Spreewald braucht Wildwald

Aus DER RABE RALF August/September 2023, Seite 10

Im Biosphärenreservat Spreewald kann nicht alles so bleiben, wie es ist

Schnitt: Wolfgang Heger

Unter der Überschrift „Spreewald statt Wildwald“ hat sich in diesem Jahr eine Bürgerbewegung in Brandenburg gebildet. Die Abgeordneten der „Freien Wähler“ haben sich mit diesem Anliegen angefreundet und im Landtag dagegen protestiert, dass weitere Flächen im Spreewald zu Totalreservaten, sogenannten Wildnisgebieten, erklärt werden. Der Spreewald ist seit 1990 ein Biosphärenreservat, drei Prozent davon sind heute Totalreservate.

Freie Wähler für ein „Weiter so“

In der Presse wurden die Standpunkte der besorgten Bürger zusammengefasst. Beim Lesen beschlich mich zunehmend der Verdacht, dass es sich um Bürger handelt, die den Begriff Biosphärenreservat als Aushängeschild benutzen, um alles beim Alten zu lassen. Sie sind der Meinung, dass der jetzige Zustand schon gut und richtig sei und „die da oben“ mit den angeblich notwendigen Veränderungen nur sich selbst bereichern oder einem Hirngespinst hinterherlaufen wollen.

Hier meine Zusammenfassung aus einem Zeitungsartikel (nd/Die Woche, 16. April 2023): Die Landesregierung zerstöre die Naturlandschaft und grenze Menschen sowie ihre Aktivitäten aus. Durch die Eingriffe in Richtung Urwald fühlten sich viele gegängelt. Es sollten endlich auch mal im Westen Deutschlands Flächen umgewandelt werden statt immer nur im Osten. Gepflanzte Erlenhochwälder seien biologisch vielfältiger als Wildnis, mit ihrem zu befürchtenden Verlust sei eine Verbuschung mit entsprechender Brandgefahr vorprogrammiert. Totalreservate seien eher ein Hirngespinst von Städtern mit Naturvorstellungen aus Heidi-Filmen. Kahnfahrt, Tourismus, Jagd und Fischerei würden dadurch zum Erliegen gebracht. Die Stilllegung forstlich schwer zu bewirtschaftender Flächen sei ein Vorwand. Statt der versprochenen höheren Artenvielfalt werde eher eine Verarmung eintreten. Die geplanten Veränderungen würden  den Wasserhaushalt stören oder auch zur Verschlammung der Fließe führen.

Leider kommen bei den Freien Wählern einige gut bekannte Probleme gar nicht vor: der Klimawandel, die Sulfatbelastung aus Tagebauen und kommendem Wassermangel sowie die gewaltigen Fehler aus der DDR-Zeit. Dafür argumentieren sie polemisch und mit Halbwahrheiten.

Ausgleich zwischen Mensch und Natur

Das Biosphärenreservat Spreewald ist eine vom Menschen über Jahrhunderte gestaltete einmalige Kulturlandschaft, in der modellhaft – zusammen mit den Menschen – eine in die Zukunft gerichtete („nachhaltige“) Entwicklung in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht verwirklicht wird. Es geht dabei um die Zusammenführung aller Interessengruppen, es geht um Schutz, Entwicklung und Bildungscharakter dieser Landschaft.

Biosphärenreservate werden allgemein in vier Bereiche (Kategorien) eingeteilt:

  1. Kernzone mit vorrangigem Naturschutz (Totalreservate).
  2. Pflegezone mit überwiegendem Landschaftsschutz und traditioneller Nutzung.
  3. Entwicklungszone, in der ein Ausgleich zwischen Natur und dem berechtigten Anspruch der Menschen auf Teilhabe am Wohlstand durch eine schonende Wirtschaftsweise stattfinden soll („sozioökonomisch orientierte Entwicklung“).
  4. Regenerierungszone, in der Fehler einer früheren falschen Wirtschaftsweise korrigiert werden sollen.

… auch im Spreewald

Für den Spreewald bedeutet das:

