Aus DER RABE RALF Februar/März 2023, Seite 12
Folge 13: Die Fallstricke des „Carbon Farming“ – Landwirtschaft als bezahlte CO₂‑Senke
„Carbon Farming“ ist in der Agrarpolitik und in der landwirtschaftlichen Praxis gerade sehr angesagt. Ziel ist dabei, durch landwirtschaftliche Maßnahmen CO₂ aus der Atmosphäre langfristig im Boden zu binden und so den Klimawandel zu verlangsamen. Ob und in welchem Umfang dies möglich ist, wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es politisch überhaupt sinnvoll ist, auf „Carbon Farming“ zu setzen.
Mit der „Vier-Promille-Initiative“ der französischen Regierung, die bei den UN-Klimaverhandlungen 2015 in Paris vorgestellt wurde, hat „Carbon Farming“ die weltpolitische Bühne betreten. Diese Initiative will 0,4 Prozent CO₂-Speicherung pro Jahr in landwirtschaftlichen Böden erreichen. Es folgte die Gründung unzähliger Start-ups, die diese landwirtschaftliche Kohlenstoffspeicherung eindeutig messbar machen und die daraus errechneten CO₂-Äquivalente als Emissionszertifikate an Unternehmen gewinnbringend weiterverkaufen wollen. Am Ende sollen sich die BäuerInnen über einen Zusatzverdienst freuen können und endlich für ihre harte, unbezahlte Arbeit am Ökosystem entlohnt werden.
Man könnte meinen, alle würden nur gewinnen: Klima, BäuerInnen, Unternehmen, Böden, Regenwürmer … Wir wollen deshalb einen kritischen Blick auf das Ganze werfen.
CO₂-Handel mit dem Boden
Zuerst sei die grundlegende Frage erlaubt, warum Landwirtschaft eigentlich die Welt retten soll. Nichts gegen Anbausysteme, die die Bodenfruchtbarkeit steigern. Das ist auch mein Herzensanliegen. Ich habe darüber ein ganzes Buch geschrieben, das „Praxishandbuch Bodenfruchtbarkeit“. Aber warum sollen diese Ansätze in kapitalistischer Logik zu Geld gemacht werden und im Rahmen des vielfach kritisierten CO₂-Zertifikatehandels dafür herhalten, dass die Verantwortlichen für die Klimakrise weiter „business as usual“ veranstalten dürfen?
„Carbon Farming“ lenkt den Blick von der Tatsache weg, dass unser Lebensstil sich radikal wandeln muss, wenn das Klimachaos einigermaßen erträglich bleiben soll. Kurz gesagt: Wer die Autoindustrie nicht abwickeln will, dem kommen „Carbon Farming“-Zertifikate gerade recht.
Auf der materiellen Ebene ist „Carbon Farming“ eine weitere „In-Wert-Setzung“ von Natur, in diesem Fall des Kohlenstoffs im Boden beziehungsweise des Bodens selbst. Und rein praktisch bedeutet es eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten von BäuerInnen, die in Zeiten des zunehmenden Klimachaos wahrscheinlich alle Register in Sachen Bewirtschaftungsformen ziehen müssen, um die Menschheit noch halbwegs ernähren zu können.
Mit Humusaufbau in die Klima-Sackgasse
Um die fachlichen Fallstricke zu erläutern, ist es sinnvoll, die Möglichkeiten der CO₂-Speicherung in Böden hier einmal grob vereinfacht darzustellen. Wissenschaftlich ist man sich im Großen und Ganzen einig, dass die extrem stabilen Dauerhumus-Verbindungen im Boden durch die Bewirtschaftungsform kaum vermehrt werden können (außer vielleicht durch Biokohle, was ein Kapitel für sich ist). Humusaufbau in der praktischen Landwirtschaft (Rabe Ralf Dezember 2021, S. 16) bedeutet deshalb immer „nur“, den Auf- und Abbau von Nährhumus auf ein höheres Fließgleichgewicht zu heben. Je höher der Überschuss an Kohlenstoff, Stickstoff und anderen Elementen, die zur Bildung von Nährhumus notwendig sind, desto höher das neue dynamische Gleichgewicht.
Nährhumus allerdings ist deutlich instabiler. Er kann zwar relativ schnell auf-, aber dadurch auch schnell wieder abgebaut werden. Das heißt im Klartext: Selbst wenn mit den beworbenen „regenerativen“ Methoden Nährhumus aufgebaut werden kann, so müssen diese Maßnahmen quasi „für immer“ beibehalten werden, damit der Kohlenstoff gebunden bleibt.
Nehmen wir den intensiven Zwischenfrucht- oder Begrünungsanbau als Beispiel und nehmen wir weiterhin an, dass dabei wirklich Nährhumus aufgebaut wird (was wissenschaftlich gar nicht so klar belegt ist). Um das entsprechend höhere Fließgleichgewicht an Nährhumus zu halten, muss jedes Jahr eine bestimmte Menge an Biomasse erzeugt und im Boden als Humus festgelegt werden.
