Tiere und Pflanzen gehören dazu

Aus DER RABE RALF April/Mai 2021, Seite 14

Wie die Berliner Bauordnung ökologischer wird

Meisenkasten: Tiere gehören in die Stadt. (Foto: Andreas Otto)

Beton, Ziegel, Stahl, Glas und viele andere Baustoffe sind die Basis für Wohn- und Gewerbegebäude sowie andere Bauwerke in der Stadt. Bei der Errichtung und dem Betrieb von Gebäuden wird enorm viel CO₂ freigesetzt und der Klimawandel beschleunigt. Darüber hinaus enthält jedes Gebäude Schadstoffe, die im Falle eines Abrisses oft nicht wieder getrennt werden können. Verbundmaterialien und Giftstoffe landen auf der Deponie oder müssen verbrannt werden. Überall wo gebaut wird, verschwindet ein Stück vorhandene Natur. Boden wird versiegelt, Bäume und Vegetation werden gerodet (Rabe Ralf Februar 2021, S. 3 und 6).

Die menschliche Zivilisation verursacht durch Bautätigkeit viele Schäden an der Natur, auch in Berlin. Denn hier wird ständig gebaut. Wir bauen Wohnungen, weil viele Menschen hierherziehen wollen, wir bauen Schulen und Kindergärten, weil Familien wachsen. Auch in die Sanierung von Gebäuden, Straßen, Brücken wird investiert. Die Stadt erlebt einen Bauboom wie lange nicht mehr. Damit dieser Bauboom den Lebensraum von Pflanzen und Tieren nicht einfach vernichtet, muss bei neuen Häusern und Quartieren deutlich mehr auf die Verträglichkeit mit der Natur geachtet werden.

Im Plan von Rot-Rot-Grün

Ein Weg dahin ist Aufklärung, ein zweiter sind Anreize und dann gibt es natürlich Vorschriften und Gesetze. Ein solches Gesetz ist die Bauordnung, die in Deutschland von den einzelnen Länderparlamenten beschlossen und gegebenenfalls novelliert wird. Damit die Praxis in den Ländern wenigstens ähnlich ist, gibt es eine Musterbauordnung, die von der Bauministerkonferenz regelmäßig diskutiert und modifiziert wird. Die Berliner Bauordnung lehnt sich weitgehend an die Musterbauordnung an.

Trotzdem hatte sich die Koalition aus SPD, Linkspartei und Bündnisgrünen beim Start im Jahr 2016 einige Punkte vorgenommen, die sie anders machen wollte. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Die Koalition wird die Berliner Bauordnung novellieren mit dem Ziel, eine stärkere Begrünung von Grundstücken und Gebäuden, mehr recyclingfähige Baustoffe, eine Vereinfachung der Genehmigung von Holzbauten, mehr Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden und im Wohnungsbau, eine Genehmigungspflicht von Abrissen, eine Abstandsfläche von 0,5 mal Gebäudehöhe … zu erreichen. Die Koalition wird eine Strategie ‚Asbestfreie Hauptstadt 2030‘ zur schrittweisen Asbestsanierung erarbeiten und umsetzen.“

Für die bündnisgrüne Fraktion stehen die ökologischen Themen besonders im Fokus. In einer kleinen Novelle im Jahr 2018 wurde in die Berliner Bauordnung bereits der Grundsatz der Recyclingfähigkeit von Bauprodukten aufgenommen und die Verwendung von konstruktiven Holzelementen bei Gebäuden bis 22 Meter Höhe deutlich erleichtert.

Große Novelle noch vor der Wahl

Seit zwei Jahren wird an einer größeren Novelle gearbeitet, die weitere ökologische Fragen behandelt. Der Referentenentwurf der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung liegt bereits vor. Nach der Beteiligung der Verbände – erstmals auch der Umweltverbände – erfolgt die Verabschiedung im Senat. Die parlamentarische Behandlung im Abgeordnetenhaus soll vor dem Sommer stattfinden, so dass die Beschlussfassung und Veröffentlichung in jedem Fall noch vor der Wahl im September gelingt.

Bei den beabsichtigten Änderungen sind mehrere für den Naturschutz wichtige Punkte hervorzuheben. Die Abstandsflächen zwischen Gebäuden sollen etwas größer werden. Das bringt mehr Licht, aber auch mehr Platz für die Vegetation. Eine generelle Begrünung der Grundstücksteile, die nicht bebaut werden, ist auch heute schon in Paragraf 8 der Bauordnung vorgeschrieben. Trotzdem geschieht das oft nicht oder es werden sogar „Schottergärten“ angelegt, die das Entstehen einer Vegetation weitgehend verhindern (Rabe Ralf April 2019, S. 18).

