt opfert ihre grünen Lungen. Statt klimagünstiger Stadterneuerung betreibt der rot-rot-grüne Senat seit einigen Jahren eine ungesteuerte Baupolitik auf Kosten der Stadtnatur. So kann es nicht weitergehen, sagt das im Frühjahr 2021 gegründete Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung, ein Zusammenschluss von derzeit 26 Bürgerinitiativen, die sich berlinweit mit Nachverdichtung und Versiegelung konfrontiert sehen und gemeinsam für eine nachhaltige Stadtentwicklung eintreten. 

Bedroht sind auch immer mehr begrünte Innenhöfe. Ihre Bedeutung für bereits hoch versiegelte Stadtgebiete ist unbestreitbar: Sie dienen im Sommer als wertvolle, ja unverzichtbare Frischluftschneise und in niederschlagsreichen Zeiten als Versickerungsfläche. „Wohnungsnah sollten ausreichende Grünflächen gesichert beziehungsweise entwickelt werden, sowohl für kühle Aufenthaltsorte als auch zur Kühlung der umliegenden Gebäude“, schreibt der Deutsche Städtetag. „Vor allem durch ihr Vegetationsvolumen – Schatten und Verdunstung – haben sie als Klimakomfortzonen lokale Klimarelevanz.“ Für Mensch und Tier sind die grünen Innenhöfe Lebensraum und Naherholungsfläche, seit der Pandemie mehr als jemals zuvor. Um sie und ihre akute Bedrohung geht es hier.

Für wirkliche Bürgerbeteiligung

Der rot-grüne-rote Senat tritt im neuen Koalitionsvertrag mit einem politischen Versprechen an: „Eine vielfältige Stadt wie Berlin braucht eine soziale und nachhaltige Stadtpolitik. Wir wollen Berlin für alle Menschen, die hier leben, besser und lebenswerter machen.“ Das Bündnis nimmt den Senat beim Wort und fordert die Landes- und Bezirkspolitik auf, in einen Dialog zu treten, um echte Lösungen und Alternativen für Berlin im Klimanotstand zu finden. Statt „bauen, bauen, bauen“ braucht es klimaverträgliche Lösungen zur maßvollen Schaffung von Wohnraum, zum Erhalt von Grün- und Sozialflächen, zum Schutz der Berliner Bäume. Es geht um Artenvielfalt, Entsiegelung, gesunde Lebensbedingungen – und um Demokratie. „Wir fordern eine echte Bürgerbeteiligung auf Basis geänderter gesetzlicher Vorgaben und die Änderung der Berliner Bauvorschriften entsprechend den beschriebenen Notwendigkeiten“, heißt es bei dem Bündnis. „Wir sind bereit, daran mitzuarbeiten. Aber wir verteidigen unsere grünen Innenhöfe als Bestandteil des unverzichtbaren Grüns in der Stadt!“

Freya Beheschti, Britta Krehl

Weitere Informationen: www.nachhaltigestadtentwicklung.berlin


Vier von 26 Initiativen

Bürgerinitiative auf dem lichten Berg 

Unser ehemals grüner Innenhof in der Lichtenberger Atzpodienstraße ist bereits einem Wohnkomplex mit 50 Wohnungen im Bau gewichen. Davon hatten wir erst eine Woche vor den nötigen Baumfällungen im Februar 2021 erfahren. Unser akuter Protest zeigte kaum Wirkung, denn Tatsachen wurden ja bereits geschaffen.

Die komplett fehlende Bürgerbeteiligung wurde von der Wohnungsgesellschaft Howoge mit dem Corona-Lockdown entschuldigt. Auch ein Eilantrag in der Bezirksverordnetenversammlung auf ein Bebauungsplanverfahren nützte nichts, da die Baugenehmigung nach Paragraf 34 des Baugesetzbuchs drei Tage zuvor vom Baustadtrat unterschrieben worden war. 

