Nachhaltig wirtschaften – aber wie?

Aus DER RABE RALF Dezember 2020/Januar 2021, Seite 18

Teil 4: Auch in Berlin: Profitable Raubzüge und hoffnungsvolle Alternativen

„Mieten? Oder kaufen?“ – die Frage aus der Schaufensterwerbung der deutschen Bank stellt sich für viele nicht. (Foto: Elisabeth Voß)

Mit dem vierten Teil dieser Artikelserie zu nachhaltigem Wirtschaften habe ich mich schwergetan. Das liegt nicht am Thema, sondern an den Umständen: Immer wieder habe ich mich gefragt, ob es nicht zynisch ist, über Ideen für eine bessere Welt zu schreiben und über kleine Ansätze der Umsetzung schon heute, während vor aller Augen millionenfach immer mehr Menschen weltweit ihre Lebensgrundlagen verlieren. Das ist nichts Neues, aber es wird sichtbarer und es rückt näher.

Hunger und existenzielle Not nehmen nicht nur aufgrund von Kriegen und Klimakatastrophe, sondern nun auch durch den weltweiten Lockdown zu. Nachdem das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos abgebrannt war, wurden die BewohnerInnen – Überlebende der lebensgefährlichen Flucht über das Massengrab Mittelmeer – in ein neues Zeltlager eingesperrt, ohne ausreichende Versorgung, ohne Schutz vor Corona, vor Überschwemmungen und Kälte. Gleichzeitig wurde Ende Oktober das seit acht Jahren bestehende selbstorganisierte Camp Pikpa, in dem überwiegend Ehrenamtliche besonders Schutzbedürftige betreut hatten, von der Polizei geräumt.

Was wirklich wichtig ist

Diese Dinge geschehen vor aller Augen. Macht sich nicht mitschuldig, wer zuschaut und dabei versucht, den Anschein von Normalität aufrechtzuerhalten, den täglichen Beschäftigungen nachzugehen oder mit dem Schreiben über nachhaltiges Wirtschaften in Berlin sogar Hoffnung zu verbreiten? Hoffnung für wen eigentlich? Für wenige Privilegierte, die das Glück haben, gut und sicher leben zu können? Was allerdings selbst in Berlin nicht für alle zutrifft. Auch unter dem rot-rot-grünen Senat wird abgeschoben, werden Menschen mitten in der Nacht aus ihren Betten gerissen und deportiert – selbst Kinder, Schwangere, alte und kranke Menschen.

Am 12. November hat das Bündnis „LeaveNoOneBehindNowhere“ öffentlich gemacht, dass in Berlin „nach wie vor ca. 50.000 wohnungslose Menschen mit und ohne Migrations- und Fluchtgeschichte in Massenunterkünften in Mehrbettzimmern mit Gemeinschaftssanitäranlagen leben“, ohne die Möglichkeit, Abstandsregeln einzuhalten, dem Virus schutzlos ausgeliefert. Obdachlose mit Krankheitssymptomen würden von Einrichtungen der „Kältehilfe“ nicht mehr aufgenommen. Die Berliner Bevölkerung gewöhnt sich mehr und mehr daran, dass Menschen auf der Straße, in Hauseingängen oder unter Brücken schlafen, manche in Mülleimern nicht nur nach Pfandflaschen, sondern auch nach Essbarem suchen.

Am 29. Oktober hatten Obdachlose ein leerstehendes Haus in der Habersaathstraße in Berlin-Mitte besetzt, wurden jedoch sogleich wieder von der Polizei vertrieben. Es weht ein rauer Wind in der Stadt. Selbst das langjährig bestehende anarcha-queer-feministische Wohnprojekt in der Friedrichshainer Liebigstraße 34 wurde am 9. Oktober unter rechtlich fragwürdigen Umständen geräumt. Der berüchtigte Eigentümer Gijora Padovicz verfügt über ein Firmengeflecht, dem nach Recherchen der MieterInnen-Initiative „Padowatch“ mindestens 200 Häuser gehören. Trotz breiter politischer Unterstützung setzte die Senatsverwaltung sich nicht für den Erhalt des Hausprojekts ein. Anfang August war die seit 35 Jahren kollektiv betriebene Kneipe Syndikat in Neukölln geräumt worden, nachdem das Haus von Pears Global erworben wurde, einem undurchsichtigen Imperium von Briefkastenfirmen, wie der Tagesspiegel berichtete.

