Aus DER RABE RALF Februar/März 2022, Seite 10
Folge 7: Wie die Klimakrise Ungleichheit und Rassismus verstärkt
Der Weltklimarat IPCC hat unlängst festgestellt, dass Menschen, „die sozial, wirtschaftlich, kulturell, politisch, institutionell oder anderweitig marginalisiert sind, besonders verletzlich gegenüber dem Klimawandel und auch gegenüber einigen Klimaschutz- und Anpassungsprojekten sind“. Die sogenannte „imperiale Lebensweise“ (Rabe Ralf Februar 2020, S. 27) sichert vielen Menschen im Globalen Norden – und zunehmend auch Eliten im Süden – einen hohen Konsum, dessen Kosten zum großen Teil in sogenannte „Opferzonen“ ausgelagert werden. Obwohl Länder des Globalen Südens, nicht zuletzt infolge der kolonialen und neokolonialen Ausbeutung, am stärksten von den negativen Folgen betroffen sind, sind Kosten und Nutzen der imperialen Lebensweise auch im Norden ungleich verteilt.
Wer die Kosten trägt
Eine 2020 veröffentlichte weltweite Studie der britischen Organisation Oxfam und des Stockholmer Umweltinstituts SEI hat extreme Unterschiede beim CO₂-Ausstoß zwischen Arm und Reich festgestellt: Je größer das Einkommen, desto größer die Emissionen. Dabei lassen sich einkommensbedingte Ungleichheiten nicht von anderen Machtstrukturen wie Rassismus oder Sexismus trennen. So zeigen Studien aus den USA seit einigen Jahren, dass Klimawandelfolgen auf eine Weise ungleich verteilt sind, die rassistische Effekte aufzeigt.
Beispiel Waldbrände: Die mehrheitlich von Schwarzen oder Indigenen Menschen oder Latinx* bewohnten Gebiete in den USA sind rund 50 Prozent stärker durch Waldbrände gefährdet als mehrheitlich weiße Gegenden. Indigene Bevölkerungsgruppen leben sogar sechsmal häufiger als andere Gruppen in Gebieten, die besonders anfällig für Waldbrände sind. Schwarze und Indigene Menschen, die älter als 55 Jahre sind, haben dadurch ein deutlich höheres Risiko, bei Waldbränden zu sterben.
Beispiel Hitzewellen: Ähnliche Effekte stellen Studien fest, die die Sterblichkeit bei Hitzeereignissen untersuchen. In Großstädten wie New York und Chicago ist die Sterblichkeitsrate von Schwarzen Menschen bei Hitzewellen doppelt so hoch wie die von weißen. Die Temperaturdifferenzen zwischen Schwarzen und weißen Nachbarschaften einer Stadt können bis zu 1,7 Grad betragen.
Die Liste der Beispiele für solche rassistischen Effekte ist lang und umfasst zum Beispiel auch eine erhöhte Gefährdung bei Kälteeinbrüchen, Wirbelstürmen und Überschwemmungen.
Umweltrassismus – auch in Deutschland
Zu dem Spektrum an Erkrankungen, bei denen Umwelteinflüsse eine Rolle spielen können, gehören zum Beispiel Unfruchtbarkeit, Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen. Eine erhöhte Umweltbelastung im Arbeits- und Wohnumfeld ist in den USA auch heute noch ein Faktor für den Unterschied in der durchschnittlichen Lebenserwartung von weißen und Schwarzen Menschen.
Unter dem Begriff „Umweltrassismus“ stieß die US-amerikanische Umweltgerechtigkeitsbewegung in den 1980er Jahren eine Auseinandersetzung mit den rassistischen Effekten der ungleichen Verteilung von Umweltgütern und -risiken an. Dabei wurde Umweltrassismus schon früh als globales Phänomen verstanden, das sich etwa im Export von Giftmüll und riskanten Technologien in Länder des globalen Südens ausdrückt. Neuere Studien machen aber deutlich, dass der Klimawandel die Effekte von Umweltrassismus auch im Globalen Norden verstärkt.
In Deutschland sind Hitzewellen hier von besonderer Bedeutung. Laut der weltweiten Gesundheits- und Klimastudie „Lancet Countdown 2020“ ist Deutschland bei der hitzebedingten Sterblichkeit bei Menschen ab 65 Jahren das weltweit am drittstärksten betroffene Land – nach China und Indien. Anhand der vorliegenden Statistiken und Erhebungen lassen sich erste Hinweise finden, dass die Effekte von Umweltrassismus auch in Deutschland durch Klimawandelfolgen verstärkt werden.
Beispiel Berlin: Der Umweltgerechtigkeitsatlas des Berliner Senats zeigt, dass die Wärmebelastung vor allem in dichten Innenstadtgebieten wie Nord-Neukölln, Wedding/Gesundbrunnen, Moabit oder dem nördlichen Kreuzberg besonders hoch ist. Menschen mit Migrationshintergrund sind dort häufig überrepräsentiert und damit der Wärmebelastung überproportional ausgesetzt, was bei Hitzewellen zu besonders starker Gesundheitsgefährdung führen kann.
Beispiel Hamburg: Von der Hansestadt bekamen Sinti und Roma als „Wiedergutmachung“ ein Grundstück zur Verfügung gestellt, ohne ihnen zu sagen, dass es auf einer ehemaligen Mülldeponie liegt. Da steigende Temperaturen biochemische Prozesse befördern können, dürfte der Ausstoß von gesundheitsgefährdenden Stoffen hier besonders stark zunehmen.
Diese Beispiele deuten schon darauf hin, dass die Effekte von Umweltrassismus im Zusammenhang mit der Klimakrise auch in Deutschland zunehmen werden.
Weckruf für Politik und Zivilgesellschaft
Angesichts sich verschlimmernder Klimawandelfolgen ist es eine dringende Notwendigkeit, dass Umweltorganisationen und politische Entscheidungsgremien die Bedürfnisse von Menschen, die von Rassismus betroffen sind, und von anderen marginalisierten Gruppen in ihren Programmen, Kampagnen, Narrativen und Studien berücksichtigen. Wer Fragen sozialer Gerechtigkeit in Umwelt- und Klimaschutzkonzepten ausblendet, sorgt für eine unzureichende Interessenvertretung und wird den Anforderungen unserer Zeit nicht gerecht. Der aktuelle Forschungsstand zeigt: Umweltrassismus und andere Formen der Diskriminierung, die Umweltgüter und -risiken ungleich verteilen, müssen auf der politischen und zivilgesellschaftlichen Agenda viel weiter nach oben gerückt werden.
Imeh Ituen, Lisa Tatu Hey
Überarbeiteter Auszug aus: „Der Elefant im Raum – Umweltrassismus in Deutschland“, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin 2021.
Weitere Informationen: www.blackearthkollektiv.org
* In diesem Text sind Schwarze Menschen und Indigene Menschen als Selbstbezeichnung großgeschrieben, um deutlich zu machen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reale Eigenschaft, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Zusammenhang nicht, einer tatsächlichen oder angenommenen „ethnischen Gruppe“ zugeordnet zu werden, sondern ist mit der gemeinsamen Rassismus-Erfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden. Aus gleichem Grund sind Globaler Süden und Globaler Norden großgeschrieben. Latinx hat sich als geschlechtergerechte Selbstbezeichnung von Menschen lateinamerikanischer Herkunft in den USA entwickelt.
Bisher erschienen:
Teil 1: Kippelemente
Teil 2: Extremwetter
Teil 3: Begriffe
Teil 4: Zoonosen
Teil 5: Atomkraft
Teil 6: Landwirtschaft