Ändert sich das Klima nun insofern, dass der Gesamtniederschlag in einer Region sich halbiert oder ungünstig verteilt ist, kann es passieren, dass die Erzeugung entsprechender Begrünungen nicht mehr möglich ist: Das Wasser wird komplett für die Erzeugung von Lebensmitteln benötigt. Der Begrünungsanbau wird also zwangsläufig eingestellt und die entsprechenden CO₂-Mengen werden relativ schnell wieder in die Atmosphäre abgegeben. Da wir als Gesellschaft aber noch Kohle verbrennen und diese Emissionen durch den Anbau von Begrünungen kompensiert werden sollten, fliegt uns die ganze Klimapolitik um die Ohren und das Klimachaos verschärft sich. Oder – wenn der Begrünungsanbau aus Klimaschutz-Gründen beibehalten wird – für die Lebensmittelerzeugung fehlt anschließend das Wasser und wir bekommen eine Ernährungskrise.
Ähnliches lässt sich für die Speicherung von Kohlenstoff in oberirdischer Biomasse wie Holz sagen. So liegt beispielsweise das CO₂-Bindungspotenzial von Agroforst-Systemen auf der Hand: Mehr Bäume in der Landschaft speichern mehr Kohlenstoff in ihrer holzigen Biomasse (und ihren Wurzeln). Auch diese Rechnung geht allerdings nur auf, wenn die CO₂-Bindungsleistung der Bäume dauerhaft auf dem angestrebten Niveau gehalten wird. Das heißt, dass Bäume konsequent nachgepflanzt werden müssen – oder das Holz alter Bäume nach der Fällung im erforderlichen Umfang als Bau- oder Möbelmaterial dauerhaft in Häusern oder Wohnzimmern „festgelegt“ wird. Führt die Klimakrise aber nun im schlimmsten Fall dazu, dass Nachpflanzungen aufgrund von Wassermangel nicht mehr gelingen und wegen Brennstoffknappheit im Winter wieder mehr Holz verheizt werden muss, fliegt uns auch diese Rechnung komplett um die Ohren. Vor allem dann, wenn damit die Fortsetzung der CO₂-Emissionen an anderer Stelle kompensiert werden sollte.
Klimaanpassung statt CO₂-Bindung als Ziel
Sollten wir also den Kopf in den Sand stecken? Ganz im Gegenteil. Allerdings sollte die Motivation zur Änderung unserer Bodenbewirtschaftung eine andere sein. Denn fest steht: Uns stehen unvorhersehbare und chaotische Zeiten bevor. Das Klima wird sich massiv ändern, Extremwetter wird sich häufen, Dürren und Überflutungen könnten sich die Klinke in die Hand geben.
Um damit klarzukommen, brauchen wir humusreiche Böden und widerstandsfähige Anbausysteme, die vielfach mehr Bäume enthalten sollten, als es heute der Fall ist. Hohe Humusgehalte, eine perfekte Bodengare, Mulchauflagen, Begrünungen und Zwischenfrüchte, Untersaaten und Gemenge, eine angepasste Bodenbearbeitung sowie Bäume und Hecken, die die Verdunstung fördern, den Wind bremsen und Schatten spenden: All das brauchen wir, wenn komplett ausgetrocknete Böden möglichst viel Wasser aus dem Unwetter speichern sollen, das der Dürre folgt.
Und wir sollten mit alldem besser gestern als heute anfangen. So gute Bedingungen wie heute werden wir morgen nicht mehr haben. Noch können wir mit ausreichendem Niederschlag rechnen und wir haben noch zahlreiche Möglichkeiten, die Bodenfruchtbarkeit zu steigern. Wir können uns heute allerdings noch kaum vorstellen, zu welchen Bewirtschaftungsmethoden wir greifen müssen, um unsere Gesellschaft in Zukunft zu ernähren und zu versorgen. Nutzen wir die letzten „ruhigen“ Jahrzehnte, um den Boden für diese Zeiten vorzubereiten.
Es geht um Anpassung an ein sich wandelndes Klima und um die Stärkung der Resilienz unserer landwirtschaftlichen Betriebe gegenüber krisenhaften Wetterveränderungen. Darüber sollten wir sprechen. Und wenn wir damit gewissermaßen als Nebeneffekt noch ein bisschen CO₂ speichern und so die Klimakrise verlangsamen, dann nehmen wir das natürlich gerne mit. Dass diese Maßnahmen politisch und ökonomisch belohnt werden, dafür sollte man kämpfen. Zu einem Spielball kapitalistischer Klimapolitik sollten sich BäuerInnen aber nicht degradieren lassen.
Jan-Hendrik Cropp
Weitere Informationen: www.bodenfruchtbarkeit.net
Zuerst erschienen in „grünes blatt“ Herbst 2022, www.gruenes-blatt.de
Bisher erschienen:
Teil 1: Kippelemente
Teil 2: Extremwetter
Teil 3: Begriffe
Teil 4: Zoonosen
Teil 5: Atomkraft
Teil 6: Landwirtschaft
Teil 7: Rassismus
Teil 8: CO₂-Tricks
Teil 9: Männer
Teil 10: Klimaforschung
Teil 11: Graue Energie
Teil 12: Rebound-Effekt