  1. Kernzone (drei Prozent der Fläche): Schutz der einmaligen naturnahen Niederungslandschaft (ohne Forsten) mit Niederungswäldern, artenreichen Feuchtwiesen und über 1500 Kilometern künstlichen und natürlichen Wasserläufen. Weitgehend natürliche Dynamik unter Berücksichtigung des abnehmenden Wasserangebots.
  2. Pflegezone (19 Prozent): Pflege der charakteristischen Ökosysteme, zum Teil mit hohem Grundwasserstand und notwendiger zeitweiliger Wasserüberstauung, Biotop- und Artenschutz, Beibehaltung der traditionellen menschlichen Nutzung.
  3. Entwicklungszone (78 Prozent): Erhalt und Förderung von traditionellen Bewirtschaftungsweisen und kleinflächigem Nutzungsmosaik, Biotopverbund und Förderung von ökologischer Landnutzung und harmonischer Kulturlandschaft, Förderung charakteristischer Produkte. Ein naturverträglicher Tourismus soll zugleich sozial verträglicher werden und den dort lebenden Menschen dienen, also nicht Hotelketten oder anderen großen Unternehmen.
  4. Regenerierungszone (Teil der Entwicklungszone): Rückbau der durch DDR-Melioration degradierten Moore, weniger Entwässerung. Weniger großflächige Bewirtschaftung, mehr extensive und ökologische Landwirtschaft. Die dominierenden Erlenforste sollen durch standorttypische Gehölze wie Eschen, Ulmen oder Stieleichen ergänzt werden.

Immer weniger Wasser

Die Niederung der Spree ist am Ende der letzten Eiszeit entstanden. Durch das tauende Eis flossen gewaltige Wassermassen durch ein Urstromtal nach Westen. Mit zurückgehendem Wasser entwickelte sich in der fast ebenen Fläche eine Naturlandschaft mit Überflutungsmooren, dichten Erlensümpfen, Auenwäldern und einem Fließwasserlabyrinth. Dazwischen lagen sandige „Kaupen“, auf denen die ersten Siedlungen entstanden.

In den letzten 500 Jahren wurden die unzähligen Rinnsale begradigt, Moorflächen entwässert und Erlen großflächig angepflanzt. Da immer wieder Hochwasser das Gebiet plagte, wurden um den Oberspreewald Umflutkanäle im Norden und Süden gezogen. Sie entziehen heute der Landschaft das langsam knapper werdende Nass. Noch produzieren die östlich gelegenen Tagebaue durch das Hochpumpen von Grundwasser einen Wasserzuschuss, der aber nach dem Ende der Braunkohle versiegen wird. Dann wird das Wasser nicht mehr für alle Fließe reichen.

Die Landesregierung ist gezwungen, sich Gedanken zu machen, welche Fließe in Zukunft weniger Wasser bekommen, auf welchen Flächen aus ökologischen Gründen die Entwässerung der ehemaligen Moore eingestellt wird, welche Flächen man aus wirtschaftlichen und Klimagründen sich zu Totalreservaten entwickeln lässt.

Noch sehr viel zu tun

Seit mehreren Jahren war ich jeweils im April mit dem Rad im Spreewald unterwegs und habe die Gegend zwischen Lehde, Liepe und Burg beobachtet. Es fiel auf, dass keine Wiesenvögel wie Kiebitz, Schafstelze oder Feldlerche anzutreffen waren. Viele Wiesen-, Wasser- und Moorpflanzen sind selten geworden oder sogar vom Aussterben bedroht. Kaum einem Fischreiher begegneten wir bei den Kahnfahrten – der Fischbestand ist stark zurückgegangen. Kraniche und Störche sind selten geworden, der Schwarzstorch soll ganz verschwunden sein (Rabe Ralf Dezember 2020, S. 14). Biber und Kormoran werden als Feinde verstanden.

Die Wiesen am verwilderten Hochwald werden schon ab dem Frühjahr intensiv gemäht, sodass die Bodenbrüter ihren Nachwuchs verlieren. Die Art der Weidehaltung ist wenig ökologisch. Überall lagern Heuballen als Zusatzfutter, der Tierbestand ist sehr hoch, die Grasnarbe ganz zertrampelt. An manchen Gräben werden die schönen Baum- und Strauchreihen gekappt und kaum welche nachgepflanzt. Grünland wird umgebrochen für Getreideanbau, statt Gemüseproduktion zu fördern. Die Radwege sind zum Teil in sehr schlechtem Zustand. Durch schwere Technik sind Wege zerfahren.

Aus solchen Beobachtungen und dem Pflege- und Entwicklungsplan erkennt man, dass noch sehr viel zu tun ist, um dem Grundprinzip gerecht zu werden: „Ausgleich zwischen Natur und dem berechtigten Anspruch des Menschen auf Teilhabe am Wohlstand“. Falsch ist meiner Meinung nach der Ansatz der Freien Wähler, alles beim Alten zu lassen und Misstrauen gegen Wissenschaft und Politik zu säen. Ich bin überzeugt, dass die Landesregierung sich den Grundprinzipien des Biosphärenreservats verpflichtet fühlt, allen voran der Umweltminister, und gewillt ist, notwendige Verbesserungen voranzutreiben.

Wolfgang Heger

Weitere Informationen: www.spreewald-biosphaerenreservat.de

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