Uns wurde sehr deutlich gezeigt, wie rücksichtslos der Senat Wohnraum schafft. Den Bestandsmietern ein angemessenes Wohnumfeld zu gönnen, Natur zu erhalten, um Klimaziele zu erreichen – all das wird offenbar als sekundär angesehen. 

buergerinitiative-auf-dem-lichten-berg.de

Initiative Tabor 9 – Rettet die Gärten

Kreuzberg ist doppelt so dicht besiedelt wie Berlin im Durchschnitt. In der hier typischen Blockrandbebauung ist ein Garten eine Art Juwel. Ein solches haben Bewohner um 1960 in der Taborstraße 9 hinter ihrem Wohnhaus angelegt und in den folgenden Jahrzehnten immer gepflegt und gemeinschaftlich genutzt.

Und nun der Hammer: Nachverdichtung der Verdichtung. Die Wohnungsbaugesellschaft Aachener SWG will die Gartenfläche mit einem Gebäude, drei 50-Quadratmeter-Wohnungen, zubetonieren. Für das bestehende Haus ist zudem ein Dachgeschossausbau geplant. Für die Bewohner bedeutet die doppelte Nachverdichtung eine massive Belastung. Die Baugenehmigung ist nach jahrelangem Verfahren mit reichlich Befreiungen erteilt worden. Seit gut eineinhalb Jahren sind wir gegen dieses Bauvorhaben aktiv, die Geschäftsführung der Aachener SWG blockt ab, die bezirklichen Entscheidungsträger auch der Grünen zeigen sich ignorant. Quo vadis, Berlin?

www.instagram.com/tabor9rettetdiegaerten

Initiative Erhaltet unsere grünen Friedrichshainer Innenhöfe

Die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) will im Hof der Pintschstraße 10 bis auf den letzten Zentimeter alles an Platz ausnutzen, was das Baurecht hergibt. Frech wurde behauptet, dass bereits alle Genehmigungen erteilt worden seien – an der Planung könne nichts mehr geändert werden.

Biotope wie unsere Oase sind im dicht bebauten Friedrichshain rar. Hier spielen Kinder an Hitzetagen im Planschbecken, schattige Plätze unter Bäumen sorgen für Abkühlung und wir können vom Großstadtmief aufatmen. Lebenswichtig für unsere Gesundheit.

Am Vorabend des Fälltermins nahmen wir Abschied von unserer Oase. Als am nächsten Tag der Baumfäller kam, schaute er auf die Bäume und schüttelte den Kopf: „Die sind kerngesund. Ich bin Baumpfleger. Wieso soll ich gegen den massiven Protest der Anwohner 13 gesunde, haushohe Bäume fällen?“ Er trat vom Fällauftrag zurück und wünschte uns viel Erfolg und alles Gute für unsere grüne Oase. Was zuvor kein Verantwortlicher vermochte, entschied er mit Herz und Seele. 

www.friedrichshainerinnenhoefe.wordpress.com

Bürgerinitiative Rettet den Ilse-Kiez

Der Ilse-Kiez liegt im Nordwesten des Berliner Stadtteils Karlshorst. Zur Wohnsiedlung gehören drei begrünte Innenhöfe, mit vier Spielplätzen für verschiedene Altersgruppen und einem Sportplatz. Die Höfe bieten den etwa 1.200 Anwohnern und auch den Grundschülern und Kita-Kindern von Karlshorst-West einen Bewegungs- und Begegnungsraum.

Die engagierte Bezirksverordnetenversammlung von Lichtenberg beschloss die Aufstellung des Bebauungsplans 11-125. Darin wird gefordert, die Freiräume zu sichern – für die Menschen, für 88 Bäume, für viele Feldhasen und andere Kleintiere. Die letztmalige Verlängerung der Veränderungssperre zum B-Plan bis Ende 2022 gibt den Bezirksverordneten die unwiederbringliche Chance, mit einem sehr ambitionierten Meilensteinplan des Bezirksamts doch noch den Beschluss zum Schutz der grünen Innenhöfe zu fassen.

www.ilse-kiez.de

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