Zu viel des Guten?

Aus DER RABE RALF Februar/März 2018, Seite 3

Warum zu viel Stickstoff der Umwelt schadet und was dagegen zu tun ist

Der Klimawandel und das damit in Verbindung stehende Kohlendioxid sind in aller Munde. Weit weniger Beachtung findet ein weiterer Stoff, der auf den ersten Blick kaum als Gefährdung für die Umwelt wahrgenommen wird: Stickstoff.

Schließlich ist Stickstoff ist ein wichtiger Grundbaustein der Natur. Er ist als Nährstoff für alle Lebewesen unentbehrlich und findet sich in Luft, Wasser und Boden sowie in Pflanzen und Tieren. Als Dünger steigert er die Erträge in der Landwirtschaft und im Hausgarten. Auch unsere Atemluft besteht zum überwiegenden Teil aus Stickstoff. Kaum zu glauben, dass dieses wichtige und überall verbreitete chemische Element auch an der Entstehung beträchtlicher Umweltprobleme beteiligt ist.

Stickstoff kommt in der Natur in verschiedenen Verbindungen vor und verhält sich je nach Verbindung unterschiedlich. Zwar bleibt der Gesamtstickstoffvorrat auf der Erde immer gleich, doch durch menschliche Eingriffe ändern sich die Formen, Eintragspfade und Konzentrationen des Stickstoffs in der Umwelt.

Während elementarer Luftstickstoff sehr reaktionsträge ist, sind die oxidierten Verbindungen (zum Beispiel Stickstoffoxide oder Lachgas) genauso wie die reduzierten Verbindungen (zum Beispiel Ammoniak) sehr reaktionsfreudig. Sie lösen in Ökosystemen unter Umständen vielfältige chemische Prozesse aus – meist ungewollt und teils auch unvorhersehbar. Dieser sogenannte reaktive Stickstoff wird mehr und mehr durch menschliche Aktivitäten freigesetzt. Während anfangs vor allem die Verbrennung von Holz, Torf und Kohle für eine stärkere Freisetzung reaktiver Stickstoffverbindungen sorgte, wurde mit dem sogenannten Haber-Bosch-Verfahren im Jahr 1910 erstmals die Umwandlung von elementarem Luftstickstoff in Ammoniak möglich – unter hohem Energieaufwand. Damit war die Grundlage für die Produktion großer Mengen synthetischen Stickstoffdüngers geschaffen.

Beim Ausbringen von Gülle wird viel Stickstoff freigesetzt. Foto: Myriam

Stickstoff in Böden, Wäldern, Seen, Meeren

Der Einsatz von Stickstoffdüngern hat die landwirtschaftliche Produktion seitdem enorm gesteigert. Etwa 30 bis 50 Prozent der landwirtschaftlichen Erträge sind mittlerweile auf die Nutzung mineralischer Dünger zurückzuführen, und die Ernährung von fast der halben Weltbevölkerung wird heute mithilfe künstlich erzeugter Stickstoff-Düngemittel abgesichert. Auch in Form organischen Düngers wie Gülle und Mist wird Stickstoff wieder in die Landschaft gebracht.

Jedoch wird nur ein Teil des eingesetzten Stickstoffs tatsächlich von den Pflanzen aufgenommen und durch die Ernte abgeführt. Ein großer Teil, der sogenannte Stickstoffüberschuss, entweicht ungenutzt in die Atmosphäre, wird in die Gewässer ausgewaschen oder verbleibt im Boden. Durch die intensive Zufuhr industrieller Düngemittel und die Konzentration der Viehhaltung in einzelnen Gebieten produziert die Landwirtschaft sehr hohe Stickstoffüberschüsse, die zu weitreichenden Umweltproblemen führen. Über die Luft gelangt reaktiver Stickstoff auch in weiter entfernte Gebiete und reichert sich dort in Böden und Vegetation an. Das Element, das natürlicherweise das Pflanzenwachstum und alle darauf aufbauenden Prozesse einst begrenzte, ist nun häufig im Überschuss vorhanden.

