Berlin wird smart

Aus DER RABE RALF Februar/März 2022, Seite 16/17

Viele schöne Worte – was steckt hinter den Pilotprojekten für eine „Smart City“?

„Smart City“ heißt „intelligente Stadt“. Aber wer soll dort für wen denken? (Illustration: Gerd Altmann/​Pixabay)

In diesen Wochen sollen die ersten Smart-City-Pilotprojekte in Berlin beginnen. „Berlin lebenswert smart“ war im September 2020 als eines von 32 geförderten Modellprojekten unter dem Motto „Gemeinwohl und Netzwerkstadt/Stadtnetzwerk“ in der „zweiten Staffel“ des Smart-Cities-Programms des Bundesbauministeriums ausgewählt worden.

Mit „smart“ meint die Berliner Senatsverwaltung „die Art und Weise, wie Herausforderungen kreativ, offen, partizipativ und zweckmäßig angegangen werden. Durch die Nutzung neuer Technologien sollen gesellschaftliche Werte und vor allem das demokratische Gemeinwesen gestärkt werden.“ Dabei werden Digitalisierung und Stadtentwicklung „zusammen gedacht“, und alle sollen daran mitwirken: „von Wirtschaft über Wissenschaft, Verwaltung bis zur organisierten Zivilgesellschaft und Menschen wie Ihnen, die Berlin ausmachen“. Viele schöne Worte. Und wie es so üblich ist in solchen Leitbildern, wird in der Berliner Smart-City-Strategie bereits vorweggenommen, wie großartig das Ergebnis ausfallen wird: „Das Berliner Modell der Smart City ist gemeinwohlorientiert, nachhaltig und resilient. Es formuliert plausible Ziele und prüft die Wirksamkeit von Maßnahmen. Zur gleichen Zeit werden mögliche Konflikte transparent gemacht und die Bedeutung von Gemeinwohl stets aufs Neue ausgehandelt.“

Resilienz: Durchhalten statt verändern?

Das sagt erst mal alles und nichts. Entscheidend wird sein, mit welchen Inhalten die wohlklingenden Begriffe – Gemeinwohl, Nachhaltigkeit, Resilienz – gefüllt werden. Mögliche Konflikte transparent machen zu wollen klingt eher nach akademischer Abwägung als nach realen Aushandlungsprozessen. Letztlich wird es darauf ankommen, welche und wessen Interessen wirksam werden und wer hinten runterfällt. Denn wo von „Gemeinwohl“ die Rede ist, werden real existierende Interessengegensätze unsichtbar. Es ist keineswegs so, dass mit „Gemeinwohl“ immer alle gemeint sind (Rabe Ralf April 2019, S. 21).

Nachhaltigkeit ist seit der Rio-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 ein umkämpfter Begriff. Mittlerweile hat der größte globale Finanzinvestor Blackrock sich weltweit in die Position eines Nachhaltigkeitsberaters öffentlicher Institutionen gebracht und entwickelt neue Geschäftsmodelle in Reaktion auf die Klimakatastrophe, genauso wie es der „Great Reset“ des Weltwirtschaftsforums propagiert (Rabe Ralf Oktober 2021, S. 20).

Mit dem Begriff „Resilienz“ setzt sich die Menschenrechtsorganisation Medico international seit Jahren kritisch auseinander. Laut Wikipedia wird darunter die „Fähigkeit von Gesellschaften, Störungen von außen zu verkraften“ verstanden. Je katastrophaler die Verhältnisse, desto wichtiger wird es also, sich dagegen mit Resilienz zu wappnen? Nach Auffassung von Medico „scheint die Idee der Resilienz auch Teil jener neoliberalen Hegemonie zu sein, zu deren Wesen es eben auch zählt, gesellschaftliche Verantwortung in die Sphäre des Privaten abzudrängen. Resilienz macht es möglich, dass sich der herrschende Zerstörungsprozess noch in Zeiten größter Gefahr und Not als ‚Business as usual‘ fortsetzen kann.“ Damit würde Resilienz aber gerade die Verhältnisse stabilisieren, „an deren prekärem Zustand sich das Bedürfnis nach Resilienz entzündet“.

Der Hardenbergplatz soll smart werden

Auf Anfrage des Raben Ralf hat die Senatskanzlei einige Auskünfte zu den Pilotprojekten erteilt, die folgenden Zitate stammen daraus, sofern nicht andere Quellen angegeben sind. Drei der insgesamt fünf in Berlin vorgesehenen Smart-City-Projekte sollen im ersten Quartal dieses Jahres beginnen. So soll der Hardenbergplatz am Bahnhof Zoo zum „Smarten Stadtplatz“ werden, indem er „smart und flexibel – das heißt event-, tages-, wetter-, und jahreszeitabhängig – für sämtliche Mobilitätsformen nutzbar gemacht“ wird. Dafür brauche es „neue Formen der Governance öffentlicher Flächen, zum Beispiel in Form innovativer, gemeinwohlorientierter Betreibermodelle“.

