Kritischer Agrarbericht 2019

Aus DER RABE RALF April/Mai 2019, S. 22

Wie soll Europas künftige Landwirtschaft aussehen?

Auch in diesem Jahr kam der Kritische Agrarbericht wieder pünktlich zum Start der Grünen Woche unters Volk. Der Sammelband spannt einen Bogen über die gesamte thematische Breite der agrarpolitischen Debatte des Vorjahres und diskutiert Weichenstellungen für die Zukunft.

Herausgeber des seit 1993 erscheinenden Bestsellers ist das AgrarBündnis, ein Zusammenschluss von derzeit 25 unabhängigen Verbänden aus Landwirtschaft, Natur- und Tierschutz sowie Verbraucher- und Entwicklungspolitik mit insgesamt mehr als einer Million Einzelmitgliedern.

Schwerpunkt des diesjährigen Berichts ist das Thema „Landwirtschaft für Europa“, das sich quer durch alle elf Kapitel des Buches zieht und dem sich knapp die Hälfte der 47 Beiträge widmet. Insgesamt kommen 70 Autorinnen und Autoren zu Wort.

Die Themenfelder, die im Kritischen Agrarbericht behandelt werden, sind seit vielen Jahren dieselben und werden mit jeder neuen Ausgabe, so auch mit dieser, fortgeschrieben. Einige sollen hier kurz angerissen werden.

Kapitel 1: Agrarpolitik und soziale Lage

Das Themenfeld stellt mit zehn Beiträgen das umfangreichste Kapitel des Bandes dar. Ulrich Jasper, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), und Christian Rehmer vom BUND nehmen sich zum Beispiel die EU-Agrarpolitik vor der Europawahl vor.

Alle sieben Jahre wird ausgiebig darüber gestritten, wie die Regeln und Förderbedingungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU-Mitgliedsländer aussehen sollen. Der aktuelle Förderzeitraum endet 2020, für die Zeit danach liegen seit Juni 2018 erste Vorschläge vor. Die EU-Kommission favorisiert darin weiterhin eine Aufteilung der Fördermittel in eine große „Erste Säule“ mit den Direktzahlungen pro Hektar und die wesentlich schwächer ausgestattete „Zweite Säule“ für die Entwicklung des ländlichen Raums.

Insgesamt wird das GAP-Budget schrumpfen – zum einen durch die brexitbedingt ausfallenden britischen Einzahlungen, zum anderen durch den Finanzbedarf neuer Herausforderungen für die EU wie Migration oder Sicherheit. Der prozentuale Anteil der Agrarausgaben am EU-Haushalt soll von derzeit 38 Prozent auf 29 Prozent für den Zeitraum 2021 bis 2027 fallen. Doch während die Direktzahlungen nur um zwei Prozent gekürzt werden sollen, will die Kommission die Zweite Säule um 15 Prozent kürzen – und damit ausgerechnet jene Zahlungen, die für die Ökolandbauförderung, die Förderung benachteiligter landwirtschaftlicher Gebiete sowie für Umwelt-, Klima- und Tierschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft vorgesehen sind. Da die zivilgesellschaftlichen Verbände die Kürzungspolitik innerhalb der Zweiten Säule strikt ablehnen, steht bis zur Verabschiedung der neuen Regeln noch ein zähes Ringen bevor.

Kapitel 3: Ökologischer Landbau

Die fünf Beiträge behandeln die Entwicklungen und Trends des vergangenen Jahres ebenso wie die Dynamik der (Bio-)Märkte, das Erfolgsmodell „Öko-Modellregionen“ oder die Frage, ob es echtes Bio im falschen Handel geben kann – sprich, ob es zum Beispiel gut ist, dass die Marke Bioland mit dem Discounter Lidl kooperiert.

