Staude und Einzeller des Jahres

Absolute Hingucker

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2019, S. 9

Disteln sind Staude des Jahres 2019

Der Alpen-Mannstreu findet im Steppen-Salbei den perfekten Partner für starke Farbkontraste. (Foto: Markus Hirschler/GMH)

Ein grüner Mediendienst schrieb anlässlich der Kür der Disteln zur Staude des Jahres, „die Distel“ sei ein klassischer Fall von: „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ Treffend formuliert, denn bei den Disteln handelt es sich nicht um eine einzelne Pflanzengattung, sondern um eine ganze Gruppe von Gattungen. Ein Merkmal allerdings eint alle diese Vertreter, denn Disteln besitzen Dornen. „Mal mehr, mal weniger, mal sind nur die Blattränder mit piksenden Fortsätzen bewehrt, mal auch die Stängel und Blütenkelche. In jedem Fall wissen sich die meisten Disteln ganz gut vor potenziellen Fressfeinden zu schützen“, fasst Georg Uebelhart, Geschäftsführer der Jelitto Staudensamen GmbH im niedersächsischen Schwarmstedt, zusammen.

Das Wort „Distel“ soll übrigens auf indogermanische Ursprünge zurückgehen und so viel wie „spitz“ oder „stechen“ bedeuten. In der Botanik ist Distel ein Namensbestandteil bei verschiedenen Arten und Gattungen der Carduoideae, einer Unterfamilie der Korbblütler.

Dazu zählen etwa Ringdisteln (Carduus), Eberwurzen (Carlina), Färberdisteln (Carthamus), auch Saflor genannt, Kugeldisteln (Echinops) und Mariendisteln (Silybum), um nur einige zu nennen. Wegen ihres ähnlichen Äußeren werden auch einige Karden (Dipsacus) aus der Familie der Geißblattgewächse sowie der Mannstreu (Eryngium), die artenreichste Gattung der Familie der Doldenblütler, als Disteln angesprochen. Auch die als Blütengemüse verzehrte Artischocke (Cynara cardunculus) wird gelegentlich mit zu den Disteln gezählt – darauf verweist einer ihrer Trivialnamen: Welschdistel.

Anspruchslose Kosmopoliten

Bei den meisten Disteln oder als solche angesehenen Vertretern handelt es sich um ein- bis zweijährige, selten ausdauernde, krautige Pflanzen, die Wuchshöhen von 30 bis 200, selten bis zu 400 Zentimetern erreichen. Sie sind mit Stacheln oder Dornen bewehrt und mehr oder weniger wollig behaart. Die aufrechten Stängel sind einfach oder verzweigt, manchmal kantig wie bei Echinops und oft stachelig-geflügelt. Die Laubblätter sind meist wechselständig angeordnet. Einige Disteln bilden als Überdauerungsorgane Rhizome aus. Als seltene Eigenschaft kann das Vorhandensein von Milchsaft in den Pflanzenteilen wie zum Beispiel bei der Gänsedistel gelten.

Disteln kommen fast überall vor und stellen keine besonderen Ansprüche an Böden und Standorte. „Disteln sind Kosmopoliten, man findet sie vom Sumpf bis zur Steppe nahezu auf der ganzen Welt“, erklärt Distelfan Uebelhart, der auf seinen Reisen zahlreiche Arten schon am Naturstandort gesehen hat. Sie tolerieren Halbschatten, bevorzugen aber einen Platz in der vollen Sonne. Manche Arten mögen einen eher windstillen Standort, wieder andere lehnen sich gerne an. Der Boden sollte möglichst durchlässig mit gutem Wasserabzug sein. Staunässe mögen Disteln in der Regel nicht. Arten wie die Gold- und die Silberdistel, die zu den Eberwurzen gehören, wachsen in der Natur auf eher mageren Böden. Sie gedeihen aber auch in normaler Gartenerde. Obendrein benötigen Disteln keine spezielle Pflege. In kalten Regionen ist eine Winterabdeckung mit Reisig ratsam.