Bisher wurden öffentliche Plätze von der öffentlichen Verwaltung geplant, wobei sich seit Jahrzehnten Initiativen von BürgerInnen eingemischt haben, mehr oder weniger erfolgreich. Zunehmend entdeckten Politik und Verwaltung die Bedeutung der Partizipation in der Stadtentwicklung, und noch zu Zeiten von Senatorin Katrin Lompscher (Linke), in der vergangenen Legislaturperiode, wurden in einem mehrjährigen partizipativen Prozess „Leitlinien für Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Stadtentwicklung“ aufgestellt. Nun werden sie auf die Bezirke heruntergebrochen, die ebenfalls Leitlinien erstellen. Ob dies wirklich eine Demokratisierung bedeutet? Oder dient es eher der Befriedung im Sinne einer „Mitmachfalle“ (siehe unten)?

Die Planung am Hardenbergplatz sieht so aus: „Mit Hilfe einer digitalen Verhandlungsplattform sollen Nutzungsbedarfe abgestimmt werden, um dort die konkreten Mobilitätsbedarfe zu berücksichtigen, aber auch die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Im Fokus des Projekts stehen vier Bausteine: Umsetzung eines anbieteroffenen Mobi-Hubs als Use-Case, Entwicklung eines Betreibermodells, Prototyping einer Plattform für die Betreibenden, Skalierung des Use-Case inkl. Verbesserung der Aufenthaltsqualität auf dem Platz.“ So wird wohl in den digitalen Welten gesprochen, aber ob das „alle“ verstehen, die sich angeblich beteiligen sollen?

Klar ist jedoch: Es geht um Digitalisierung. Ob an der digitalen Plattform nur diejenigen werden teilhaben können, die zumindest ein Smartphone mit den notwendigen Apps haben, um sich einzuloggen, oder ob auch eine Zugangsmöglichkeit ohne eigene Technik möglich ist? Wahrscheinlich werden die dort vernetzten Angebote – vielleicht Leihfahrräder? Oder Parkplätze? – auch nicht kostenlos nutzbar sein. Aber all das soll ja noch gemeinsam mit „allen“ ausgearbeitet werden.

„Governance öffentlicher Flächen“ und „Betreibermodell“ klingt nach neuen Geschäftsmodellen, vermutlich in öffentlich-privaten Partnerschaften, so wie die gesamte Smart-City-Strategie und das 2013 gegründete Netzwerk Smart City Berlin auf einer Mischung öffentlicher, privatwirtschaftlicher und gemeinnütziger Akteure beruhen. Vielleicht verbessert sich ja wenigstens die Aufenthaltsqualität am Hardenbergplatz für alle, also auch für diejenigen, die nicht digital unterwegs sind. Denn bisher lädt der Ort nicht zum Verweilen ein.

„Smart Water“ soll Klimafolgen abmildern

Das zweite Pilotprojekt soll „eine agile Planung von Regenwasserbewirtschaftung und somit eine klimagerechte Stadtplanung ermöglichen sowie Bewohnerinnen und Bewohner für die Potenziale von Regenwasserbewirtschaftung durch Visualisierung sensibilisieren“. An welchen Orten in der Stadt und auf welche Weise diese Visualisierung geschieht, das soll „sich unter anderem aus der Beteiligung mit Bürgerinnen und Bürgern ergeben“.

Dass eine klimagerechte Stadtplanung notwendig ist, leuchtet unmittelbar ein. Der Begriff „agil“ ist in den letzten Jahren zunehmend in Mode gekommen. Laut Duden bedeutet er „von großer Beweglichkeit zeugend; regsam und wendig“. Eine agile Planung soll auf sich verändernde Bedingungen schnell reagieren können, indem sie sich „iterativ“, das heißt stufenweise mit Rückkopplungsschleifen, immer wieder neu ausrichtet.

Digitalisierung erzeugt ungeheure Datenmengen. Was passiert damit? (Bild/​Ausschnitt: Gerd Altmann/​Pixabay)

Weil Extremwettereignisse „ein Schadens- und Gefahrenpotential bergen“, soll das Projekt, das sich „Smart Water – Modellierung und Governance“ nennt, „neben der Vorsorge auch eine gezielte Risikokommunikation für die Verwaltung“ entwerfen. Das Ergebnis soll „eine Verknüpfung von existierenden und neu generierten urbanen Daten mit Modellen über eine Datenplattform und deren Visualisierung für Stadtplanung und Bürgerinnen und Bürger“ sein.

