Der wunde (Lade-)Punkt der Verkehrswende

Aus DER RABE RALF April/Mai 2022, Seite 7

Wo heute elektrische Ladeinfrastruktur geplant wird, wird es morgen weiterhin Autos geben

Geschützte Radwege an Hauptstraßen vertragen sich nicht mit Ladesäulen am Straßenrand. (Foto: Norbert Michalke)

Die Antriebswende nimmt Fahrt auf. Dank großzügiger Förderprogramme schreitet die Elektrifizierung der deutschen Pkw-Flotte voran. Auch in Berlin plant die rot-grün-rote Koalition, eine umfassende Ladeinfrastruktur aufzubauen. Aber was bedeutet das für die Stadt?

Kästen auf dem Gehweg

Man glaubt es kaum, aber niemand weiß, wie viele Pkw-Stellplätze im öffentlichen Raum es in Berlin gibt. Wir wissen nur, dass die Zahl höher sein muss als die Zahl der 1,2 Millionen hier zugelassenen Pkw, denn wenn ein Auto seinen „Stammplatz“ verlässt, erwartet es ja am Zielort einen oft kostenlosen oder sehr günstigen weiteren „Lagerplatz“. Daran haben wir uns so gewöhnt, dass wir es nicht mal in Frage stellen.

An 80.000 dieser Stellplätze will die rot-grün-rote Koalition nun Ladepunkte für Elektroautos einrichten. Das Ziel ist ein Ladepunkt pro zehn zugelassene Autos, was in Berlin etwa 40.000 Ladepunkten entspricht. Ein Ladepunkt versorgt immer mindestens zwei Parkplätze. Die Ladepunkte sollen vorrangig im sogenannten „öffentlich zugänglichen Raum“ errichtet werden, also auf Parkplätzen von Supermärkten oder Baumärkten, in Parkhäusern oder an Tankstellen. Aber der Senat will laut Koalitionsvertrag auch „den Ausbau der Ladesäulen für Elektroautos auf öffentlichem Straßenland in Berlin vorantreiben“.

Anfang 2021 gab es in Berlin 1.658 öffentlich zugängliche Ladepunkte, also nur einen Bruchteil der angestrebten Menge. Manche werden auf Supermarktparkplätzen angeboten, zum Teil dann auch für kostenloses Laden während des Einkaufs, andere befinden sich tatsächlich im öffentlichen Straßenraum. Dort werden die Kästen dann meistens auf dem Gehweg platziert und nehmen hier den zu Fuß Gehenden Platz weg. Bei den ersten 1.658 Ladepunkten können wir das vielleicht hinnehmen – bei den restlichen gut 38.000 sollten allerdings deutlich andere Maßstäbe angelegt werden.

Rot: öffentlich zugängliche Ladepunkte Anfang 2021. Blau: zugelassene E-Autos (BEV) und Hybridautos (PHEV) Anfang 2020. (Grafik: Aus der Studie „Elektromobilität Berlin 2025+“ im Auftrag der Umwelt- und Verkehrsverwaltung, Juni 2021)

E-Auto-Stellplatz bleibt Auto-Stellplatz

Denn Berlin hat ja ein Mobilitätsgesetz (Rabe Ralf Februar 2019, S. 16), das eindeutig vorschreibt: „Die durch dieses Gesetz geregelte Mobilität umfasst die besonderen Anforderungen aller Mobilitätsgruppen … und sichert dabei den Vorrang des Umweltverbundes“ – also den Vorrang für Fußverkehr, Radfahren und ÖPNV. Ein Ladepunkt auf einem Fußweg mag nebensächlich erscheinen, aber die Konsequenzen der langfristigen Festschreibung von Auto-Stellplätzen sind enorm. Das zeigen drei Beispiele.

Beispiel 1: Auf den Berliner Hauptverkehrsstraßen müssen laut Mobilitätsgesetz bis 2030 geschützte Radspuren entstehen (Foto ganz oben). Wenn hier nun aber E-Ladepunkte und damit Parkplätze geplant werden, kann man zukünftig weder Busspuren noch geschützte Radwege anlegen. Die Antriebswende würde so die Verkehrswende ausbremsen.