Helga Willer vom Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) gibt seit 20 Jahren das statistische Jahrbuch zum Biolandbau „The World of Organic Agriculture“ heraus und beschreibt in ihrem Beitrag anhand der neuesten belastbaren Zahlen den ungebrochenen Aufwärtstrend des Ökolandbaus in Europa: „Der Biomarkt wuchs 2016 zweistellig auf über 30 Milliarden Euro, und die Biofläche stieg auf zwölf Millionen Hektar an.“ Deutschland bewirtschaftete 2016 einen Anteil von acht Prozent seiner Landwirtschaftsfläche biologisch und liegt damit im EU-Vergleich auf Platz 12. Auch fast alle großen Märkte verzeichnen Hiller zufolge zweistellige Zuwachsraten.

Kapitel 6: Natur und Umwelt

„Die zähe Regierungsbildung, das Insektensterben, die monatelange Dürre als Vorbote der Klimakrise und der Kampf um den Kohleausstieg in Deutschland haben die Umwelt-und Naturschutzpolitik im Jahr 2018 bestimmt“, schreibt Silvia Bender vom Umweltverband BUND in ihrem Beitrag. Sie weist auf den Handlungsdruck beim Klimaschutz hin und macht gleichzeitig zahlreiche Versuche der Agrar- und Industrielobby aus, diesen zu hintertreiben. So werde beispielsweise die gesetzliche Überprüfung der im Jahr 2000 in der EU verabschiedeten Wasserrahmenrichtlinie genutzt, „um die Zielvorgaben der WRRL aufzuweichen, das bestehende Verschlechterungsgebot auszuhebeln, Fristen zu verlängern und damit den Wasserschutz in ganz Europa deutlich zu schwächen“.

Erste Erfolge sieht Bender beim Insektenschutz durch das Verbot bienenschädlicher Neonikotinoide (siehe S. 3). Dringenden Handlungsbedarf gebe es dagegen im Kampf gegen Plastikmüll, hier müsse die Anfang 2018 vorgelegte europäische Plastikstrategie konsequenter verfolgt werden.

Kapitel 11: Verbraucher und Ernährungskultur

„Verbraucher werden qualitätsbewusster, orientieren sich aber nach wie vor am Preis“, konstatiert das Autorenteam unter Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale NRW. Der offensichtliche Widerspruch zwischen der positiven Verbrauchereinstellung und dem tatsächlichen Kaufverhalten wird mit der immer noch fehlenden Transparenz über die Qualität von Lebensmitteln erklärt. Ließe sich diese Transparenz erreichen, „zeigten mehr oder weniger breite Verbrauchergruppen durchaus Mehrzahlungsbereitschaft im täglichen Einkauf, wie etwa bei Bioprodukten, Produkten aus fairem Handel, regionalen Lebensmitteln, Eiern von Bruderhahninitiativen und aus alternativen Haltungsformen“. Vor allem Fleisch und Wurst würden in Deutschland noch immer nach Preis gekauft.

Für die Stärkung von Netzwerken statt des Beharrens auf der Säulen-Finanzierung der GAP sprechen sich Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, und die freie Journalistin Marianne Landzettel aus. In ihrem Beitrag fordern sie ein Umdenken und Umlenken zu einer ganzheitlichen Ernährungspolitik, die die Netzwerke kleiner und mittelständischer Betriebe sowie solidarische Handelspartnerschaften unterstützt.

Weitere Themenfelder im Kritischen Agrarbericht 2019 sind: Welthandel und Ernährung, Produktion und Markt, Regionalentwicklung, Tierschutz und Tierhaltung, Gentechnik, Agrarkultur und, last but not least, Wald. Wie schon bei den Ausgaben vergangener Jahre sind es diese Themenvielfalt und die Kompetenz der Autoren, die den Agrarbericht zu einer unverzichtbaren Lektüre machen.

Jörg Parsiegla

Agrarbündnis e.V. (Hrsg.):
Der Kritische Agrarbericht 2019
ABL Bauernblatt Verlag, Hamm 2019
344 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-930413-66-9

Kostenloser Download:
www.kritischer-agrarbericht.de

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