Inklusive Wohnformen

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2018, Seite 23

Selbstorganisiertes, gemeinschaftliches Wohnen für alle

Gemeinschaftliches Wohnen liegt im Trend. Es erfordert viel Kommunikation – und oft auch erhebliche finanzielle Mittel. Die Entwicklung solcher Wohnprojekte dauert oft viele Jahre, sie sind daher zumindest zu Beginn nicht geeignet, um kurzfristige Wohnungsnot zu beheben, zeigen jedoch modellhaft Alternativen zum isolierten Leben in Mietwohnungen oder Einfamilienhäusern auf.

Das „id22 Institut für kreative Nachhaltigkeit“ organisiert seit 2003 in Berlin die jährlichen Wohnprojekttage „Experiment Days“. Der id22-Gründer Michael LaFond und seine Kollegin Larisa Tsvetkova möchten mit ihrem Buch „CoHousing Inclusive“ zeigen, wie „alle“ gemeinschaftlich wohnen können: „Definiert wird inklusives Wohnen in diesem Buch durch Zugänglichkeit für alle, unabhängig von Gender, persönlichen Fähigkeiten, finanziellen Ressourcen, Migrationshintergrund, Fluchterfahrung oder Behinderung.“

Vorangestellt ist ein Beitrag von Raúl Aguayo-Krauthausen, der aus seiner persönlichen Perspektive als Rollstuhlfahrer beschreibt, was für ihn Barrierefreiheit bedeutet. Im Buch werden zehn neuere Modelle aus dem deutschsprachigen Raum vorgestellt, welche die Vielfalt inklusiver Wohnformen repräsentieren sollen. An vier weiteren, bisher noch nicht realisierten Projekten und vier regionalen Strategien möchten die HerausgeberInnen zeigen, was darüber hinaus möglich sein könnte. Thematische Beiträge und Kurzstatements von ExpertInnen aus aller Welt runden das Buch ab, dessen Texte durchgängig in deutscher und englischer Sprache vorliegen.

Vielfältige Modellprojekte

Michael LaFond lebt mit etwa 140 weiteren Personen in der Berliner Genossenschaft Spreefeld. Deren Mitglieder müssen durchschnittlich 1.050 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche als Genossenschaftseinlage leisten. Die Genossenschaft kann eine Bürgschaft übernehmen für diejenigen, die weder das Geld haben noch für Banken kreditwürdig sind. Ein Teil der Räume wurde rollstuhlgerecht errichtet.

Im Sharehouse Refugio in Berlin leben Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte in Wohngemeinschaften, allerdings nur befristet für eineinhalb Jahre. Das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg wurde von KünstlerInnen in einem Gebäude der Diakonie eingerichtet, in dem sich auch eine staatlich betriebene Flüchtlingsunterkunft befindet. In drei Darmstädter Genossenschafts-Projekten leben fast 240 Menschen, davon einige mit Migrationshintergrund und Behinderungen, in einer Mischung aus Sozialwohnungen, ungeförderten Mietwohnungen und mit eigentumsähnlichen Dauerwohnrechten.

Ein ganzes Quartier für 1.200 Menschen errichtete in Zürich die Genossenschaft Mehr als Wohnen , die wiederum von über 50 einzelnen Genossenschaften getragen wird. Die Gebäude sind barrierefrei und fast die Hälfte der BewohnerInnen sind MigrantInnen. Aus Wien wird QueerBau vorgestellt, ebenso Vinzirast, wo Studierende und ehemals Obdachlose gemeinsam in Wohngemeinschaften leben.

Gemeinschaft fördern

Kleine Wohneinheiten werden mitunter zu Clustern mit Gemeinschaftsbereichen zusammengefasst, auch Begegnungszonen wie Laubengänge oder Wohnflure können gemeinschaftsfördernd wirken. Oft gibt es multifunktionale Räume, die für unterschiedliche Betätigungen genutzt werden können und teils auch für die Nachbarschaft offen sind.

Das Erbbaurecht oder die besondere rechtliche Konstruktion des Mietshäuser-Syndikats sind Ansätze zur Verhinderung der Privatisierung und Verwertung von Immobilien am Markt. Ein entscheidender Faktor für inklusives Wohnen ist die Frage des Eigentums am Boden.

Das Buch gibt einen Einblick in vielfältige Diskussionen und Erfahrungen. Mit dem Schwerpunkt auf Inklusion wird eine der großen Herausforderungen für die zukünftige Wohnraumversorgung umrissen. Gleichzeitig wird deutlich, dass es noch ein weiter Weg ist, das Recht auf Wohnen für alle zu realisieren. Selbstorganisation ist hilfreich und notwendig, kann jedoch politische Unterstützung und entsprechende Finanzierungshilfen nicht ersetzen.

Die HerausgeberInnen benennen die „Zutaten für Inklusion in Wohnprojekten“ folgendermaßen: Teilen statt Besitzen, Vielfalt, Prozesshaftigkeit, Kreativität, Gemeinwohlorientierung, Komplexität, Zugänglichkeit, soziale Mischung, Ökologie, Kooperationen, langfristige Planung, Lernen. Es geht ihnen um gemeinschaftliches Wohnen. Wer einfach nur gut, günstig und langfristig sicher wohnen möchte, ohne sich von vornherein auf Gemeinschaftlichkeit zu orientieren, ist hier – trotz aller Inklusionsansprüche – wohl eher nicht gemeint. Allerdings könnten Elemente des hier Beschriebenen auch Eingang finden in die reine Wohnraumversorgung, denn gute Nachbarschaft und gegenseitige Unterstützung – die es schon immer und auch ganz unabhängig von programmatischer Gemeinschaftsförderung gibt – können durch Partizipationsangebote und bauliche Maßnahmen unterstützt werden.

Elisabeth Voß

Michael LaFond, Larisa Tsvetkova (Hrsg.):
CoHousing Inclusive
Selbstorganisiertes, gemeinschaftliches Wohnen für alle
Jovis Verlag, Berlin 2017
240 Seiten (dt./engl.), 29,80 Euro
ISBN 978-3-86859-462-1
www.cohousing-inclusive.net


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