Hinsetzen gegen Lebensmittel-Verschwendung

Aus DER RABE RALF April/Mai 2022, Seite 3

Warum die „Letzte Generation“ so stark in der Kritik steht

Die „Letzte Generation“ blockiert Autobahnauffahrten für ein „Essen-retten-Gesetz“. (Foto: Sandra Doneck)

Mit einem Hungerstreik vor der letzten Bundestagswahl fing es an. Am 30. August 2021 versammelten sich mehrere junge Menschen im Spreebogenpark im Berliner Regierungsviertel. Mit ihrem Streik wollten sie nicht nur ein Gespräch mit den drei Kanzlerkandidat*innen erwirken, sondern auch für die Einrichtung eines „Bürger*innenrats“ sorgen, der sich effektiv mit dem Klimawandel und seiner Bekämpfung auseinandersetzt. Zu den ersten Kernforderungen gehörte eine „zu 100 Prozent regenerative Landwirtschaft“. Die meisten der Hungerstreikenden hielten bis zum 25. September durch, doch große Reaktionen gab es vonseiten der Politik nicht.

Lediglich SPD-Kandidat Olaf Scholz erklärte sich zu einem Einzelgespräch bereit, dieses führte er am 12. November in der Berliner Außenstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung mit zwei der Streikenden im Beisein einer Journalistin. Auch wenn das Gespräch gut verlaufen sein soll, ist von Ergebnissen bisher nichts zu spüren. So wurde zum Beispiel der geforderte Bürger*innenrat, zumindest bisher, nicht eingesetzt. Jetzt ist die Aktivistengruppe zurück, mit einer neuen Forderung und einer neuen, teils stark umstrittenen Form des Protests.

Radikal für Lebensmittelrettung

„Letzte Generation“ oder auch „Aufstand der letzten Generation“, so nennt sich die Gruppierung mittlerweile. Zuerst war sie nur in Berlin aktiv und rettete von Supermärkten weggeworfene Lebensmittel, die noch haltbar waren. Von dieser harmlosen Form des Aktivismus hat sie sich größtenteils abgewandt, ihre neue Art des Protests sind nunmehr Sitzstreiks, mit denen Straßen blockiert werden. Neben Berlin finden ihre Aktionen auch in anderen großen Städten wie Hamburg, München oder Stuttgart statt. Um ein Auflösen der Blockaden zu erschweren, kleben sich einige der Beteiligten mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn fest, ob mit der Kleidung oder den Handflächen.

Der erste Sitzstreik ereignete sich am 24. Januar, dabei blockierten die Streikenden die Ausfahrten der Autobahnen A103 und A114. Bis zum 22. Februar wurden allein in Berlin 44 Blockaden registriert, bei denen 180 Menschen festgenommen wurden. Das Landeskriminalamt Berlin richtete sogar eine Sonderermittlungskommission, die „EG Asphalt“, ein.

Vorrangig fordert die Gruppe eine Agrarwende bis zum Jahr 2030. Ihre Hauptforderung ist dabei ein „Essen-retten-Gesetz“, ein Gesetz zur Begrenzung der Lebensmittelverschwendung. Große Lebensmittelkonzerne, beispielsweise Supermarktketten, sollen gesetzlich verpflichtet werden, noch haltbare Lebensmittel zu spenden, statt sie wegzuwerfen. Dies würde nicht nur den allgemeinen Hunger reduzieren, so die Argumentation, sondern – durch das Einsparen von Produktion und Transport neuer Lebensmittel – auch den CO₂-Ausstoß verringern. Und noch ein weiteres, ein juristisches Problem würde damit verschwinden. Momentan besteht nämlich ein Verbot, Lebensmittel aus Abfallcontainern zu retten. Das gilt als Hausfriedensbruch oder gar als Diebstahl. Um auf diesen Tatbestand aufmerksam zu machen, zeigten sich ein paar der Aktivisten sogar selbst an.

Am Ziel vorbei?

