Viele werden!

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2021, Seite 13

Der Nachbarschaftsgarten am Moritzplatz in Kreuzberg ist für alle offen

Der Prinzessinnengarten ist ein grüner Umwelt- und Lernort für alle. (Foto: Prinzessinnengarten)

Seit Anfang 2020 hat sich im Prinzessinnengarten am Moritzplatz vieles verändert. Hier entsteht, getragen von einer Vielzahl sozialer und solidarischer Initiativen und Nachbar:innen, ein inklusiver Gemeinschaftsgarten. Der Garten wird täglich durch und für die Nachbarschaft geöffnet, auch im Winter. Gerade in pandemischen Zeiten bietet er vielen Gruppen einen sicheren Ort.

Nach dem Wegzug der Nomadisch Grün gGmbH, die dort bis Ende 2019 eine Gärtnerei mit Café betrieben hat, fand sich eine Gruppe engagierter Menschen zusammen, die hier einen nichtkommerziellen, basisdemokratischen, selbstorganisierten und inklusiven Ort von und für Nachbar:innen und solidarische Initiativen entwickelt.

Hier gibt es nichts für Geld

Jeden Tag wird der Garten von Ehrenamtlichen für die Allgemeinheit geöffnet. Allen Menschen, besonders aber auch verletzlichen und gesellschaftlich ausgegrenzten Gruppen soll ein Ort geboten werden, an dem sie sich treffen, austauschen und sicher fühlen können. Pächter des Gartens ist der Verein Common Grounds, der sich aber in allen Angelegenheiten, die den Garten betreffen, im Hintergrund hält und dem wöchentlich tagenden Gartenplenum untergeordnet ist.

Hier, mitten im Schmelztiegel des Spätkapitalismus, zwischen Oranienstraße und Prinzenstraße im Kreuzberger Norden, wo kleine Gewerbetreibende seit Jahren verdrängt werden, wo der Immobilienkonzern Pandion hochpreisige Gewerbeimmobilien baut und „Artwashing“ genauso wie „Greenwashing“ betreibt – hier entsteht eine Oase, ein grüner Umwelt- und Lernort für alle.

Im Garten am Moritzplatz gibt es nichts zu kaufen. Der Garten hat sich bewusst für eine Ökonomie des Beitragens, nicht des Geldes entschieden. Es gibt keine Chefs und keine Angestellten, alle arbeiten auf Augenhöhe zusammen. Jeder gibt, so viel er will und kann, und trägt so zum Garten bei.

Manche Besucher:innen sind zunächst erstaunt, dass kein Café oder Flohmarkt mehr da ist. Nachdem der erste Schreck über das „Wirklich-nichts-kaufen-Können“ aber überwunden ist, das Konzept erklärt und Fragen beantwortet wurden, kommt meist Freude auf. Schnell ist etwas für ein Picknick besorgt und ein lauschiges Plätzchen im Garten gefunden. Egal ob zwischen den Beeten, in den grünen Hängematten im kleinen Wäldchen oder an den Tischen in der Sonne, jede:r findet hier seinen Lieblingsort.

Neue ökologische und soziale Beziehungen

Im Garten gibt es keinen Müll. „Reste“ müssen beim Verlassen des Gartens wieder mitgenommen werden. Biogut aus der Nachbarschaft nimmt der Garten hingegen gerne an, um durch Kompostierung (Bokashi und Wurmkompost) den Boden wieder aufzubauen. Da der Untergrund vor allem aus dem Schutt des im Krieg zerstörten Wertheim-Kaufhauses besteht, betreibt der Garten ohne Zweifel eine bessere „Bodenaufwertung“ als seine beton- und damit hochgradig CO₂-lastigen Nachbar-Neubauten.

Neben der Entsiegelung und dem Aufbau des Bodens, dem Aufbau von Beziehungen sowie der Beobachtung und permakulturellen Entwicklung der Fläche gehört zu den aktuell bestimmenden Themen auch der Aufbau einer neuen Infrastruktur. Geplant sind unter anderem der Bau eines Brunnens für eigenes Wasser, einer Solaranlage für eigenen Strom und eines Gewächshauses. Des Weiteren werden heimische, insektenfreundliche und bodenverbessernde Stauden gepflanzt.

Die Planung und Umsetzung der Infrastrukturprojekte hat im September begonnen. Immer ist dabei ausschlaggebend, was der Garten wirklich braucht. Angestrebt werden zukunftsweisende, dauerhafte, kostengünstige Lösungen, denen das Prinzip der Kreislaufwirtschaft zugrunde liegt.