Doppelt profitieren in der Krise

Diese Beispiele sind nur die aktuellsten Fälle von vielen, die geradezu eine Schneise der Zerstörung in alternative Strukturen von Wohnen, Arbeiten und Soziokultur in Berlin schlagen. Wagenplätze werden vertrieben, den legendären selbstverwalteten Jugend- und Kulturzentren Drugstore und Potse in Schöneberg wurde gekündigt, der Drugstore ist bereits geschlossen, die Potse akut von Räumung bedroht, das Kreuzberger Kneipenkollektiv Meuterei ebenso. Investoren verleiben sich die Stadt ein, gerade hat der schwedische Immobilienkonzern Heimstaden rund 150 Häuser erworben. „Halb Berlin gehört wenigen tausend Multimillionären“ fand Christoph Trautvetter heraus, der im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Studie „Wem gehört die Stadt?“ erstellte. Im gleichnamigen Projekt können MieterInnen nach ihren Vermietern recherchieren.

Die finanzielle Übermacht der Investoren ist erdrückend. Daran ändert grundsätzlich auch der Mietendeckel nichts, der ohnehin zeitlich begrenzt ist, möglicherweise sogar gerichtlich gekippt wird und bislang nur für Wohnraum gilt. Der Lockdown macht die Situation für viele kleine Gewerbetreibende und Projekte – vor allem in der Gastronomie, im Veranstaltungs- und Kulturbereich – zusätzlich prekär. Die Corona-Maßnahmen führen zu einer immer stärkeren Kluft zwischen denen, die von der Krise profitieren, und denen, die verlieren. So gehören Konzerne der Digitalindustrie, Pharma- und Biotechunternehmen zu den Gewinnern. Die Milliarden der öffentlichen Hand haben vor allem Großunternehmen geretteten – auch solche, die wie BMW, Daimler oder VW erhebliche Dividenden ausgeschüttet haben, statt ihr unternehmerisches Risiko selbst zu tragen.

„So zerstört man die moralische Grundlage unseres Wirtschaftssystems“ war selbst in der Zeitschrift Capital zu lesen. Dass die BMW-ErbInnen Stefan Quandt und Susanne Klatten jeweils dreistellige Millionenbeträge ausgezahlt bekamen, führte in vielen Medien zu Empörung, die unter anderen Bedingungen keine Zweifel an Dividenden äußern. Wer hat, dem wird gegeben – war das nicht schon immer falsch? Eine Wirtschaftsweise, in der das Profitstreben dominiert, hat die Welt an den Rand des Abgrunds gebracht, dafür brauchte es Corona nicht. Aber wann, wenn nicht jetzt, wäre der Moment, endlich Schluss zu machen mit dem Irrsinn von unvorstellbarer Reichtumskonzentration in den Händen von einigen wenigen und von unvorstellbarem Elend so vieler Menschen weltweit?

Demonstration „Shut down Mietenwahnsinn – sicheres Zuhause für alle“ am 20. Juni. (Foto: Günter Piening)

„Social Business“ kann höchstens Symptome lindern

Das haben nicht nur progressive Kräfte verstanden. Auch die Reichen und Mächtigen dieser Welt sehen, dass es so nicht weitergehen kann. Das Weltwirtschaftsforum, das jährlich im Januar in Davos tagt, wurde für 2021 in den Mai und nach Luzern verschoben, Thema: „The Great Reset“. Ein Neustart von Wirtschaft und Gesellschaft nach der Pandemie, mit dem wie auf Knopfdruck alles gut wird – wie ein Imagefilm suggeriert. Ein „Davos-Manifest 2020“ hat Forums-Gründer Klaus Schwab schon im Dezember 2019 verfasst. Demnach liegt „der universelle Auftrag eines Unternehmens in der Vierten Industriellen Revolution“ nicht darin, seinen Aktionären zu dienen, sondern es soll allen Beteiligten, den Mitarbeitenden und KundInnen, den Zulieferern, der lokalen Gemeinschaft und der ganzen Gesellschaft nützen.