Dass diese Praxis nicht durch die Bezirksämter unterbunden wird, macht vor allem ein Umsetzungsproblem deutlich. Die Bauordnung setzt stark auf die Eigenverantwortung von Architektinnen und Bauherren. Kontrollen vor Ort sind selten und mangels Personal auch nicht flächendeckend durchführbar. Deshalb wollen die Grünen zur rechtlichen Klarstellung erreichen, dass Schottergärten gesetzlich verboten werden. Das kann in der Bauordnung geschehen oder nach dem Vorbild von Baden-Württemberg auch im Naturschutzgesetz. Denn jeder Quadratmeter Vegetationsfläche hilft.

Der neue Ökoparagraf

In der Bauordnung wird es künftig einen speziellen Ökoparagrafen geben. Arbeitstitel: „Nicht überbaute Flächen der bebauten Grundstücke, Grundstücksbegrünung, tierfreundliches Bauen.“ Um die Begrünung von Grundstücken und Gebäuden zum Regelfall zu machen, soll die Bauordnung eine Mindestfläche des Grundstücks sowie der geeigneten Dächer und einen Anteil der Fassade festsetzen, wo Pflanzen wachsen sollen. Dabei wird die Bauordnung den Rechtsrahmen setzen. Für die konkrete Umsetzung sind Handreichungen oder Ausführungsvorschriften notwendig.

Nistmöglichkeiten für Fledermäuse und Vögel sollen Standard werden. (Foto: Andreas Otto)

Neben der Pflanzenwelt werden auch die Tiere in den Blick genommen. Dabei geht es zum einen um Nistmöglichkeiten für Gebäudebrüter und Fledermäuse. Die genaue Anzahl der Nistmöglichkeiten, die pro Gebäude oder auf einer bestimmten Fassadenlänge anzubringen sind, muss noch im parlamentarischen Verfahren geklärt werden.

Besonders schwierig ist die Debatte um das Thema Vogelschlag an Glas (Rabe Ralf Juni 2017, S. 4). Dazu gibt es verschiedene Formulierungsvorschläge, bei denen es vor allem um das Vermeiden spiegelnder Glasflächen geht. Spätestens wenn der Gesetzentwurf im Abgeordnetenhaus vorliegt, lohnt sich dazu eine Gesprächsrunde mit den Naturschutzverbänden, um die beste Formulierung zu finden.

Letzter Punkt in dieser Reihe ist das Thema Licht. Außenbeleuchtung soll so beschaffen sein, dass die Auswirkungen auf die Tierwelt beachtet werden (Rabe Ralf Dezember 2020, S. 5). Auch das muss noch präziser formuliert werden.

Gesetze allein reichen nicht

Überhaupt ist es so, dass die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und für Umwelt mit den Ökothemen in der Bauordnung Neuland betreten. Eine Landesbauordnung befasst sich traditionell mit Gebäudesicherheit, besonders Statik, Brandschutz, Haustechnik. Dass die Tier- und Pflanzenwelt selbstverständlich dazugehört, müssen die Genehmigungsbehörden, die Architekten und viele Bauherrinnen erst lernen. Diese Bildungsaufgabe lässt sich nicht allein mit Gesetzen lösen. Dazu sind die Naturschutzverbände, die Schulen, die Medien und wir alle nötig. Aber wann, wenn nicht jetzt, muss es losgehen.

Andreas Otto

Der Autor ist Sprecher für Baupolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Lieblingsthema des 1962 in Templin geborenen Elektrikers und Diplomingenieurs ist das ökologische Bauen mit Holz und Stroh. Weitere Informationen: www.otto-direkt.de


Was noch dazugehört

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2021, Seite 13

Was die Berliner Grünen im Baubereich vorhaben, verdient Zuspruch – und einige Ergänzungen

Grafik: Wolfgang Heger

Wie die Berliner Bauordnung ökologischer wird – dazu hat der grüne Baupolitiker und Abgeordnete Andreas Otto in der letzten Ausgabe einen Artikel geschrieben: „Tiere und Pflanzen gehören dazu“ (siehe oben). Schon im März wurde der Beitrag auch im NABU-Mitgliedermagazin „Natur in Berlin“ veröffentlicht.

