Naturschutzeule feiert 70. Geburtstag

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2020, Seite 14

Erna und Kurt Kretschmann entwickelten das Zeichen, das bis heute Schutzgebiete kennzeichnet

Kurt und Erna Kretschmann 1988 vor ihrem selbstgebauten Blockhaus im Schaugarten Bad Freienwalde, zwischen ihnen eine Naturschutzeule. (Foto: Hartmut Sommerschuh)

Zehn Wochen hatte sich Kurt Kretschmann 1945 nach einem Fronturlaub in Bad Freienwalde in einem Erdloch versteckt. Seine Erna brachte ihm unter Lebensgefahr Mohrrüben und Haferflocken. Als Pazifist von der Gestapo verfolgt und nach Stalingrad geschickt, hatte er schon einmal versucht zu desertieren. Dann war der Krieg endlich zu Ende. Erna und Kurt hatten zueinander gehalten und den Faschismus überlebt. Sie bauten sich in Freienwalde ein Blockhaus, lebten vegetarisch aus dem eigenen Garten. Und Kurt begann die Landschaft des damaligen Landkreises Oberbarnim zu erkunden. Mit dem Fahrrad oder zu Fuß erforschte er jede Ecke, jeden wertvollen Baum, jeden alten Backofen, intakte Moore. Immer wieder mit der Frage, wie sich wertvolle Naturobjekte schützen, das heißt kennzeichnen lassen.

Bei Gesprächen, die Erna und Kurt nicht nur mit Förstern, Bauern und Naturfreunden führten, fragten sie auch regelmäßig, ob es im Dorf noch Schleiereulen oder Steinkäuze gibt. „Ach, Sie wollen wissen, wo der Totenvogel wohnt?“, war häufig die Antwort. Schnell wurde klar, woher der alte Aberglaube kam. Wenn bei Kranken Licht brannte, flogen die Käuze hin und her und fingen die Nachtinsekten vor den Fenstern. Unter den Bauern aber hieß es: „Die Eule hat gerufen, nun muss der Kranke sterben.“

Haus der Naturpflege in Bad Freienwalde

Weil die Eule so verleumdet war, entschieden sich die Kretschmanns, sie zum Zeichen für den Naturschutz zu machen. Ein Tischler im Erzgebirge baute ihnen für wenig Geld 5000 Schilder. Fünfeckig mit Dach. Auf einer Vorkriegswanderung durch die Alpen hatte Kurt die „Marterl“, Bildstöcke mit religiösen Motiven, gesehen. Ihre Form gefiel ihm für ein heimatliches Schutzschild. Ein Grafiker aus Eberswalde half bei ersten Entwürfen.

Inzwischen war Kurt von der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften zum hauptamtlichen Naturschutzbeauftragten berufen worden. Zusammen mit Erna entschied er sich für die schöne Waldohreule. Nach dem DDR-Naturschutzgesetz, das Kurt 1954 miterarbeitete, wurden mit dem Eulenschild alle Naturdenkmale, Natur- und Landschaftsschutzgebiete gekennzeichnet. Auch viele Seeufer um Freienwalde wurden von der Bebauung freigehalten.

Eule oder Adler?

Fast zeitgleich zur Naturschutzeule entwickelte in Westdeutschland der Leiter der Vogelschutzstelle Lüneburg und spätere Naturfilmer Henry Makowski ein eigenes Zeichen: ein nordamerikanischer Weißkopfseeadler auf einem grünen Verkehrsschild.

1994 empfahlen alle Umweltminister, die Eule bundesweit einzuführen. Doch bis heute existieren beide Symbole und viele kuriose Varianten nebeneinander.

Im Zeichen der Eule haben die Kretschmanns den Naturschutz in der DDR begründet, das legendäre Nationalparkprogramm von 1990 mit vorbereitet, tausende Besucher in ihrem heute noch existierenden „Haus der Naturpflege“ Bad Freienwalde empfangen. 1993 bekamen sie dafür den Europäischen Umweltpreis.

Erna Kretschmann starb 2001, Kurt Kretschmann 2007.

Hartmut Sommerschuh 

Weitere Informationen:
www.haus-der-naturpflege.de
Tel./Fax 03344 / 3582

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