Ökologisch wertvoll

Allen Disteln gemein sind die Blütezeit im Hochsommer und die optisch attraktiven Fruchtstände. Die Pflanzen produzieren Unmengen an Nektar und Pollen und locken damit unzählige Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten an. Außerdem dienen ihre Blätter vielen Schmetterlingsraupen als Futter – denen des Distelfalters zum Beispiel. Der Distelfink oder Stieglitz und viele andere Vögel, aber auch Kleinsäuger lieben dagegen die nahrhaften Samen, die sie geschickt aus den starren Hüllen picken oder vom Erdboden aufsammeln. „Disteln sind für Naturliebhaber ohnehin ein Muss im Garten – auch die früher als Unkraut verpönten, aber ebenfalls sehr hübschen Wildarten“, ist Uebelhart überzeugt.

Viele Distelarten besitzen darüber hinaus wertvolle Inhaltsstoffe. Die Mariendistel (Silybum marianum) zum Beispiel war schon in der Antike aufgrund ihrer entgiftenden Wirkung als Heilpflanze bekannt. Die attraktive zweijährige Art mit den weiß geaderten Blättern und den magentafarbenen Blüten wird bis heute gezielt als Arzneipflanze angebaut und geerntet, auch hierzulande. Und aus den Blüten der Färberdistel (Carthamus tinctorius), die jahrhundertelang in Klostergärten kultiviert und später auf freiem Feld angebaut wurde, lassen sich rote und gelbe Farbstoffe gewinnen. Ihre Samen wiederum dienen bis heute der Gewinnung des wertvollen Färberdistelöls.

Bestechende Schönheiten

Last but not least betören Disteln mit einer außergewöhnlichen Optik. Mit ihren silbrigen bis stahlblauen Blättern und den kugeligen oder zylinderförmigen Blütenköpfen sind es vor allem wieder Mannstreu-Arten, auch als Edeldisteln bekannt, und Kugeldisteln, die das Auge reizen. Kein Wunder also, dass sich diverse Distelarten seit jeher in Bauerngärten und neuerdings auch in Freizeitgärten finden. Zu den für den Staudengarten wichtigsten Arten zählen der Alpen-, der Spanische und der Riesen-Mannstreu. Eine nette Geschichte rankt sich um Letzteren, der im Englischen „Miss Willmott’s Ghost“ genannt wird. Ellen Willmott (1858 bis 1934), eine bekannte englische Pflanzenzüchterin, verstreute den Riesen-Mannstreu-Samen angeblich heimlich in fremden Gärten.

Bei den bis zu 120 Zentimeter hohen Kugeldisteln sind es Sorten wie „Veitch’s Blue“, „Blue Glow“ und „Taplow Blue“, die ab Juli reichlich Blütenkugeln hervorbringen und somit für eine atemberaubende Fernwirkung sorgen. Gesellt sich dann noch die weiße „Arctic Glow“ mit rötlichen Stängeln dazu, ist das Bild schlichtweg unschlagbar. Die Samenstände bewahren ihre Schönheit bis weit in den Herbst.

Zudem sind Disteln wie gemacht für lange haltbare Trockensträuße. Hierfür sollten Mannstreu-Arten beim Schnitt voll erblüht sein, bei den Kugeldisteln sollten sich die ersten Röhrenblüten geöffnet haben.

Fehlt etwas?

Die Distel ist ein verbreitetes Motiv in der Wappenkunde (Heraldik). Neben der Rose und der Lilie gehört sie zu den bekanntesten Wappenblumen. So gelten Disteln als Nationalblumen Schottlands, sie finden sich sowohl in dessen Wappen als auch beim Schottischen Distelorden, einem 1687 gestifteten Ritterorden. Zudem benennen sich viele schottische Sportvereine nach der Distel; bekanntester Vertreter ist Partick Thistle, ein Glasgower Fußballverein. Die Distel ziert auch das Emblem der Encyclopædia Britannica sowie das Stadtwappen der französischen Stadt Nancy.

Bevorzugtes Motiv ist übrigens die Eselsdistel in der Seitenansicht. Auch auf Briefmarken vieler Länder sind Disteln verewigt. Bei der Deutschen Post ziert sie den 2,50-Euro-Wert der Dauerserie „Blumen“.