Das Weltwirtschaftsforum ist seit 50 Jahren ein Treffpunkt von VertreterInnen von mehr als 1.000 Großunternehmen, aus Politik und Wissenschaft sowie von NGOs. Im Davos-Manifest von 1973 sind ähnlich schöne Worte zu lesen, den Raubbau an Mensch und Natur hat das nicht verhindert. Warum sollte es diesmal anders sein? Der Kapitalismus ist strukturell wandlungsfähig und seine Profiteure waren schon immer gut darin, ihr Handeln mit ideologischen Nebelkerzen in ein besseres Licht zu rücken.

Schwab ist einer der wichtigsten Protagonisten der Social-Business-Bewegung. Gemeinsam mit seiner Frau Hilde gründete er 1998 die „Schwab Foundation for Social Entrepreneurship“ als Schwesterorganisation des Weltwirtschaftsforums. Diese Stiftung möchte „Soziale Innovationen“ beschleunigen, indem sie führende SozialunternehmerInnen unterstützt und vernetzt, die soziale Probleme mit unternehmerischen Mitteln lösen möchten. Sicher sind darunter respektable und nützliche Vorhaben. Allerdings handelt es sich keineswegs um eine alternative Wirtschaftsweise, wenn diejenigen, die es auf Kosten anderer zu großem Reichtum gebracht haben, nun versuchen, mit marktgerechten Ansätzen die Probleme ausgewählter Zielgruppen zu lösen – von oben nach unten und nach eigenem Ermessen, ohne demokratische Legitimation. Mit solchen Geschäftsmodellen werden bestenfalls Symptome gelindert, aber sie ändern nichts an der fortschreitenden Ungleichheit. Oft dienen sie auch nur der Marktvorbereitung für zukünftige Profite (Rabe Ralf April 2019, S. 20).

Hinzu kommt der Digitalisierungsschub, der durch die Pandemie weltweit enorm verstärkt wird. Auf die Risiken kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden, jedoch ist offensichtlich, dass privatwirtschaftliche ebenso wie staatliche Zugriffe auf immer mehr Daten sowohl Ungleichheit verstärken als auch entdemokratisierend wirken (Rabe Ralf Oktober 2019, S. 16).

Destruktive Marktkonkurrenz

Eine zukunftsfähige, nachhaltige Wirtschaft müsste sich – statt Symptome zu behandeln – von Grund auf an sozialen Mindeststandards und planetaren Grenzen orientieren, wie es die bisherigen Beiträge dieser Serie dargelegt haben. Denn selbst wenn Klaus Schwab mit seinem Netzwerk beste Absichten verfolgen sollte, läge es gar nicht in deren Hand, die systemischen Zwänge einer kapitalistischen Marktwirtschaft außer Kraft zu setzen. Aus dem Prinzip der Konkurrenz folgt die Notwendigkeit der Rationalisierung und Kostensenkung – Kostenfaktoren sind menschliche Arbeit und Naturschätze. Das daraus resultierende endlose Wachstum vervielfacht die destruktive Kraft, die dieser Wirtschaftsweise eingeschrieben ist. Zunehmend werden Unternehmen, meist Start-ups mit digitalen Geschäftsmodellen, von vornherein für einen „profitablen Exit“ gegründet, also um sie nach einigen Jahren zum Höchstpreis zu verkaufen.