Die Blockaden sorgten für mediales Aufsehen, sogar deutlich mehr als letztes Jahr beim Hungerstreik. Die Resonanz fiel jedoch durchwachsen aus. Auch wenn die Ziele der „Letzten Generation“ stets positiv hervorgehoben werden, so wird doch die Form der Proteste in Politik, Medien und Öffentlichkeit heftig kritisiert.

Nach Ansicht von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sind die Proteste sogar schädlich für das gemeinsame Ziel eines Gesetzes gegen Lebensmittelverschwendung. Worin aber der genaue Zusammenhang bestehen soll und warum die Regierung dann noch keine Anstrengungen für ein solches Gesetz unternommen hat, ist nicht ganz klar. Deutlich besser nachvollziehbar ist da der Einwand, dass durch die Blockaden auch Notarzt und Polizei beeinträchtigt werden. In diese Richtung ging auch die Kritik der Grünen-Parteivorsitzenden Ricarda Lang an den Protestaktionen, nachdem ein Krankenwagen von den Sitzstreiks betroffen war. Zuvor hatte sie die Gruppierung noch verteidigt, mit dem Hinweis, dass ziviler Ungehorsam, der niemandem schadet, Teil einer Demokratie ist.

Laut dem Sozialphilosophen Robin Celikates von der FU Berlin setzt sich die Gruppe dem Vorwurf der Nötigung aus, weil sie die Öffentlichkeit nicht genügend aufkläre. Eine Erpressung, von der viele sprechen, kann Celikates jedoch nicht erkennen, da die Protestierenden keine Eigenbereicherung zum Ziel haben, sondern lediglich für das Allgemeinwohl, für das in ihren Augen Richtige kämpfen.

Besonders starker Gegenwind kommt aber von den Menschen, die direkt betroffen sind, weil sie, im Auto sitzend, durch die Blockaden aufgehalten werden. Das Problem ist eben, dass für sie der Zusammenhang zwischen Autobahnblockaden und dem Kampf gegen Lebensmittelverschwendung nicht nachvollziehbar ist. Und unverständlich ist es nicht, dass sie genervt reagieren, wenn sie zu spät zur Arbeit oder nach Hause kommen wegen etwas, das sie nicht zu verantworten haben.

Frischer Wind

Natürlich darf dabei nicht vergessen werden, dass für andere Demonstrationen ebenfalls ganze Straßen abgesperrt werden. Dennoch könnte diese radikale Form des Protests viele Bürger*innen so stark frustrieren, dass sie kein Verständnis für den Klimaschutz mehr haben. Überhaupt liegt durch den großen Unmut der von den Blockaden Betroffenen der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit hauptsächlich auf der Form des Protests, nicht auf den Forderungen – zumal Carla Hinrichs, Pressesprecherin der „Letzten Generation“, erklärte, die negativen Reaktionen seien einkalkuliert worden. Die Forderungen richteten sich gezielt an die Bundesregierung, die Blockaden seien das Druckmittel. Die Gruppe kündigte sogar an, weitere Teile der Infrastruktur zu blockieren, inklusive Flughäfen und Häfen. Auf ihrer Website bittet sie so viele Menschen wie nur möglich um Unterstützung.

Bei aller Kritik muss man anerkennen, dass die Proteste der „Letzten Generation“ stets friedlich ablaufen. Auch stehen die Mitglieder nicht für die ganze Klimabewegung, sie sind bloß ein kleiner Teil, der eben einen Schritt weitergegangen ist. Ihre Radikalisierung lässt sich vielleicht auch durch den seit Langem fehlenden Enthusiasmus beim Klimaschutz erklären. Seit Beginn der Corona-Pandemie war das Thema noch weiter in den Hintergrund gerückt.

Die „Letzte Generation“ hat somit einen gewissen frischen Wind in die Klimapolitik gebracht. Auch wenn die Form des Protests durchaus kritikwürdig ist, so sind ihre Forderungen doch sinnvoll. Außerdem: Wann hat es, seit der Klimaschutz 2019 in den Fokus der breiten Masse gerückt ist, schon einmal etwas gebracht, sich in Ruhe zusammen hinzusetzen und eine Lösung zu bereden?

Richard Sauer

Weitere Informationen:
www.letztegeneration.de
www.podcast.de/podcast/2777238

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