Der Fusionsreaktor

Aus DER RABE RALF April/Mai 2023, Seite 5

Die Nutzung der Kernfusion zur Energiegewinnung liegt immer nur wenige Jahrzehnte vor uns

Wir haben schon einen Fusionsreaktor. (Foto: Sven Lachmann/​Pixabay)

Die Sonne ist der Garant von allem Leben auf der Erde. Pro Sekunde fusionieren in ihrem Innern 600 Millionen Tonnen Wasserstoff zu Helium, wobei allerdings vier Millionen Tonnen an Masse verlorengehen. Sie werden in Energie umgewandelt und in Form von Strahlung freigesetzt. Deshalb scheint die Sonne und sorgt mit ihren Strahlen dafür, dass auf der Erde überhaupt Leben möglich ist.

An ihrer Oberfläche ist die Sonne 6.000 Grad Celsius heiß, in ihrem Innern 15.000 Grad. Wegen ihrer ungeheuren Masse liegt der Druck in ihrem Innern bei 250 Milliarden Bar, die Dichte des Materials kommt auf 160 Gramm pro Kubikzentimeter. Das sind die Bedingungen, unter denen auf der Sonne die Kernfusion stattfindet. Zur besseren Einschätzung: Gold hat eine spezifische Dichte von 19,3 Gramm pro Kubikzentimeter, Wasser von einem Gramm.

Ausgangsstoff Lithium

Am 1. November 1952 zündeten die USA auf den Marshallinseln im Pazifik die erste Wasserstoffbombe. Es war eine unkontrollierte Kernfusion. Seither träumen Atomphysiker aber davon, den Fusionsreaktor Sonne zu kopieren und die Fusion auf der Erde unter kontrollierten Bedingungen zu verwirklichen.

Und sie träumen nicht nur, sie arbeiten auch daran – und bekommen dafür Milliarden an Forschungsmitteln. „Ein Gramm Brennstoff könnte in einem Kraftwerk 90.000 Kilowattstunden Energie erzeugen – die Verbrennungswärme von 11 Tonnen Kohle“, fasst das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik die Träume der Fusionsforscher zusammen. „Unter irdischen Bedingungen verschmelzen am leichtesten die beiden Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium.“ Und die seien auf der Erde gleichmäßig verteilt: „Deuterium ist in nahezu unerschöpflichen Mengen im Meerwasser zu finden. Tritium – ein radioaktives Gas mit kurzer Halbwertszeit von 12,3 Jahren – kommt in der Natur kaum vor. Es kann aber innerhalb des Kraftwerks aus Lithium gebildet werden, das ebenfalls reichlich vorhanden ist.“

Und noch besser: Das Risiko einer unkontrollierbaren Kettenreaktion soll weit niedriger sein als bei einem Kernkraftwerk und es entstehen kurzlebigere und schwächer strahlende atomare Abfälle. Nach rund 100 Jahren liegt die Strahlung nur noch bei einem „Zehntausendstel des Anfangswerts“, so das Max-Planck-Institut. Ein auf Hunderttausende von Jahren unlösbares Endlagerproblem gäbe es also nicht.

Scheitern vorprogrammiert

Ist die Kernfusion damit die Lösung aller Energieprobleme, die wir auf der Erde haben? Weit gefehlt: „Wissen Sie“, erklärte mir Klaus Traube, der ehemalige Chefkonstrukteur des „Schnellen Brüters“ in Kalkar, schon vor rund 20 Jahren, „die Atomindustrie hat 1960 gesagt, der Fusionsreaktor wird 1970 Wirklichkeit. 1970 hat sie von 1990 gesprochen und 1990 das Jahr 2020 als Jahr genannt, in dem der Fusionsreaktor fertiggestellt sein würde. Seit dem Jahr 2000 gibt sie kein Datum mehr an.“ Beim Fusionsreaktor sei das Scheitern geradezu vorprogrammiert, so Traube. „Der Fusionsreaktor ist technisch noch viel schwieriger zu beherrschen als der Schnelle Brüter. Um ihn zu verwirklichen, müssen die Bedingungen, wie sie auf der Sonne herrschen, auf der Erde simuliert werden, das ist vollkommen unrealistisch. Kein Material der Welt hält solchen Temperaturen und Verhältnissen stand.“ Einzig im Vakuum könne die Fusion gelingen.

Die Atomphysiker lassen sich von solchen Zweifeln bislang aber nicht beirren. 2006 wurde im Élysée-Palast in Paris der Vertrag unterzeichnet, mit dem der Bau des Fusionsreaktors ITER im französischen Kernforschungszentrum Cadarache geregelt ist. Neben der europäischen Atomgemeinschaft Euratom, zu der neben allen EU-Staaten auch die Schweiz und Großbritannien gehören, sind China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA an dem Milliardenprojekt beteiligt.