Beispiel 2: Das Mobilitätsgesetz schreibt in Paragraf 25 eindeutig vor, dass der fließende Verkehr Vorrang vor dem ruhenden Verkehr hat. Was Berlin braucht, ist also mehr fließender Verkehr des Umweltverbundes – Fußgänger, Radfahrerinnen, Straßenbahnen, Busse – und weniger ruhender Autoverkehr. Konsequenterweise müsste der Senat also mit dem Ladesäulenausbau gleichzeitig ein Konzept für weniger Parkplätze entwickeln, um dem Gesetz gerecht zu werden. Der Senat muss die Flüssigkeit des Fuß-, Rad- und öffentlichen Nahverkehrs fördern, diese darf nicht durch fest zementierte Kfz-Stellplätze ausgebremst werden.

Beispiel 3: Man geht davon aus, dass sich 30 bis 40 Prozent der Ladepunkte auf privatem Grund befinden, etwa am Wohnort oder Arbeitsplatz. Diese Ladepunkte können mit dem langsamen Wechselstrom (AC) und zum Beispiel auch nachts versorgt werden. Der Rest der E-Autos soll im öffentlichen Raum laden. Das Tanken war bisher überall privatwirtschaftlich organisiert: Kommunen haben Tankstellen nie öffentliche Flächen zur Verfügung gestellt. Um die Antriebswende voranzutreiben, plant die Bundesregierung jedoch nun, die Ladeinfrastruktur massiv zu fördern und auszubauen. Man geht davon aus, dass die vielen neuen Ladepunkte nicht allein durch freien Wettbewerb entstehen, sondern der Staat zur Geburtshilfe einspringen muss. Langfristig wird sich das nutzungsfinanzierte Ladegeschäft lohnen, so dass man nach einigen Jahren die Subventionen zurückfahren kann.

Im Klartext: Das Laden von E-Autos soll so leicht und attraktiv wie möglich gemacht werden – zur Not auch als ein staatlich geförderter gewerblicher Vorgang im öffentlichen Raum. Eine solche Flächennutzung bringt nur den beteiligten Geschäftspartnerinnen, Autofahrern, Infrastrukturbetreiberinnen und Energieversorgern Vorteile. Allen anderen Menschen in der Stadt werden diese Flächen dauerhaft entzogen.

Vom Ziel her denken – mit weniger Autos planen

Es muss deshalb klare Regeln für das Betreiben von Ladepunkten im öffentlichen Raum geben. Berlin muss zuerst die Straßen zugunsten des Umweltverbundes umplanen und erst dann Elektroladepunkte einplanen. Hauptverkehrsstraßen sind auszuschließen, denn hier ist der Flächenkonflikt mit dem fließenden Verkehr des Umweltverbunds schon jetzt enorm.

Außerdem muss das angestrebte Ziel, 40.000 Ladepunkte zu errichten, auf den Prüfstand. Stattdessen muss vom Ziel aus gedacht werden: Wie viele Autos sollen in Berlin im Jahr 2030 fahren, wie viele im Jahr 2040? Planungsgrundlage darf nicht die heutige, sehr hohe und immer noch steigende Zulassungszahl sein, nötig ist vielmehr ein Zielhorizont mit deutlich weniger Autoverkehr.

Nicht zuletzt muss in der Senatsverwaltung geklärt werden, wer für die Planung der Ladepunkte verantwortlich ist. Wirtschaft, Verkehr und Energieversorger sind bisher alle wesentlich beteiligt. Ein solcher Verantwortungsmix führt zu Verzögerungen, Planungsunsicherheit, weniger zivilgesellschaftlicher Beteiligung und unklaren Regeln für alle. Also: Wer hat den Hut auf?

Natürlich ist die notwendige Halbierung der CO₂-Emissionen im Verkehrssektor bis 2030 nicht ohne eine Antriebswende zu schaffen. Vermeidung und Verlagerung von Verkehr sind aber nicht nur begleitende Maßnahmen, sondern entscheidende Faktoren, um das Klimaziel zu erreichen. Das scheint bei der Elektrifizierung aus dem Blick zu geraten – auch in Berlin. Wir müssen darauf achten, dass die Antriebswende uns nicht die Verkehrswende kaputtmacht.

Ragnhild Sørensen

Weitere Informationen: www.changing-cities.org

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