Jörg Parsiegla

Weitere Informationen: www.bund-deutscher-staudengaertner.de

Das mögen Disteln:

  • volle Sonne und einen durchlässigen, trockenen bis frischen Boden – dabei werden sommerliche Hitze und längere Trockenphasen durchaus toleriert
  • Feuchtigkeit im Frühjahr, damit sie ausdauernder wachsen
  • Pflanzzeiten im Frühjahr, etwa von Ende März bis Mitte April, und im Herbst, etwa Anfang September bis Mitte Oktober
  • bei Kugeldisteln: einen Rückschnitt nach der Blüte, fördert zweiten Flor

Das mögen sie nicht:

  • schwere, staunasse Standorte
  • schattige oder windige Plätze
  • saure Böden
  • starke Witterungswechsel im Winter, eine Reisigdecke hilft
  • das Verpflanzen fleischiger Wurzeln, deshalb zweijährige Arten besser im Spätsommer an Ort und Stelle säen oder im Frühjahr getopfte Pflanzen vom Spezialisten holen

Ein Einzeller, der selten allein is(s)t

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2019, S. 10

Nuclearia ist der Einzeller des Jahres 2019

So zerlegt Nuclearia einen Cyanobakterien-Faden. Grafik: DGP

Mit bloßem Auge ist der kugelige oder amöbenartige Einzeller Nuclearia nicht zu sehen, nur zehn bis 30 tausendstel Millimeter misst er im „Durchmesser“. Unter dem Mikroskop jedoch treten sein Zellkern (Nucleus) und die Kernkörperchen (Nucleolus) deutlich hervor – daher der Name. Die Deutsche Gesellschaft für Protozoologie hat Nuclearia nun zum Einzeller des Jahres 2019 gekürt.

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Nuclearia kommt weltweit im Süßwasser vor, in Teichen und Seen. Der Einzeller ist von einer schützenden Schleimhülle umgeben und besitzt feine Scheinfüßchen, sogenannte Pseudopodien. Die Besonderheit bei Nuclearia ist die sehr spezielle symbiotische Beziehung, die das Wesen mit anderen Bakterien eingeht. Diese ernähren sich von seiner Schleimschicht und helfen ihm im Gegenzug, giftige Blaualgen als Nahrungsquelle zu nutzen. Denn die Bakterien bauen das Gift der Blaualgen ab, so dass sich der Einzeller die Algen problemlos einverleiben kann. Seine Schleimhülle vermag er offenbar kontinuierlich neu zu bilden. Nuclearia hat also gleich zwei erstaunliche Eigenschaften. Er geht als primitiver Einzeller Symbiosen ein. Und die Symbiose macht es ihm möglich, eigentlich giftige Blaualgen zu vertilgen.

Nuclearia macht kurzen Prozess

Damit gehört Nuclearia zu den wenigen Spezialisten, die giftige Cyanobakterien, sogenannte Blaualgen, fressen können. Interessant ist auch, wie der Einzeller dabei vorgeht – bilden Blaualgen doch fast ausschließlich fadenförmige Bakterienketten, die oft viel zu lang und „unhandlich“ zum Fressen sind. Während kurze Fäden (Filamente) von dem Einzeller umflossen und direkt aufgenommen werden, hilft sich Nuclearia bei längeren Fäden, indem sie diese so weit wie möglich in die Zelle transportiert und dann mechanisch einfach abbricht, um sie stückweise aufnehmen zu können. Als dritte Strategie nutzt Nuclearia ein stärker ausgebildetes Scheinfüßchen, um den Algenfaden an einem Ende festzuhalten und anschließend eine Cyanobakterienzelle nach der anderen – gewissermaßen häppchenweise – „abzubeißen“. Dadurch kann dieser Einzeller Filamente fressen, die ein Vielfaches der eigenen Zellgröße haben.

Angesichts der sich häufenden Blaualgen-Invasionen im Zusammenhang mit heißen Sommern als Folge der Erderwärmung könnte Nuclearia möglicherweise ein Mittel sein, der Plage Herr zu werden. Der gewiefte Einzeller des Jahres 2019 gehört übrigens zu einer Gattung, die den Pilzen (Fungi) nahesteht. Die aktuelle Forschung beschäftigt sich vor allem mit dem Isolieren und Identifizieren der symbiotischen Bakterien in Nuclearias Hülle.

Jörg Parsiegla

Weitere Informationen: www.protozoologie.de


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