Vertreibung im Namen des Naturschutzes

Aus DER RABE RALF August/September 2023, Seite 21

In Tansania werden Massai gewaltsam von ihren Lebensgrundlagen getrennt. Welche Rolle spielt Deutschland?

In der östlichen Serengeti. (Foto: Steve Pastor/​Wikimedia Commons)

Die deutsche Bundesregierung lobt die Kooperation mit Tansania im Naturschutz. Aktuell investiert Deutschland 83,5 Millionen Euro in die Entwicklung von Naturschutzgebieten in dem ostafrikanischen Land. Das Ziel der Unterstützung ist laut Regierung der „Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen“. Berichte über Gewalt und Vertreibung der Maasai (Massai) im Norden Tansanias um den Serengeti-Nationalpark werfen jedoch Fragen auf: Wessen Lebensgrundlage soll eigentlich geschützt werden? Sind die Investitionen unter diesen Umständen noch zu rechtfertigen?

Artenschutz ohne Menschen

Im Juni 2022 verkündete die tansanische Regierung, dass ein Drittel des Loliondo-Gebiets, das an den Serengeti-Nationalpark grenzt, ab sofort ausschließlich für den Naturschutz vorgesehen sei. Alle 70.000 Menschen, hauptsächlich vom Volk der Maasai, müssten umgehend das Land verlassen. Die Maasai leben seit Generationen in der Region und haben legitime Anrechte auf dieses Land. Als sie sich weigerten zu gehen, eröffneten Sicherheitskräfte das Feuer.

Heute leben die Menschen am Rand des neuen Naturschutzgebiets, ohne Zugang zu ihrem bisherigen Weideland. Für das Hirtenvolk ist das jedoch eine existenzielle Frage und sichert ihr Menschenrecht auf Nahrung. Ihre Kühe können nicht grasen – wenn sich ein Tier auf das alte Land verirrt, wird es konfisziert und versteigert. Manchen Familien sind von einst mehreren hundert Tieren heute nur noch ein paar Dutzend geblieben.

Ähnlich geht es den Maasai im angrenzenden Ngorongoro-Schutzgebiet. Bis 2027 sollen die 82.000 Bewohner:innen umgesiedelt werden. Hier geht die Regierung nicht mit direkter Gewalt vor – wegen des Tourismus, sagen Betroffene. Während offiziell von „freiwilligen Umsiedlungen“ die Rede ist, hat die tansanische Regierung jedoch jegliche Sozialleistungen gestoppt. Ohne Schulen und Krankenhäuser bleibt vielen Menschen nichts anderes übrig als zu gehen.

Die Begründung der Regierung für diese Maßnahmen ist der Naturschutz: Der Schutz von Umwelt und Biodiversität könne nur gelingen, wenn keine Menschen in den zu schützenden Gebieten leben.

Gebrochenes Versprechen

Diese Aussage ist nicht neu, und es ist fraglich, ob sich dahinter jemals eine lautere Absicht verbarg. So geäußert hat sich auch schon der deutsche Zoologe Bernhard Grzimek. Er bereiste Tansania in den 1950er Jahren zu Forschungszwecken. Grzimek fing einige Wildtiere ein, um sie im Zoo in Frankfurt am Main auszustellen, und warnte gleichzeitig vor dem negativen Einfluss menschlicher Siedlungen auf den Lebensraum der Tiere.

Mit genau dieser Begründung beschloss die britische Kolonialmacht in Tansania zur selben Zeit, alle Siedlungen im Serengeti-Nationalpark zu verbieten. Unter dem Versprechen, das neu zugewiesene Gebiet nie wieder verlassen zu müssen, wurden die Maasai aus der Serengeti vertrieben – in ebenjenes Gebiet, das sie heute doch wieder unter Zwang verlassen müssen. Ein gebrochenes Versprechen und ein illegitimes Vorgehen.

Naturschutz darf niemals Legitimation für Menschenrechtsverletzungen sein. Die Vertreibungen sind schwerwiegende Verstöße gegen tansanisches Recht – und auch gegen eine Reihe international verbriefter Menschenrechte: das Recht auf Wohnen, auf Wasser, Nahrung, Bildung und die Teilnahme am kulturellen Leben. Ohnehin müssten alle Maßnahmen mit den Betroffenen besprochen und ihre Zustimmung eingeholt werden. Das ist hier nie geschehen.

