Grüne Deals: Wer bezahlt und wer kassiert?

Aus DER RABE RALF August/September 2020, Seite 3

Der „Green Deal“ der EU treibt die Gesellschaft ökonomisch und sozial weiter auseinander

Elektroauto: So stellen sich Investoren Klimaschutz vor. (Foto: Matt Henry/Unsplash)

Mit großem Tamtam hat die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen Ende letzten Jahres verkündet, sie wolle einen „European Green Deal“ anschieben. Im Zuge der gigantischen Corona-Rettungspakete ist der Green Deal nun ins Hintertreffen geraten, seine Zukunft ist unsicher. Sollte man das nun bedauern und für ihn kämpfen? So einfach ist die Frage nicht zu beantworten.

Es soll Europas „Mann auf dem Mond“-Projekt werden. Im Jahr 2050 soll die EU klimaneutral und „giftfrei“ sei. Bis 2030 sollen mit einem Investitionspaket von einer Billion Euro die Treibhausgasemissionen statt bisher um 40 nun um 50 bis 55 Prozent reduziert werden. Damit „niemand im Stich gelassen“ wird, will die Kommission einen Mechanismus für eine gerechte Energiewende („Just Transition“) einrichten. Mit 100 Milliarden sollen Regionen unterstützt werden, die bisher am meisten von fossilen Brennstoffen und der Kohleförderung abhängig sind.

Insgesamt setzt sich die Billion für den Green Deal bis 2030 zusammen aus etwa 500 Milliarden aus dem EU-Haushalt, rund 250 Milliarden an Krediten der Europäischen Investitionsbank EIB, 110 Milliarden Kofinanzierung aus den EU-Mitgliedsstaaten – den Rest sollen Privatinvestoren beisteuern.

Diese Rechnung hat viele Unbekannte: Es ist unklar, wie viel Geld die EU-Staaten der Kommission tatsächlich zusagen. Insgesamt will die Kommission den Umbau zu einer Öko-Volkswirtschaft praktisch ohne frisches Geld schaffen – auch die EIB-Kredite sind keine zusätzlichen Mittel. Der Green Deal dürfte wohl das erste „Man on the Moon“-Projekt sein, das quasi aus der Portokasse finanziert wird. Billionen an öffentlichem Geld auszugeben, wie für Bankenrettungen und Corona-Krisenfolgen, ist für die Klimarettung nicht vorgesehen.

„Geeignete Bedingungen für Investoren“

In ihrer Mitteilung zum Green Deal vom Januar sagt die EU-Kommission klar, was das bedeutet: Das vorhandene öffentliche Geld wird mit dem Ziel investiert, „geeignete Rahmenbedingungen für private Investoren“ zu schaffen. „Um das mit dem europäischen Grünen Deal gesteckte Ziel zu erreichen, muss eine erhebliche Investitionslücke geschlossen werden“, schreibt die Kommission in ihrem Green-Deal-Konzept. „Der Privatsektor wird bei der Finanzierung der grünen Wende jedoch eine Schlüsselrolle spielen. Langfristige Signale sind erforderlich, um Finanz- und Kapitalströme auf grüne Investitionen zu lenken und verlorene Vermögenswerte zu vermeiden.“

Man sollte die Konsequenzen dieses Herangehens nicht unterschätzen. Die EU-Kommission erklärt, mit dem öffentlichen Geld werde privates Kapital für den Klimaschutz mobilisiert, man spare also knappe öffentliche Mittel. So schön das klingt – das private Geld bekommt man aber nicht geschenkt.

In der Realität führt dies zwangsläufig dazu, dass das öffentliche Geld derselben Logik unterworfen wird wie das Privatkapital: Die Projekte müssen Rendite für die Investoren erwirtschaften, und mit dem öffentlichen Geld wird vor allem das Investitionsrisiko minimiert. Die Rendite landet beim Investor, das Risiko nimmt ihm die öffentliche Hand kostenlos wenigstens teilweise ab. Die globale Investorenklasse bekommt ihre „Just Transition“, so viel ist jedenfalls sicher.

Wenn man von vornherein darauf setzt, dass die Energiewende, ein gut ausgebauter öffentlicher Nahverkehr und energetisch sanierte Wohnungen oder auch der Schutz der Biodiversität Anlageobjekte sind, die Rendite für Investoren zu erbringen haben, dann verändert man weit mehr als nur eine Finanzierungsform. Man verändert überhaupt das Verständnis davon, was Politik ist. Es ist die Perfektionierung der „marktkonformen Demokratie“.