Milliarden umsonst ausgegeben

Es ist eine idyllische Gegend, in der an der vermeintlichen Zukunft der Atomtechnologie gebastelt wird. Cadarache liegt ein paar Kilometer östlich des kleinen Dorfes Saint-Paul-lès-Durance im Süden Frankreichs im Tal der Durance. Sanfte Hügel und die Sonne der Provence prägen die Region. Für den ITER und die Fusionsforschung in Cadarache haben die beteiligten Staaten nach Angaben der EU bislang fast 10 Milliarden Euro ausgegeben. Bis zum Jahr 2035 sind weitere acht Milliarden freigegeben.

Große Erfolge in der Fusionsforschung wurden aus Cadarache bislang nicht vermeldet. Einen wissenschaftlichen Durchbruch verkündete dafür im vergangenen Dezember das Energieministerium der USA: Dem staatlichen Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) bei San Francisco sei am 5. Dezember eine Fusionszündung und das erste kontrollierte Fusionsexperiment gelungen, in dem mehr Energie gewonnen als hineingesteckt wurde. US-Energieministerin Jennifer Granholm sprach von einem „Meilenstein“. Die Arbeit des Teams werde dabei helfen, „die komplexesten und dringendsten Probleme der Menschheit zu lösen, wie die Bereitstellung sauberer Energie zur Bekämpfung des Klimawandels“. Gleichzeitig könne die „nukleare Abschreckung ohne Atomtests aufrechterhalten werden“.

„Ein Rechentrick“

Das LLNL hat dazu den leistungsstärksten Laser der Welt gebaut, so groß wie ein Fußballstadion. Mit diesem Gerät haben die Forscher die Wasserstoff-Isotope Tritium und Deuterium beschossen und eine Temperatur von knapp 60 Millionen Grad Celsius erzeugt. Die Wasserstoff-Isotope sind zu Helium verschmolzen und haben dabei einen kleinen Teil ihrer Masse in Form von Strahlung abgegeben. „Es ist derselbe Prozess, der die Sonne zum Leuchten bringt und Wasserstoffbomben ihre gewaltige Zerstörungskraft verleiht“, schrieb die Presse.

Ministerin Granholm spricht zwar von einem „Meilenstein“. Aber aus diversen Kommentaren wird deutlich, dass dieser Schritt doch eher klein war. „Der Überschuss, den man am Livermore erzielt zu haben behauptete, beruht vor allem auf einem Rechentrick“, kommentierte „Die Zeit“ den Versuch. „Seit Jahren wird dort Laserlicht gezielt auf Wasserstoff-Tröpfchen von der Größe eines Pfefferkorns geschossen, bis in diesem ,Pellet‘ die Kerne verschmelzen. Dabei wurden nun laut den Forschern 3,15 Megajoule (MJ) an Wärmeenergie freigesetzt, während nur 2,05 MJ an Laserenergie auf das Plasma geschossen wurden – ergibt also einen Überschuss von 1,1 MJ (0,3 Kilowattstunden). Allerdings fehlen in dieser Rechnung die 300 MJ Energie, die benötigt wurden, um die 192 Laser überhaupt erst einmal auf diese Leistung zu bringen.“ Das Experiment hat also 300-mal mehr Energie verbraucht als erzeugt.

Atomare Blütenträume

Nach 70 Jahren Fusionsforschung und 100 Milliarden US-Dollar Forschungsmitteln ist noch keine einzige Kilowattstunde Strom erzeugt worden. „Der Fusionsreaktor ist ein Projekt unrealistischer atomarer Blütenträume“, schrieb der Solarpionier Hermann Scheer bereits 2008, „wir müssen den Fusionsreaktor Sonne nutzen“. Er liefert mehr als genug Energie. Und um die Leser an dieser Stelle zu beruhigen: Auch wenn die Sonne durch ihre Strahlung jede Sekunde vier Millionen Tonnen an Masse verliert, reichen die vorhandenen Wasserstoffatome noch einige Milliarden Jahre.

Horst Hamm 

Der Autor ist Umweltjournalist mit den Schwerpunkten Atomkraft und erneuerbare Energien. Von 1996 bis 2014 war er Redakteur bei der Zeitschrift „Natur“. 2019 hat er den „Uran-Atlas“ produziert. Im April erscheint sein Buch „Das unheimliche Element. Die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung“ im Oekom-Verlag (240 Seiten, 22 Euro).

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