Maasai fordern in Deutschland: Kein Geld für kolonialen Naturschutz (Foto: FIAN)

Das Spiel mit dem Naturschutz

In Berichten der Unesco und der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, auf die sich die tansanische Regierung beruft, heißt es, dass die Bevölkerung der Maasai stark zugenommen habe und der entsprechende Populationsanstieg ihrer Tiere die Umwelt der Region belaste. Andere Wissenschaftler:innen widersprechen dem. Hier steht Wort gegen Wort. Die Position der ersteren wird von zwei Tatsachen geschwächt. Erstens die Jagdlizenz der tansanischen Regierung für ein Unternehmen aus Dubai, die in dem neu festgelegten Loliondo-Schutzgebiet gilt. Zweitens der stetig wachsende Tourismus.

Für Hotels in den Schutzgebieten braucht es neue Straßen und viel Wasser, und für Safaris fahren täglich mehrere hundert Jeeps durch den Lebensraum der Wildtiere, die es doch eigentlich so dringend zu schützen gilt. Mit dem Naturschutz-Argument wird offensichtlich nur gespielt. Im Grunde geht es um ein lukratives Geschäft. Ein Geschäft, in das die Maasai nicht einsteigen können und wollen, denn für sie ist die Bewahrung der Natur kein Spiel, sondern existenziell.

Viehhirten wie die Maasai haben ihre Lebensweise so an ihre Umwelt angepasst, dass es ihnen gelingt, ihre Herden trotz sehr begrenzter Ressourcen ertragreich zu halten. In dieser engen Verbindung mit der Natur ist deren Schutz ihr ureigenes Anliegen. So werden Häuser nie aus ganzen Bäumen, sondern nur aus Ästen gebaut. Wasserstellen werden in klarer Absprache genutzt, sodass keine versiegt. Wildtiere werden nicht gejagt und Brutstellen gemieden. Herden grasen an wechselnden Orten, damit sich die Vegetation wieder erholen kann.

Die Maasai sind selbst ein wichtiger Bestandteil ihres Ökosystems. Berichte zeigen, dass Orte, an denen sie leben, sogar eine erhöhte Biodiversität aufweisen. Über die Vertreibungen sind die Maasai genauso empört und wütend wie über die Begründung dafür. Für sie ist klar, dass der Schutz der Biodiversität hier nur ein Vorwand ist: „Wenn es wirklich um den Naturschutz gehen würde, dann wären die Maasai die letzten, die man bekämpfen müsste.“

Indigene und Hirten bewahren die Natur

Während einer Lobbyreise im Mai traf sich eine Maasai-Delegation auch mit der deutschen Regierung und mit weiteren Politiker:innen, denn die Maasai betrachten das investierte Geld der Bundesregierung als in ihre Vertreibung verwickelt. Sie fordern nachdrücklich: „Wenn Sie nicht garantieren können, dass kein einziger Cent Ihres Geldes an den Menschenrechtsverletzungen in unserer Heimat beteiligt ist, dann beenden Sie die Finanzierung!“

Auf alle Anfragen erklärt die Bundesregierung jedoch, dass ihre Finanzierungen in keiner Weise mit den aktuellen Vertreibungen in Verbindung stünden und dass sie in Gesprächen wiederholt auf die Einhaltung der Menschenrechte dränge. Alle von Deutschland geförderten Maßnahmen erfolgten nach strengen Richtlinien, heißt es. Die Einsicht in entsprechende Überprüfungen wird allerdings verweigert.

Deshalb müssen die deutschen Naturschutz-Investitionen in Tansania weiter kritisch hinterfragt werden. Wenn die Bundesregierung es mit dem Schutz der Lebensgrundlagen aller Menschen ernst meint, dann muss sich etwas ändern. Dann müssen wir uns als Erstes an Indigene und Hirten wenden. Sie haben die Natur schon immer bewahrt und würden das auch weiterhin tun – wenn sie nur die Freiheit hätten, ihr eigenes Land traditionell zu nutzen und sich darin zu bewegen.

Sarah Widdig

Die Autorin arbeitet bei der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN, die sich für das Recht auf angemessene Ernährung einsetzt. Weitere Informationen: www.fian.de

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