„Green New Deal“ meint etwas ganz anderes

Genau dieser Ideologie folgt Ursula von der Leyens Green Deal. Nach der Privatisierung von öffentlichen Unternehmen und Dienstleistungen wird der „Anlagenotstand“ auch in Europa nun dadurch behoben, dass man sogar umfassende politische Programme wie den Green Deal davon abhängig macht, dass sie genug Rendite für Investoren abwerfen. Dabei sind die Alternativen klar:

Entweder wird die „Transformation zur Klimaneutralität“ als öffentliche Aufgabe verstanden, die mit öffentlichen Mitteln organisiert wird und die keine Finanzrendite für Investoren abwerfen muss. Dafür wird die Geldschöpfung der Zentralbank herangezogen und es werden nur diejenigen stärker besteuert, die in 30 Jahren Neoliberalismus reicher geworden sind.

Man kann den Anlagenotstand vieler Anleger auch dadurch beheben, dass sie nicht mehr so viel anzulegen haben. Außer der Finanzoligarchie, die das ganze Projekt direkt und indirekt zu bezahlen hat, profitieren dann alle davon, vor allem arbeitende Menschen.

Kurzum: Klimaschutz und Überwindung des Neoliberalismus als gemeinsames Projekt. Das ist der Kern des amerikanischen „Green New Deal“-Projekts von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez, angelehnt an Franklin D. Roosevelts „New Deal“ der 1930er Jahre.

Oder man versteht die „Transformation“ zur Klimaneutralität als technokratisches Geschäftsmodell, als neue Anlagemöglichkeit für renditesuchende Investoren, bei der der Staat lediglich günstige Rahmenbedingungen setzt, ansonsten die Dogmen von „schwarzer Null“ und Austerität hochhält und möglichst wenig öffentliches Geld aufwendet.

In diesem Modell bezahlen arbeitende Menschen die „Transformation“, sie haben für die erforderlichen Renditen der Klimaschutz-Anleger zu sorgen. Die globale Investorenklasse bekommt diese Renditen, nachdem sie jahrzehntelang gut mit ihren Investitionen in die fossile Wirtschaft verdient hat. Mit öffentlichem Geld wird ihr Investitionsrisiko vermindert.

Sie wird auch für „gestrandete Investitionen“ wie etwa vorzeitig stillgelegte Kohlekraftwerke noch entschädigt – aus Steuermitteln, wohlgemerkt, zu denen sie selbst immer weniger beiträgt.

Kurzum: Klimaschutz als grüne Fortsetzung des Neoliberalismus, der die Reichen reicher macht auf Kosten aller anderen.

Umverteilung nach oben ist kein Klimaschutz

Gesellschaftliche Mehrheiten für ein großes Projekt – man muss es nicht „Man on the Moon“ nennen – schafft man nur, wenn breite Mehrheiten davon selbst etwas haben. Aber wen es nicht mehr interessiert, wer eigentlich für die Klimapolitik bezahlen soll, der verspielt leider auch genau das, was er für die Durchsetzung jedes „ambitionierten“ Klima-Ziels braucht: gesellschaftliche Mehrheiten jenseits der eigenen Polit-Filterblase.

Mit Verzichtsappellen gewinnt man nichts, wenn sich gleichzeitig die Reichen weiter bereichern. Mit einer Politik von Mittelschichten für obere Mittelschichten kann man nur scheitern. Ein CO₂-Preis, der alle gleichmäßig belastet, den Millionär genauso wie die Krankenschwester, belastet eben nicht alle gleich.

Die „Transformation“ kann zu einem Projekt werden, auseinanderdriftende Gesellschaften wieder zusammenzubringen, wenn sie damit auch ökonomisch und psychologisch wieder zusammenkommen. Und das bedeutet nichts weniger als: Nach 30 Jahren Umverteilung von unten nach oben muss es jetzt wieder andersrum laufen. Die Transformation müssen diejenigen bezahlen, die in 30 Jahren Neoliberalismus reicher geworden sind, und eben nicht „wir alle“.

Jürgen Maier

Der Autor ist seit 1996 Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung, eines bundesweiten Bündnisses von etwa 65 Nichtregierungsorganisationen mit Sitz in Berlin. Eine Langfassung seines Artikels geht näher auf den „Green New Deal“ in den USA ein.

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