Vereinzelt gibt es engagierte Persönlichkeiten, die „gute“ Unternehmen aufbauen und sich der Ausbeutung von Mensch und Natur widersetzen. Diese können jedoch nur so lange bestehen, wie sie eine Nische mit ebenso engagierter, meist zahlungskräftiger Kundschaft bedienen. Ein Modell für die Gutwerdung des Kapitalismus sind sie nicht. Spätestens wenn sich die Big Player der globalen Ökonomie werbewirksam ein ökosoziales Mäntelchen umhängen, ist Skepsis geboten. Die engagierte Journalistin Kathrin Hartmann hat das in vielen ihrer Bücher detailreich beschrieben und gemeinsam mit Werner Boote im Film „Die Grüne Lüge – Weltrettung als profitables Geschäftsmodell“ für eine breite Öffentlichkeit überzeugend dargestellt.

Genossenschaften könnten es besser machen

Ein anderes Geschäftsmodell verfolgen genossenschaftliche Unternehmungen in unterschiedlichen Rechtsformen – oder sollten es zumindest. Viel zu viele Genossenschaften handeln, als seien sie Unternehmen wie andere auch und müssten möglichst gewinnträchtig am Markt bestehen. Eine Initiative von Mitgliedern Berliner Wohnungsgenossenschaften kritisiert beispielsweise, dass sich ihre Vorstände der Kampagne des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) gegen den Mietendeckel angeschlossen haben, gegen die Interessen ihrer Mitglieder. „Die Genossenschafter*innen“ setzen sich für eine Demokratisierung und für eine sozialere Ausrichtung ihrer Genossenschaften ein.

Ein Unternehmen, das direkt seine eigenen Mitglieder versorgt – in diesem Fall mit Wohnraum zu guten Konditionen – braucht marktwirtschaftliche Konkurrenz nicht zu fürchten, solange es in der Lage ist, mindestens gleiche, wenn nicht bessere Leistungen zu erbringen, als die Mitglieder am Markt bekommen könnten. Schwieriger ist es für genossenschaftliche Unternehmen, die am Markt tätig sind, in Handwerk, Handel oder anderen Dienstleistungen. Dort stehen sie im Wettbewerb, wie andere auch.

Allerdings werden Genossenschaften, selbstverwaltete Betriebe oder andere solidarwirtschaftliche Unternehmungen kaum sehenden Auges ihre eigenen Existenzgrundlagen zerstören. Sie folgen einer anderen wirtschaftlichen Logik, sind schon aus Eigeninteresse auf Nachhaltigkeit angelegt. Ein Landwirtschaftsbetrieb, der den Mitarbeitenden gehört, wird beispielsweise den Boden pflegen und die Mitglieder werden sich um würdige Arbeitsbedingungen für sich selbst bemühen. Ein kollektiver Handwerksbetrieb lebt vom Engagement seiner Mitglieder und von persönlichen Empfehlungen, so dass Qualität in jeder Hinsicht zum Geschäftsmodell gehört. „Solidarische Ökonomie“ bedeutet in diesem Sinne wirtschaftliche Selbsthilfe, beinhaltet jedoch darüber hinaus die Anforderung an die gesamte Wirtschaft, sich an Bedürfnissen auszurichten statt an Profitmaximierung (Rabe Ralf Februar 2019, S. 20).

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal dieser anderen Ökonomie von dem, wofür Schwab und andere stehen, ist die Demokratie. In einer solidarischen Wirtschaft handeln nicht die einen für oder gegen die anderen, sondern die Menschen sind in der Lage oder werden selbst befähigt, über die Erfüllung ihrer Bedürfnisse durch eigene wirtschaftliche Betätigung oder kollektive Beratschlagung zu entscheiden. Das heißt nicht, dass jede und jeder alles selbst tun muss, aber es bedeutet, dass alle wirtschaftlichen Prozesse öffentlicher Entscheidungsfindung und Kontrolle unterliegen.