Ja, in einer Smart City werden riesige Datenmengen erhoben, was mit vielfältigen Problemen verbunden ist: Verbrauch von Bodenschätzen und Energie, zunehmende Überwachung im öffentlichen Raum (Rabe Ralf Oktober 2019, S. 16), flächendeckender Einsatz des neuen Mobilfunkstandards 5G, der im Verdacht steht, durch eine kontinuierliche Strahlenbelastung gesundheitliche Schädigungen zu verursachen (Juni 2020, S. 18), und nicht zuletzt ein noch größerer Verlust des Vertrauens in die eigenen Sinneswahrnehmungen und stattdessen eine noch stärkere Orientierung an Messwerten und anderen Daten (Juni 2021, S. 16). Der Begriff „Modellierung“ hat mit Corona große Verbreitung erfahren. Auf Grundlage von Datenbeständen wird versucht, Aussagen über zukünftige Entwicklungen und Ereignisse zu machen. Das ist grundsätzlich sicher sinnvoll, allerdings ist die Aussagekraft von der Menge und Qualität der zugrundeliegenden Daten abhängig, und von den Fragestellungen. Wie bei Statistiken spielen auch bei Modellen Interessen eine Rolle, nicht nur bei ihrer Erstellung, sondern auch bei der Auswertung und Interpretation.

Es mag sinnvoll sein, die Möglichkeiten der Digitalisierung in den genannten Bereichen von Klima und Kommunikation zu nutzen. Aber sind nicht andere, ursächlichere Fragen viel bedeutender? Nichts gegen eine gute Krisenkommunikation – gerade angesichts der mit Panikmache und Zahlenverwirrung so überhaupt nicht vorbildlichen Corona-Kommunikation (Rabe Ralf April 2020, S. 12, Juni 2020, S. 18). Aber wäre es nicht wichtiger, Krisen zu verhindern oder sie zumindest nicht noch weiter voranzutreiben? Warum wird beispielsweise trotz Klimanotstand die Berliner Innenstadt immer noch verdichtet? Begründung des Smart-Water-Projekts: „Regenwasserbewirtschaftung im Allgemeinen und grüne und blaue Infrastrukturen im Speziellen können Klimafolgen deutlich abmildern und zusätzliche Qualitäten in die Stadt bringen.“ Grüne Infrastrukturen, das sind die Bäume, Sträucher und Wiesen, das Berliner Stadtgrün, das viel zu oft dem Diktat des „Bauen, bauen, bauen“ (Rabe Ralf Dezember 2018, S. 4) zum Opfer fällt. Wie beispielsweise bei der Zerstörung einer grünen Hinterhofoase in der Friedrichshainer Pintschstraße durch die landeseigene WBM am 10. Januar, gegen die verzweifelten Proteste der AnwohnerInnen (siehe S. 4). Weiß da die eine Hand nicht, was die andere tut? Oder hat das System, und die Reden von Klimaschutz und Bürgerbeteiligung sind nur schöne Worte?

Eine smarte Stadtverwaltung

Im dritten Pilotprojekt „Data Governance & Datengetriebene Verwaltung“ geht es um die Messung der Luftqualität. Allerdings „nicht vornehmlich um die konkreten Messergebnisse, sondern um das Entwickeln und Testen von Prozessen der Zusammenarbeit und Interaktion“. Das Projekt geht also weit über den konkreten Anwendungsfall, den „Use Case“ Luftgüte, hinaus. „Im Ergebnis wird ein Leitfaden für Data Governance in der datengetriebenen Daseinsvorsorge generiert, der auf andere Kommunen und Projekte übertragbar ist.“

Der Umgang mit den Infrastrukturen der Daseinsvorsorge ist ein sehr sensibler und umkämpfter Bereich, bei privaten Investoren hochbegehrt, denn auf die Versorgung mit Strom und Wasser, auf Mobilität und Müllabfuhr sind alle angewiesen. Darum setzt sich beispielsweise der Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) seit vielen Jahren dafür ein, dass solche öffentlichen Güter nicht privatisiert werden. Mit dem Bündnis Klinikrettung kämpft GiB gegen die Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung und die damit einhergehenden Krankenhausschließungen, deren Folgen in der Coronakrise besonders deutlich geworden sind.

