„Sozialismus ist Wiederanschluss an die Natur“

Aus DER RABE RALF Februar/März 2018, Seite 10

Eine Initiative will an Gustav Landauer, den streitbaren Theoretiker des freiheitlichen Sozialismus, mit einem Denkmal erinnern

„Rettung kann nur bringen die Wiedergeburt der Völker aus dem Geist der Gemeinde! … Sozialismus ist Wiederanschluss an die Natur, Wiedererfüllung mit Geist, Wiedergewinnung der Beziehung. … Alles müssen wir erst wieder lernen: die Freude der Arbeit, der Gemeinsamkeit, der gegenseitigen Schonung, alles haben wir vergessen und spüren es doch alles noch in uns.“

Der Historiker Rainer Schmidt nannte Gustav Landauer, der diese Zeilen bereits 1911 schrieb, den „maßgeblichen Theoretiker der Siedlungsbewegung in den frühen Jahren der Weimarer Republik“. Landauer selbst sollte nur wenige Monate dieser Republik noch erleben. Am 2. Mai 1919 wurde er im Münchner Gefängnis Stadelheim brutal ermordet. Die Niederschlagung der Bayrischen Räterepublik vor bald 100 Jahren war die eigentliche Geburtsstunde der Nazibewegung, Gustav Landauer eines ihrer ersten Opfer.

Fast drei Jahrzehnte hatte Landauer in Berlin gelebt und gewirkt: in der Volksbühnenbewegung, als Redakteur der Zeitschrift „Sozialist“, in der jüdischen Jugendbewegung, als Redner und Aktivist gegen den Krieg. Auch in der ökologischen Bewegung hat er einen festen Platz.

„Übervater“ der frühen Grünen

„Hätten die Grünen ein Geschichtsbewusstsein, sie könnten Landauer in ihre Genealogie aufnehmen: als Übervater.“ So spottete der SPD-Vordenker Peter Glotz Mitte der 1990er Jahre – nicht nur über die Geschichtsvergessenheit der Grünen, sondern auch über die ihnen mit Landauer gemeinsame Vision eines ökologischen Sozialismus. Weniger dickfellig und historisch kundiger hatten der Historiker Ulrich Linse und der Politologe Rolf Cantzen die Grünen bereits Mitte der 80er Jahre auf ihren Ahnen Landauer hingewiesen.

Für Cantzen war Landauer der erste und bedeutendste Zeuge eines „libertär-ökologischen Gesellschaftskonzepts“, wie es ähnlich seit Mitte der 1970er Jahre durch die Schriften des US-amerikanischen Theoretikers Murray Bookchin bekannt geworden war. Bookchin hatte – durch Landauer nicht unbeeinflusst – die Lösung der ökologischen Frage im Konzept der „Sozialökologie“ mit einer grundlegenden, von der kommunalen Ebene ausgehenden Demokratisierung des Gemeinwesens verknüpft.

Ulrich Linse sah in Landauer den direkten Vorläufer des „radikalen Ökosozialismus“ innerhalb der Grünen, der ab 1982 die Bewältigung der Umweltkrise mit der Überwindung des Kapitalismus verband. Die ersten Ansätze in dieser Richtung, schrieb er 1986 in seinem Buch „Ökopax und Anarchie“, seien „von einer Randfigur des deutschen Anarchismus“ gekommen, „nämlich von Gustav Landauer“.

Gustav Landauer (1870-1919). Foto: Heinrich Hoffmann

Keine Theorie ohne Praxis

Was aber macht Landauer zu einem Vorläufer des Ökosozialismus? – Zwar beklagte er das Elend des Proletariats, das ohne Beziehung zur Natur und zu den Dingen der Arbeit sein durch „die schlechte Luft und das verpestete Hausen“, durch die „Überanstrengung“ und den giftigen Dunst der Fabrik oft künstlich verkürztes Dasein fristete. Zwar kritisierte er den „Entwicklungsaberglauben“ der SPD und einen Fortschritt, der nichts war als „dieses unaufhörliche Gewackel und Gefackel, dieses Schnellmüdewerden“ und „kurzatmige Jagen nach dem Neuen, wenn es nur mal wieder neu ist“. Zwar beschrieb er die Beziehungs- und Verantwortungslosigkeit durch einen Weltmarkt, wo „die Eier … aus Galizien, die Butter aus Dänemark, das Fleisch aus Argentinien“ kamen. Auch schrieb er an gegen den Militarismus und die Unmündigkeit eines Volkes, „das in jedem Augenblick drei Millionen Bewaffnete gegen Europa zu werfen imstande ist, wenn ein Einzelner in seinem Privathirn eine minimale Änderung erlebt“.