Auf dem Ökomarkt am Chamissoplatz gibt es am 12. Dezember wieder Stände für solidarischen Direktkonsum. (Foto: Wandelwoche Berlin-Brandenburg)

Solidarische Grundversorgung in Berlin

Einige selbstverwaltete Betriebe haben sich im Netzwerk Berliner Kollektivbetriebe zusammengeschlossen, immer mehr BerlinerInnen organisieren ihre Versorgung mit Lebensmitteln in Solidarischen Landwirtschaftsbetrieben des Umlands, solidarische Direkthandelsinitiativen vertreiben Produkte von kollektiven, teils besetzten Betrieben aus anderen Ländern. Für eine umfassende Versorgung mit dem Lebensnotwendigen ist jedoch mehr erforderlich. Gerade in einer Großstadt wie Berlin ist die Grundversorgung eine öffentliche Angelegenheit, die nur durch öffentliche Unternehmen gewährleistet werden kann. Mit den Privatisierungsraubzügen der letzten Jahrzehnte ist vieles zerstört worden. Die Berliner Wasserbetriebe konnten immerhin – wenn auch zu einem unverhältnismäßig hohen Preis – Ende 2013 aufgrund eines erfolgreichen Volksentscheids rekommunalisiert worden. Um andere öffentliche Güter wird aktuell gekämpft, so soll beispielsweise die nächste Runde der Unterschriftensammlung für das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen!“ bald beginnen.

Über die drohende Zerschlagung und Privatisierung der Berliner S-Bahn hat Felix Thoma im letzten Raben Ralf ausführlich berichtet. Das Bündnis „Eine S-Bahn für Alle“ fordert vom Senat und vor allem von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) die Rücknahme der Ausschreibung. Im Oktober hat die Bundesregierung das gesamte IT-System der Deutschen Bahn verkauft, die eigenen Steuerungsanlagen stillgelegt und die Hardware verkauft. Auf den Skandal machte das Bündnis „Bahn für alle“ am 1. November aufmerksam. Bündnissprecher Winfried Wolf warnte: „Die DB begibt sich damit in die Abhängigkeit zweier US-Datenkraken, die es mit dem Datenschutz nie ernst nahmen, Konzerne, die in der EU so gut wie keine Steuern bezahlen. Es war das Handelsblatt, das am 28.10. dazu feststellte, ‚dass US-Konzerne im Zweifelsfall dem US-amerikanischen Recht unterliegen‘ und dass ‚die Datenschutzgesetze in den USA deutlich laxer sind und Dienste wie die NSA in großem Umfang Daten über Personen und Unternehmen sammeln‘.“

Der „Berliner Energietisch“ begleitet kritisch die Verhandlungen zur Übernahme der bisher von Vattenfall betriebenen Berliner Stromnetze durch die öffentliche Hand. Mit dem Angebot von Vattenfall im Oktober 2020 an den Berliner Senat ist eine Rekommunalisierung, für die sich der Energietisch seit vielen Jahren einsetzt, in greifbare Nähe gerückt, allerdings zu einem hohen Übernahmepreis. Nun kommt auch wieder die Frage auf, was eine öffentliche Bewirtschaftung der Netze bedeutet, ob ein solches Unternehmen – wie bisher immer gefordert – zu 100 Prozent in der Hand des Landes Berlin sein soll oder ob auch eine genossenschaftliche Beteiligung wünschenswert wäre. Dies wurde schon 2012 in der Vorbereitung des Volksentscheids diskutiert.

Seit vielen Jahren engagiert sich das Netzwerk „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB) für den Erhalt und gegen die Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen. So sehen die AktivistInnen beispielsweise auch die Schulbauoffensive des Senats und die Übertragung von Schulgebäuden an die öffentliche, aber privatrechtlich als GmbH verfasste Wohnungsbaugesellschaft Howoge sehr kritisch. Angesichts der drohenden Überlastung von Intensivstationen irritiert es sehr, dass trotzdem Krankenhäuser geschlossen werden sollen – mit dem Ziel der Effizienzsteigerung, wie es von der Bertelsmann Stiftung und anderen neoliberalen Denkfabriken immer wieder propagiert wird. Die Idee einer wohnortnahen Versorgung, die auch die soziale Einbettung und psychosomatische Aspekte von Gesundungsprozessen einbezieht, scheint vollkommen ignoriert zu werden. Gemeingut in BürgerInnenhand setzt sich bundesweit für die Verstaatlichung von Krankenhäusern sowie für den Stopp von Krankenhausschließungen ein. In Berlin soll beispielsweise das Tempelhofer Wenckebach-Klinikum geschlossen werden, wogegen es heftige Proteste gibt.