Der im Übermaß freigesetzte reaktive Stickstoff schafft erhebliche Probleme. Viele Auswirkungen der ungewollten Stickstoffdüngung sind auf den ersten Blick nicht zu erkennen. In den Wäldern kommt es beispielsweise zu einer Steigerung des Baumwachstums. Was erst einmal durchaus wünschenswert erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Problem: Es wird weniger festes, stützendes Holz produziert, die Nadeln und Blätter werden weicher, die Pflanzen sind anfälliger für Windbruch, Frost und Schädlinge.

Auch in seltenen und gefährdeten Ökosystemen wie Mooren und Trockenrasen macht sich die ungewollte Düngewirkung bemerkbar. Stickstoffliebende und konkurrenzstarke Grasarten, Brennnesseln oder Himbeeren überwuchern die standorttypische Vegetation und vernichten die darauf aufbauenden Nahrungsketten.

Die Auswirkungen von reaktivem Stickstoff auf Gewässer sind dagegen offensichtlich: riesige Algenteppiche in Ostsee und Nordsee, wegen Algen gesperrte Badeseen oder sogenannte „Totzonen“ in den Meeren – alles ermöglicht durch zu viel Stickstoff.

Nicht zuletzt trägt das hohe Verkehrsaufkommen in vielen Städten zu einer hohen Stickoxidbelastung bei – mit gravierenden Folgen für die menschliche Gesundheit.

Gemüse essen reduziert auch die Freisetzung reaktiver Stickstoffverbindungen. Foto: Ľuboš Houška

Energiewende spart auch Stickstoff

Das Problem ist also erkannt, doch wie können die Lösungen aussehen? Wir alle beeinflussen durch unser Verhalten und unseren Lebensstil den Eintrag von reaktivem Stickstoff in die Umwelt. Deshalb kann auch jede und jeder Einzelne einen Beitrag leisten, um die entstandenen Probleme zu mildern. Obendrein profitieren davon neben der Umwelt auch die Handelnden selbst.

Eine Verringerung des Verzehrs von tierischem Eiweiß, also Fleisch, Eiern und Milchprodukten, bewirkt eine geringere Freisetzung reaktiver Stickstoffverbindungen, da bei der Produktion tierischer Nahrungsmittel wesentlich mehr Nährstoffe und Energie aufgewendet werden müssen als für die Erzeugung der gleichen Menge pflanzlicher Nahrungsmittel.

Der Kauf von landwirtschaftlichen Produkten aus umweltgerechter Produktion hat nicht nur den Vorteil, dass diese kaum chemische Rückstände enthalten, die Herstellung von Bio-Produkten geschieht auch ohne Einsatz von Mineraldünger und ist daher meist mit geringeren Stickstoffeinträgen in die Umwelt verbunden als die Produktion herkömmlicher Lebensmittel. Frische Produkte aus der Region haben zudem den Vorteil, dass sie nicht energieaufwendig verarbeitet und über weite Strecken transportiert werden müssen.

Energiesparendes Handeln reduziert fast immer auch die Freisetzung reaktiver Stickstoffverbindungen. Besonders beim Heizen und beim Betrieb von Haushaltsgeräten lässt sich viel Energie einsparen. Ebenso trägt der Umstieg auf Strom aus erneuerbaren Quellen dazu bei, Stickstoffoxid-Emissionen zu vermeiden, die sonst zusammen mit Kohlendioxid zum Beispiel bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen. Gleiches gilt für den Straßenverkehr: Je weniger Treibstoff verbraucht wird, desto weniger reaktiver Stickstoff wird freigesetzt.

So kann jeder seinen ökologischen Fußabdruck reduzieren und hilft damit auf vielfältige Weise der Umwelt.

Josef Langanki

Der Autor leitet ein Stickstoff-Studienprojekt an der TU Berlin.
Die Umweltverbände haben mit der Wasserwirtschaft und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi eine Kampagne gegen Überdüngung gestartet:
www.guelleverschmutzung-stoppen.de


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