Aus DER RABE RALF Februar/März 2018, Seite 16-17
Ausverkauf der märkischen Landwirtschaft – kleinere Höfe haben das Nachsehen
Mit großer Besorgnis schaut Clemens Rostock auf das zunehmende Landgrabbing in Brandenburg. „Immer mehr landwirtschaftliche Flächen landen in den Händen nichtlandwirtschaftlicher sowie überregional aktiver landwirtschaftsnaher Investoren“, ärgert sich der bündnisgrüne Landesvorsitzende. Eine aktuelle Untersuchung des Thünen-Insitituts, einer Forschungseinrichtung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, unterstreicht die von den Bündnisgrünen bemängelte Entwicklung auf dem Bodenmarkt. Aus deren Sicht müsste „eine regional verankerte Landwirtschaft mit einer breiten Streuung des Eigentums an Grund und Boden unter ortsansässigen Bauern Ziel der Landespolitik sein“. Denn viele Junglandwirte wüssten nicht, wie sie an ein paar Hektar Land kommen sollen.
Dabei ist das Thema Landgrabbing nicht neu. Neu ist, dass dieses Problem, das noch vor wenigen Jahren nur aus Regionen in Afrika, Asien und Südamerika oder allenfalls noch aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bekannt war, inzwischen vor unserer Haustür angekommen ist. Ursprünglich bezeichnet Landgrabbing, zu Deutsch Landraub, die illegitime Landübernahme durch Privatinvestoren und selbst Staaten. Oft werden hierfür Lücken in der geltenden Gesetzgebung ausgenutzt. Folgen sind die Vertreibung der Bevölkerung, Landkonflikte und Ernährungskrisen.
Durch die vorhandenen Strukturen – riesige Flächen in der Hand weniger Eigentümer – ist Landgrabbing nun auch in Ostdeutschland relevant. Die zusammenhängenden Flächen der ehemaligen LPG-Betriebe können wegen ihrer Größe und dem damit verbundenen Preis nicht von Existenzgründern übernommen werden. Immer häufiger wechseln daher ohne große Auflagen gleich ganze Großbetriebe den Besitzer. Es müsste also eigentlich „Farmgrabbing“ heißen. Weil nicht mit Landwirtschaft befasste Unternehmen offiziell kein Ackerland erwerben dürfen, wird das Problem in der Praxis umgangen, indem komplette Betriebe gekauft werden. „Share Deals“ nennt sich das Ganze, und der Eigentümerwechsel erfolgt oft auch noch grunderwerbssteuerfrei.
Im Osten sind die Agrarbetriebe oft viel größer. Foto: Andreas 160578
Dreister Deal der Münchener Rück
Auslöser des Strebens nach Landbesitz in Europa war der Zusammenbruch der Finanzmärkte 2008/2009 und die dadurch ausgelöste Weltwirtschaftskrise. Die Nachfrage nach sicheren Kapitalanlagen machte in der Folgezeit auch vor Ländereien in Deutschland, wo die Bodenpreise in den letzten zehn Jahren deutlich angestiegen sind, nicht halt. Obwohl die Hektarpreise in Brandenburg im bundesweiten Vergleich noch am niedrigsten sind, schlagen Landgrabber inzwischen auch hier zu.
Als besonders krasses Beispiel gilt ein Geschäft, das der weltgrößte Rückversicherungskonzern Münchener Rück AG bereits 2015 mit einer Tochtergesellschaft der KTG Agrar abschloss. Die börsennotierte KTG Agrar SE mit Sitz in Hamburg war mit 17.100 Hektar bis zum Sommer 2016 einer der größten Agrarkonzerne Deutschlands und ist mittlerweile pleite. Und weil die KTG wohl auch schon 2015 klamm war, verkaufte sie Land – um die 2.400 Hektar – an die Münchener Rück. Da aber der direkte Landkauf rechtlich nicht möglich war, bedienten sich die Münchener, die sich gern „Munich Re“ nennen und sich einem nicht nur rechtlich, sondern auch ethisch einwandfreien Verhalten verpflichtet haben, des Share-Deal-Tricks.
Dafür reichte die KTG nicht das Land selbst weiter, sondern nur 94,9 Prozent ihrer Anteile an der Tochtergesellschaft ATU Landbau, die die Flächen in Brandenburg besitzt. Unmittelbar vor diesem Geschäft übertrugen aber zunächst 14 weitere Tochtergesellschaften der KTG ihr Land an die ATU Landbau. Ausweislich eines Wertpapierprospekts der KTG aus dem Jahr 2015 waren das 2.840 Hektar. Es waren offenbar nicht zufällig 94,9 Prozent, die die Munich Re übernahm, denn ab einer Summe von 95 Prozent muss ein Käufer normalerweise Grunderwerbssteuer zahlen.
Genau solche Geschäfte machen den Bauern das Leben schwer. Nicht nur, weil sie das Land gerne selbst bewirtschaften würden, sondern auch, weil das billige Geld der Investoren die Preise treibt.