Herzlichen Dank für eine so ausführliche Beschreibung dessen, was die Berliner Bündnisgrünen in diesem Jahr und hoffentlich auch in den nächsten fünf Jahren zur Ökologie im Baubereich durchsetzen wollen.

Geplant sind größere Gebäudeabstände und eine stärkere Begrünung der Grundstücke, ohne Schottergärten; man will den Abriss von Gebäuden vermeiden, Neubauten recyclingfähig projektieren, den Holzbau weiterentwickeln. Nicht zuletzt geht es um tierfreundliches Bauen – Niststätten einrichten, Vogelschlag an Glas vermeiden, Lichtverschmutzung verhindern – sowie um Dach- und Fassadenbegrünung.

Fast ein Wahlprüfstein

Ich erlaube mir noch einige Punkte anzufügen, die ich unter anderem als Mitarbeiter des Pankower Naturschutzamtes vor etwa 20 Jahren den Baugenehmigungen als Empfehlung angefügt hatte und die heute verbindlich gemacht werden müssten. Zusammen mit den oben genannten Maßnahmen könnte daraus fast ein Wahlprüfstein für die Wahlen zum neuen Abgeordnetenhaus werden.

  • Vor mehr als zehn Jahren wurde die sehr hilfreiche Berliner Baumschutzverordnung durch FDP und CDU massiv beschnitten und zahnlos gemacht – „kastriert“, sagten wir Naturschützer damals. Die gestrichenen Regelungen sind unbedingt wieder einzufügen: Alle Bäume ab einem Umfang von 60 Zentimetern sind geschützt, kleinkronige und mehrstämmige Bäume ab 30 Zentimetern, ebenso alle kleinkronigen und langsam wachsenden Arten wie Eibe, Ilex, Feldahorn, Weißdorn, Kugelahorn, die charakteristisch für die Stadt und ideal als Brutbaum für Amsel, Grünfink oder Grasmücken sind.
  • Die Regenwasserversickerung, an mehreren Stellen schon empfohlen, ist noch einmal deutlicher zu fordern.
  • Auch die Berankung von fensterlosen Wänden, je nach Wärmedämmung mit und ohne Kletterhilfe, braucht mehr Aufmerksamkeit.
  • Das Bebauen von Grundstücken ist zu verringern, auch durch den Rückgriff auf die nur kurz in Berlin gültige Bodenversiegelungsausgleichsverordnung.
  • Notwendige Parkplätze brauchen einen sickerfähigen Untergrund und eine anspruchsvolle Begrünung gerade auch am Rand.
  • An den Grundstücksgrenzen von Neubauten sollen frei wachsende, einheimische Gehölze gepflanzt werden, besonders zum Nutzen von Bodenbrütern wie Rotkehlchen sowie dem Igel.
  • Rasenflächen sind zum Teil als Magerrasen zu entwickeln. Zum Insektenschutz sollen sie nur einmal im Jahr gemäht werden, öffentliche Flächen frühestens am 15. Juni.
  • Das Grünland von Park- und Kleingartenflächen darf nicht mehr als Baulandreserve behandelt werden, sondern als Frischluftspender gegen den sich verstärkenden Klimawandel.
  • Berlin gilt als Hauptstadt der Spatzen, Nachtigallen und Mauersegler in Europa. Deren Unterkünfte und Brutquartiere sind weitgehend ungeschützt. Die buschigen Kleinstbiotope, Ritzen und Spalten sind dauerhaft zu schützen und neu zu schaffen.
  • Berlin besitzt große Landwirtschaftsflächen der ehemaligen Berliner Stadtgüter, die an Bauern verpachtet sind – ohne ökologische Auflagen. Das muss geändert werden, angefangen bei einem Verbot, Pestizide einzusetzen.

Leseempfehlung für Architekten

Zum Schluss eine Bitte eines älteren Nichtinternetnutzers an die Grünen: Denken Sie bei Ihren Vorhaben und Entscheidungen immer auch an die Minderheit der Menschen, die weiterhin kein Internet oder Smartphone haben werden, sich keine Eintrittskarte in den Schlosspark, die Landesgartenschau oder eine Ausstellung zum Fürsten Pückler buchen können und auch in Zukunft analoge Wege brauchen.

Der Artikel von Andreas Otto sollte übrigens auch den deutschen Architekturzeitschriften angeboten und ans Herz gelegt werden.

Wolfgang Heger

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