Neben Einzelpersonen und kleinen Grüppchen, die ihre Mittagspause hier verbringen, sich auf einen Schwatz treffen oder mit ihren Kindern spielen, nutzen politische und andere Gruppen den Garten. Es gibt Küfas (Küche für alle), die Kiezkantine kocht, Selbsthilfegruppen treffen sich regelmäßig, Gruppenplena werden abgehalten, Kitagruppen gärtnern, Geflüchtete aus der nahen Notunterkunft Stallschreiberstraße verbringen hier ihre Nachmittage. Die Lebenshilfe bietet regelmäßig dienstags um 14 Uhr eine Suppenküche nicht nur für Obdachlose an und führt regelmäßig künstlerische Workshops durch. Das „Parkraumgetier“, das im öffentlichen Raum auf das Parkblech-Problem aufmerksam macht und bei Aktionen als Tribüne genutzt werden kann, teilt sich den Garten mit der örtlichen Fauna als Rückzugsraum. Vereine wie Wildwasser und United Action sowie Selbsthilfegruppen halten zwischen den Beeten regelmäßig ihre Treffen ab. Es gibt Kindertheater, Lesungen und vieles mehr. Die „Nutzer:innen“ wandeln sich nach und nach auch zu Gartenkümmer:innen und bauen eine dauerhafte Beziehung zum Ort auf, den sie gemeinsam mit allen als Allmende erhalten wollen.

Alle können mitmachen

Jeden Sonntag um 12 Uhr findet ein für alle offenes Plenum statt, bei Regen im Zirkuszelt. Hier wird über alle wichtigen Belange des Gartens beraten und es werden gemeinsam Beschlüsse gefasst. Gleich zu Beginn werden die täglichen Öffnungszeiten für die kommende Woche organisiert. Es gibt Berichte aus dem Garten, aus den Arbeitsgruppen, die sich um ständige Aufgaben und Bereiche kümmern, sowie aus Kleingruppen, die sich vorübergehenden Fragen widmen. Externe Anfragen werden am Ende des Plenums besprochen. Für einmalige oder externe Veranstaltungen ist es notwendig, dass sich eine „Patin“ bereit erklärt, die Betreuung des jeweiligen Projekts zu übernehmen. Wenn Gruppen, die sich regelmäßig treffen, im Garten Veranstaltungen abhalten, übernehmen sie die Patinnenschaft selbst. Dazu gehört es zum Beispiel, die Kommunikationsstrukturen des Gartens zu nutzen, um die Veranstaltung nach außen zu vermitteln, vor Ort den Garten für die Allgemeinheit zu öffnen, das Kompostklo zu reinigen und Ansprechperson zu sein.

Für Menschen, die Lust am Gärtnern haben, gibt es feste Gartenarbeitstage, an denen einfach mit angepackt werden kann. Fast alle Beete sind Gemeingut, nur wenige Beete sind an feste Gruppen vergeben.

Es gibt zahlreiche Aufgaben und Projekte, die auf viele Schultern verteilt werden wollen, denn alle Tätigkeiten im Garten sind ehrenamtlich. Der Garten braucht beständig viele helfende Hände – ob für ein paar Stunden oder regelmäßig. Jede:r kann mitmachen, jede Hilfe ist willkommen! Besonders für die Infrastrukturprojekte braucht der Garten jetzt jede Hilfe. Vorkenntnisse sind nicht nötig. Alle bringen ihr vorhandenes Wissen ein und teilen es, lernen von- und miteinander. Jeder und jede ist auf irgendeinem Gebiet Expert:in. Um das Basiswissen zu vertiefen, werden Workshops zu den unterschiedlichsten Themen selbst organisiert. Immer nach der Devise: Alle gemeinsam sind wir der Garten.

Traut euch!

Langfristig geht es darum, den Garten am Moritzplatz dauerhaft als Gemeingut zu erhalten. Der Garten soll sich selbst tragen können und strebt eine Kostenminimierung an. Im September wurde dazu ein offener Brief an die Politik formuliert.

Wer mehr wissen will, findet viele Informationen auf der Internetseite. Man kann auch einfach vorbeikommen und die Leute ansprechen. Außerdem wird jeden Sonntag um 12 Uhr zum offenen Gartenplenum eingeladen.

Die Garten-Aktiven  

Weitere Informationen: www.prinzessinnengarten-kreuzberg.net

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