Doch was den Rang Landauers als zentrale „Randfigur“ des freiheitlichen Ökosozialismus begründet, ist vor allem, dass er seine Analyse konsequent mit der tatsächlichen Initiative zur Schaffung von Einrichtungen verband, die die Menschen befähigen würden, selbst über ihre Geschicke zu entscheiden.

„Der Landhunger muss über euch kommen!“

Anlässlich eines Bäckerstreiks erzählte Landauer 1911 einen Schwank aus seiner Jugend, als man noch wusste, „wie das Brot auf jedem Dorf des Umkreises schmeckte“. Hingegen heute: „O du köstliches Brot … zu was für einer grauen, faden Fabrikware bist du erniedrigt worden, und was für chemische Giftmischereien … haben sich schon an dich gewagt!“ Nicht ohne sogleich einen Plan zur Gründung von „Gemeindebacköfen“ zu skizzieren.

Die Freude und die Fülle des Lebens waren für Landauer von der Gemeinschaft und kollektiven Selbstbestimmung der Menschen nicht zu trennen. Dabei vertrat er einen radikalen Föderalismus oder, wie er 1918 schrieb: „echte Demokratie“. Immer war es ihm um „positive Arbeit“ zu tun, „denn wer im rechten Geiste baut, zerstört im Bauen die stärksten Hindernisse.“

1895 war er beteiligt an der Gründung der Arbeiter-Konsumgenossenschaft „Befreiung“, mit Filialen in drei Berliner Bezirken. Mit der Broschüre „Ein Weg zur Befreiung der Arbeiter-Klasse“ warb er für die Genossenschaft als Hebel im wirtschaftlichen Befreiungskampf. Um 1900 war er im innersten Kreis der „Neuen Gemeinschaft“ aktiv. Bald übersetzte er die Werke Peter Kropotkins über die „gegenseitige Hilfe“ und die „Vereinigung von geistiger und körperlicher Arbeit“.

„Land und Freiheit!“, drang damals der Ruf von Russland bis Mexiko und Preußen. Auch Landauer wusste den Boden als die Grundlage jeder Produktion. Mit dem „Sozialistischen Bund“ betrieb er ab 1908 die Gründung sozialistischer Siedlungen und freier Schulen, bereitete die Zerschlagung des Großjunkertums vor: „Der Landhunger muss über euch kommen, Großstadtmenschen!“

Denkmal in Berlin

Zunehmend wendete Landauer seine Kraft auch gegen den drohenden Krieg. Am 1. Dezember 1909 druckte zuerst „Der Sozialist“ Tolstois „Rede gegen den Krieg“, in 14.000 Exemplaren: „Nachdruck erwünscht“. Die Zeitschrift war erstmals auch an Kiosken erhältlich. 1911 rief Landauer zum „freien Arbeitertag“ auf, um einen kriegsverhindernden Streik zu organisieren, schrieb die Massenbroschüre „Die Abschaffung des Kriegs durch die Selbstbestimmung des Volks – Fragen an die deutschen Arbeiter“, als Dialog. Der Plan wurde verraten, Landauer auf Jahre in Prozesse verwickelt.

Nach dem Krieg begünstigte die wirtschaftliche Not die Rezeption seiner Ideen über die Gründung sozialistischer „Inlands-Kolonien“. Zahlreiche Siedlungsprojekte entstanden. Am bekanntesten sind der „Barkenhoff“ um den Maler Heinrich Vogeler, die Siedlung „Freie Erde“ und die „Naturwarte“ Paul Robiens.

Das Werk Gustav Landauers wurde lange vergessen oder unterdrückt. Heute ist seine Bedeutung in der Wissenschaft unumstritten. Der Öffentlichkeit jedoch ist er noch kaum bekannt. Landauer verdient ein Gedächtnis. Die „Gustav Landauer Denkmalinitiative“ will im Mai 2019, zum 100. Todestag, ein Denkmal für Landauer realisieren und so an die Geschichte des freiheitlichen Sozialismus in Berlin erinnern.

Jan Rolletschek

Weitere Informationen:
www.gustav-landauer.org


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