Das Smart-City-Pilotprojekt „zielt auf einen optimalen Ausgleich widerstreitender Interessen an der Erhebung und Wiederverwendung von Daten und koordiniert die technologische, die organisatorische sowie die rechtliche bzw. normative Dimension“. Noch deutlicher ist es in der Kurzbeschreibung auf der Smart-City-Website beschrieben: „Zusammen mit dem Einstein Center for Digital Future und der Siemens AG Data-Governance entwickelt das Modellprojekt Smart City exemplarisch Konzepte für Pilotareale, die kommunale und privatwirtschaftliche Interessen und Prozesse so integrieren, dass gemeinwohlorientiert ausbalanciert wird.“

Die Mitmachfalle

Das ist die Mitmachfalle, der vermeintliche Interessenausgleich zum Wohle aller. Der Berliner Soziologe Thomas Wagner, der 2013 das Buch „Die Mitmachfalle: Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument“ veröffentlicht hat, schrieb im gleichen Jahr in einem noch immer lesenswerten Meinungsbeitrag in der Zeitschrift Graswurzelrevolution: „Die Forderungen nach mehr Demokratie werden von oben aufgegriffen, in Unternehmensstrategien und in den Staatsapparat eingebaut, um auf diese Weise ein Bollwerk gegen jede wirkliche demokratische Veränderung zu schaffen.“ (GWR 375, Januar 2013). Partizipation eröffne neue Geschäftsmodelle für Moderations- und Mediationsanbieter im „Befriedungsbusiness“, so Wagner. Als Beispiel nannte er schon damals die Ifok GmbH, die schon 1998 bei der Schaffung von Akzeptanz für die Erweiterung des Frankfurter Flughafens mitgewirkt habe.

Die Ifok GmbH – seit 2017 im Eigentum des US-amerikanischen Consultingunternehmens Cadmus Company – hat im vergangenen Jahr für das Bundesbauministerium die Broschüre „Datenstrategien für die gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung“ erstellt, mit der die 2017 veröffentlichte „Smart City Charta“ konkretisiert werden soll. In der Langfassung dieser Charta war als Praxisbeispiel die „Post-voting society“ aufgeführt, in der „wir“ (wer immer das sei) aufgrund verhaltensbezogener Daten genau wüssten, „was Leute tun und möchten“, weswegen es „weniger Bedarf an Wahlen, Mehrheitsfindungen oder Abstimmungen“ gäbe (Rabe Ralf Oktober 2019, S. 16). Die „Smart City Charta“ ist Grundlage aller vom Bauministerium geförderten Projekte. Die 2021 herausgegebene Neuauflage der Charta wurde von der Ifok GmbH gestaltet.

Wie geht es weiter in Berlin?

Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag für Berlin steht: „Digitalisierung ist Schwerpunkt dieser Legislatur.“ Ebenfalls wurde vereinbart: „Das kostenlose, frei zugängliche WLAN in Berlin wird ausgebaut.“ Klingt gut, allerdings ist seit Jahresanfang das vom Senat zur Verfügung gestellte freie WLAN bis auf Weiteres abgeschaltet. Eine Karte freier WLAN-Hotspots zeigt, welche Zugänge zum Internet im öffentlichen Raum noch verfügbar sind, teils mit privatwirtschaftlichen Einschränkungen.

Für alle Fragen der Digitalisierung hat die Koalition die Stelle eines „Chief Digital Officer“ eingerichtet. Ernannt wurde Ralf Kleindiek, ein Jurist, der politischer Beamter in verschiedenen Positionen war, dann jedoch in die Privatwirtschaft wechselte, als Leiter der Arbeitsgruppe „Öffentlicher Sektor“ der Boston Consulting Group. Seit Dezember 2021 ist er wieder im öffentlichen Dienst als Staatssekretär für Digitales und Verwaltungsmodernisierung in der Senatsverwaltung für Inneres. Die Organisation Lobbycontrol befasst sich regelmäßig mit solchen Seitenwechseln.

Auch die beiden weiteren Berliner Pilotprojekte „Smarte Partizipation/​Bürgerhaushalt“ und „Daten in Alltag und Krise – Kiezbox 2.0“ sollen noch in diesem Jahr beginnen. Der Smart-City-Beteiligungsprozess wird auf dem Stadtportal berlin.de abgebildet. Eine öffentliche Online-Beteiligung endete Anfang des Jahres. Es ist sicher nicht grundsätzlich falsch, solche Partizipationsangebote wahrzunehmen, denn die Beteiligung von BürgerInnen an der Stadtpolitik ist wichtig. Allerdings ist kritische Wachsamkeit geboten.

Elisabeth Voß

Weitere Informationen: www.smart-city-berlin.de
Mitmachen: mein.berlin.de/projekte/smart-city-strategie-berlin

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