Foto: Bündnis Junge Landwirtschaft/Screenshot
Beschränkte Ausschreibung von Acker- und Grünland
Bisher sei er der Ansicht gewesen, dass Landgrabbing in Deutschland eigentlich kein Thema sei, sagt Andreas Tietz vom Thünen-Institut. Aber dieses Geschäft zwischen der KTG und der Munich Re ist seiner Einschätzung nach genau das: Landgrabbing. Tietz kennt sich da aus. Er hat erforscht, in welchem Ausmaß sich Investoren in der Landwirtschaft beteiligen.
Bis 2007 sei alles „wunderbar glatt“ gelaufen, sagt er. Zumindest, was die Preisentwicklung für Land angeht. Doch dann habe die Treuhand-Nachfolgerin BVVG – die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH, die dem Finanzministerium unterstellt ist – begonnen, Flächen öffentlich auszuschreiben. Zuvor war das Land der BVVG direkt verkauft worden, meist an Agrarunternehmen und Landwirte. Daneben wuchs im Zuge der Finanzkrise das Interesse von nichtlandwirtschaftlichen Investoren, weil der Erwerb Sicherheit versprach. Daraufhin hätten sich in Ostdeutschland binnen weniger Jahre die Bodenpreise verdreifacht.
In Deutschland sei der Bodenmarkt so streng geregelt, dass Investoren sich eigentlich mit Grausen abwenden müssten, sagt Tietz. Aber sie finden dann eben doch Gesetzeslücken, so wie jetzt die Munich Re. Mit Share Deals wird der nur schwer handelbare Boden wundersam mobil. Neu sind solche Geschäfte nicht – neu ist aber, dass auch Finanzinvestoren auf diese Weise versuchen, an Land zu kommen. Während es bei anderen landwirtschaftsfernen Investoren immerhin noch – zum Teil erfolgreiche – Versuche für eine regionsverbunden betriebene Landwirtschaft gibt, dürfte es bei reinen Finanzinvestoren ausschließlich um die Rendite gehen.
Demonstration gegen industrielle Landwirtschaft in Berlin. Foto: Bündnis Junge Landwirtschaft
Möglichst schnell viel Fläche verkaufen?
Die Politik sieht die Share Deals inzwischen als großes Problem an, hat aber noch kein Rezept dagegen gefunden. Eine neue Arbeitsgruppe soll nach dem Willen der Länder-Finanzminister nun Lösungsvorschläge entwickeln. Eine Möglichkeit wäre, die schon jetzt mögliche beschränkte Vergabe weiter zu vereinfachen – bei beschränkten Ausschreibungen sind nur arbeitsintensive Betriebsformen wie ökologisch wirtschaftende Höfe, Gemüsebauern oder seit 2013 Junglandwirte teilnahmeberechtigt. Derzeit befinden sich in Brandenburg noch circa 20.000 Hektar Landwirtschaftsfläche im Besitz der BVVG. Bis 2030 sollen diese Flächen verkauft werden.
Erste Anzeichen für ein Umsteuern in der Verkaufsstrategie für die ehemals volkseigenen Landwirtschaftsflächen gibt es auch bei der BVVG selbst. So nimmt sie inzwischen Abstand von ihrem ursprünglichen Ziel, möglichst schnell viel Fläche zu privatisieren. Das würde mehr Pachtoptionen ergeben, meint BVVG-Geschäftsführer Stefan Schulz. Gleichzeitig wurde bereits 2016 die bisher in den Privatisierungsgrundsätzen der BVVG festgeschriebene maximale Losgröße bei den Flächenausschreibungen von 25 auf 15 Hektar reduziert.
Das alles löst jedoch nicht das Hauptproblem der hohen Hektarpreise – 2015 betrug der durchschnittlich durch die BVVG erzielte Verkaufspreis je Hektar 19.368 Euro. Die hohen Preise erschweren es den Bauern, die Existenz ihrer Betriebe etwa durch den Kauf neuer Flächen zu sichern. Den Neueinstieg in die Landwirtschaft wagt ohnehin fast niemand. Selbst die Pachten können aus den Erträgen oft kaum mehr bezahlt werden. Wer heute Land auf Kredit kaufen will, zahlt dafür mitunter bis an sein Lebensende.
Insgesamt hat das Thünen-Institut 179 Landwirtschaftsunternehmen in den Landkreisen Teltow-Fläming und Märkisch-Oderland untersucht. Mehr als ein Drittel davon befindet sich im Besitz ortsfremder Investoren, von denen wiederum die Hälfte keinen landwirtschaftlichen Bezug hat. Für Axel Vogel, Fraktionschef der brandenburgischen Bündnisgrünen, ein Alarmsignal: „Die Studie verdeutlicht, dass sich der Ausverkauf der märkischen Landwirtschaft weiter verschärft.“
Jörg Parsiegla
Weitere Informationen:
www.stopp-landgrabbing.de
Studie: www.thuenen.de (Publikationen – Thünen-Report 52)