Freundliche Nischen und soziale Kämpfe

Nach wie vor besteht eine große Herausforderung darin, die Infrastrukturen der Versorgung nicht nur von privater in staatliche Hand zu überführen, wo sie keineswegs einem zukünftigen Privatisierungsrisiko entzogen sind, sondern sie als demokratisch geführte öffentliche Unternehmen zu organisieren. Mit „Die Ökonomie des Alltagslebens“ hat ein AutorInnenkollektiv 2019 eine Abhandlung „Für eine neue Infrastrukturpolitik“ vorgelegt. Gerade gründet sich in Berlin eine Initiative, die das Modell der Donut-Ökonomie von Kate Raworth (Rabe Ralf Februar 2020, S. 18) in die Öffentlichkeit bringen möchte. Sie versteht sich als Teil des von der britischen Wirtschaftswissenschaftlerin ins Leben gerufenen „Doughnut Economics Action Lab“ (DEAL), einer globalen Vernetzungsplattform für eine Wirtschaft, die soziale Mindeststandards gewährleistet, ohne die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören. Alle, die mitmachen, verpflichten sich auf ein paar Prinzipien, unter anderem zur Abgrenzung von Greenwashing und von allen Versuchen, die Donut-Ökonomie für eine neue Art von Kapitalismus zu benutzen. Also das Gegenteil vom „Great Reset“, zu dem Anja Hilscher in der migrationspolitischen Onlinezeitschrift Migazin zutreffend anmerkte, sie sehe „keinen ernsthaften Grund, zu glauben, dass die mächtigsten Konzerne der Welt plötzlich zu Umweltschützern und Menschenfreunden mutiert wären“.

Angesichts der Übermacht von Konzernen und einer willfährigen Politik drängt sich die Frage auf, ob kleine, freundliche Alternativen in Nischen je ausreichen können, eine Wende zu einer sozial-ökologischen Wirtschaftsweise einzuleiten. All das hier Geschriebene ist ein Versuch, wenigstens die unterschiedlichen Arten des Wirtschaftens zu verdeutlichen. In der Realität ist es oft komplexer und vieldeutiger. „Die Wirtschaft“ gibt es nicht, weder die eine gute noch die andere schlechte, sondern sehr unterschiedliche Weisen, wie nachhaltig und gerecht – oder eben nicht – Gesellschaften die Bedürfnisse ihrer Mitglieder erfüllen.

Für das Verständnis kann es jedoch hilfreich sein, sich ein paar grundlegende Merkmale und Unterschiede wirtschaftlicher Prozesse zu verdeutlichen. Entscheidend ist das Zusammenspiel von dem, was wirtschaftliche Akteure tun, mit dem, wie sie es tun. Wenn (vermeintliche) AgentInnen nachhaltigen Wirtschaftens nur noch selbstgewiss strahlend daherkommen, scheint mir ihr Lachen mitunter ins Reklamegrinsen oder gar Zähnefletschen abzugleiten. Wo kein Platz mehr ist für Fragen, Zweifel und die Möglichkeit des Scheiterns, da blinken in meinem Kopf alle Warnlämpchen. Angesichts der Lage der Welt und der Machtverhältnisse reicht es nicht aus, von der stromlinienförmigen Anpassung mal hier und da öffentlichkeitswirksam ein bisschen abzuweichen. Solidarisches Wirtschaften ist kein Sonntagsspaziergang, und nur wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Elisabeth Voß

Transparenzhinweis: Die Autorin ist selbst in einigen der genannten Initiativen aktiv. Mehr dazu auf der Seite www.elisabeth-voss.de

Teil 1: Vorschlag zum Gelingen – mit Donut-Ökonomie und demokratischer Umsetzung
Teil 2: Weniger Globalisierung und Wachstum durch Corona – Chance zum Umsteuern?
Teil 3: Trotz allem nicht aufgeben – Wirtschaftsdemokratie!

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