Aus DER RABE RALF April/Mai 2021, Seite 10
Folge 2: Von instabilen Polarwirbeln und Extremwetterereignissen
Schlittenfahren, Eislaufen und sogar Skifahren – all das war Anfang Februar in Berlin und Brandenburg plötzlich möglich. Vom einen auf den anderen Tag erlebte der Norden Deutschlands einen Kälteeinbruch, der von verhältnismäßig viel Schnee begleitet wurde und die Region für ein paar Tage in ein regelrechtes Winterwunderland verwandelte.
Doch bei all der Freude über den Schnee wurden auch die Stimmen derer wieder lauter, die den Klimawandel leugnen. Vor allem in den sozialen Netzwerken wurde das Wetter mit Sprüchen wie „Ich kann vor lauter Schnee den Klimawandel nicht mehr sehen“ kommentiert und die längst überflüssige Debatte um die Existenz der Klimakrise wieder angekurbelt. „Es gibt erwachsene Menschen in Deutschland, die beim Anblick von Schneeflocken im Februar erklären, die Klimakrise sei wohl nicht so schlimm“, schrieb die Klimaaktivistin Luisa Neubauer auf Twitter.
Klima ist mehr als nur das Wetter
Hier wurde, wie so oft, das Wetter mit dem Klima verwechselt. Als Wetter bezeichnet man den physikalischen Zustand der Atmosphäre zu einem bestimmten Zeitpunkt oder über einen kürzeren Zeitraum, in der Regel wenige Tage, an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Gebiet. Das Wetter beschreibt also, ob heute in Berlin die Sonne scheint, ob es regnet, ob es kalt oder warm ist und woher der Wind kommt.
Klima ist hingegen das durchschnittliche Wetter über einen längeren Zeitraum. Dabei wird meistens die von der Weltorganisation für Meteorologie empfohlene Zeitspanne von 30 Jahren betrachtet. In der Klimaforschung werden häufig noch längere Zeiträume wie Jahrhunderte oder Jahrtausende untersucht. Bei dem Wintereinbruch Anfang des Jahres handelte es sich also lediglich um ein Wetterphänomen und nicht um eine klimatische Veränderung.
Schwacher Polarwirbel gibt Kaltluft frei
Die Kälte lässt sich auf den instabilen Polarwirbel über der Arktis zurückführen, erklärten Wissenschaftler:innen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Die beiden Polarwirbel über der Arktis und über der Antarktis sind Wirbel aus Frostluft, die in den Wintermonaten in der Stratosphäre in einer Höhe von bis zu 50 Kilometern entstehen. Die arktische Luft wird normalerweise von starken, den Nordpol umkreisenden Winden in mehreren zehntausend Metern Höhe in der Atmosphäre eingeschlossen, erläuterte die Potsdamer Klimaphysikerin Marlene Kretschmer. In einer Studie untersuchte sie die Schwächephasen des arktischen Polarwirbels im Laufe der letzten vier Jahrzehnte.
Denn ungewöhnlich niedrige Temperaturen traten in den letzten Jahren vor allem in nördlicheren Regionen wie in Russland oder in Nordamerika häufiger auf. In Westsibirien wurde sogar ein Abwärtstrend der Wintertemperaturen beobachtet. Doch wie passt all das mit der Erderhitzung zusammen?
Paradoxerweise gibt es wahrscheinlich sogar einen direkten Zusammenhang. Durch die Erhitzung schmilzt nämlich das Meereis in den Polarregionen und legt große Teile des Ozeans frei, der dadurch vermehrt Wärme an die Umgebung abgibt. Diese Wärme sorgt für eine Abschwächung der Höhenwinde, die die Pole umkreisen, wodurch die kalte Polarluft entweichen und auf Teilen der Nordhalbkugel extremes Winterwetter verursachen kann. Mit diesem Phänomen ließen sich die meisten beobachten Kälteextreme in den eurasischen Wintern seit 1990 erklären, so Kretschmer.
Keine Normalisierung in Sicht
Die Studie ergab, dass die Schwächephasen der Polarwirbel in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt zunahmen und immer länger andauern, wodurch solche Extremwetterereignisse immer wahrscheinlicher werden. Die Wissenschaftler:innen rechnen damit, dass solche instabilen Phasen noch weiter zunehmen, langfristig aber von dem allgemeinen Erwärmungstrend überlagert werden. Denn die Polarluft, die sich aus der Arktis zu uns bewegt, wird immer wärmer, da sich die Arktis etwa doppelt so schnell erhitzt wie der Rest der Erde.
Sogar der Schneefall kann auf die Klimaveränderung zurückgeführt werden. Durch die Hitzerekorde befindet sich immer mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre, da vor allem aus den Ozeanen mehr Wasser verdunstet. Diese Feuchtigkeit trifft dann in Form von Niederschlägen, entweder als Regen oder eben als Schnee, auf die Erdoberfläche.
Die Dürrejahre stecken noch im Boden
Trotz des heftigen Wintereinbruchs waren die Wintermonate in Deutschland insgesamt wieder viel zu warm. 2020 war bereits das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und 2021 könnte sogar einen neuen Rekord aufstellen. Auf das Winterwunderland folgten in ganz Deutschland nämlich schon fast sommerliche Temperaturen, die auch die Debatte um die Klimakrise wieder ein wenig abflauen ließen. Denn um zu erkennen, dass über 20 Grad im Februar nicht normal sind, muss man nicht einmal den Unterschied zwischen Wetter und Klima verstehen. Viele Orte in Deutschland erlebten in dieser Zeit einen extremen Temperaturumschwung. In Göttingen stiegen die Temperaturen innerhalb einer Woche um fast 42 Grad, von minus 23,8 auf über 18 Grad, wie der Deutsche Wetterdienst mitteilte.
Gleichzeitig haben viele Regionen in ganz Deutschland nach wie vor mit den Folgen der vergangenen drei Dürrejahre zu kämpfen. Auch die vergleichsweise starken Niederschläge in diesem Winter reichten nicht aus, um die deutschlandweit verbreiteten Dürregebiete in der Tiefe des Bodens mit ausreichend Feuchtigkeit zu versorgen.
Lenja Vogt
Weitere Informationen:
www.pik-potsdam.de (Themen – Wetter)
www.spiegel.de (Suche: Achtung, Wetterstörung!)
Bisher erschienen:
Teil 1: Kippelemente