Wie gefährlich ist Mikroplastik aus Reifenabrieb?

Aus DER RABE RALF April/Mai 2019, S. 19

Im Reinickendorfer Schäfersee kann schon heute die Zukunft besichtigt werden

Im Schäfersee an der Residenzstraße sammelt sich giftiger Straßendreck. (Foto: Ronald Kroth)

In Berlin fallen jedes Jahr mehr als 3500 Tonnen Mikroplastik aus Reifenabrieb an. Wohin verschwindet diese riesige Menge schwarzen Drecks? Ganz einfach, Niederschläge spülen die schwarze Masse in die Gullys – zusammen mit den knapp 600 Litern Regen, die pro Jahr und Quadratmeter über der Stadt niedergehen.

Trenn- und Mischwasserkanalisation

In Berlin gibt es zwei unterschiedliche Ableitungssysteme für Niederschläge. Um 1870 hatte die Stadt James Hobrecht und Rudolf Virchow beauftragt, ein Abwassersystem aufzubauen. Dieses System heißt heute Mischwasserkanalisation und umfasst rund 30 Prozent der Stadtfläche. Grob gesagt, werden die Flächen innerhalb des Berliner S-Bahnringes über Mischwasserkanalisation entwässert. Dabei fließen die häuslichen Abwässer mit dem Niederschlagswasser zusammen in die Kanalisation. Früher wurde dieses Mischwasser mit Pumpen auf die Rieselfelder am Stadtrand gebracht. Heute verarbeiten Klärwerke die schmutzige Brühe.

Auf etwa 70 Prozent der Fläche Berlins gibt es Trennkanalisation. Meist werden dabei nur die häuslichen Abwässer zu den Klärwerken gepumpt, während das Niederschlagswasser unbehandelt über gesonderte Kanäle in das nächste Oberflächengewässer gelangt. Davon betroffen sind das Tegeler Fließ mit seinen 18 Einleitungsstellen, der Nordgraben, die Panke, die Wuhle, die Spree, die vielen Kanäle, die Havel. Allein Reinickendorf hat etwa 70 Seen und Teiche, in die das örtliche Straßenabwasser ungeklärt eingeleitet wird. Genau genommen sind das heute keine Teiche und Seen mehr, sondern technische Bauwerke zur Sammlung des Straßenabwassers. Es sind Vorfluter.

Das Praktische dabei ist, dass sich die heutige Generation über den Verbleib des Drecks keine Sorgen machen muss. Es ist ja alles „entsorgt“. Doch was erwartet nachfolgende Generationen? Sie müssen diese Erbschaft annehmen – ob sie wollen oder nicht.

Idylle ist etwas anderes

Das Berliner Grundwasser gilt noch nicht als gefährdet. Doch am Beispiel des Schäfersees in Reinickendorf wird die hochbrisante Problematik schon heute sichtbar. In den Jahren 2013 und 2014 wurde der See, der eine Fläche von 236 Hektar entwässert (unter anderem die Residenzstraße) für 1,8 Millionen Euro teilentschlammt, 3.300 Tonnen feste Masse wurden entnommen. Etwa 70.000 Kubikmeter Schlamm liegen noch immer im See, der ab zweieinhalb Metern Tiefe als biologisch tot gilt.

Kein Wunder, denn eine Analyse des Schlamms auf Schwermetalle lieferte alarmierende Werte. Pro Kilogramm Trockensubstanz wurden bis zu 7,5 Gramm Zink und bis zu einem Gramm Blei sowie bis zu 38 Milligramm Arsen und bis zu 15 Milligramm Kadmium ermittelt. Ebenso wurden 93 Milligramm hochgiftiger PAK (Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe) festgestellt. Auf die Menge der geborgenen 3.300 Tonnen fester Masse hochgerechnet, ergeben sich 13,8 Tonnen hochgiftiger Zinkverbindungen (ein klarer Indikator dafür, dass diese Reste im Schäfersee vor allem aus Reifen stammen), mehr als 1,7 Tonnen Bleiverbindungen, 70 Kilogramm Arsenverbindungen und 29 Kilogramm Kadmiumverbindungen. PAK, auch als Seveso-Gift bekannt, schlagen nach dieser Rechnung mit 160 Kilogramm zu Buche.

So gesehen sind die durch den Schäfersee aufgefangenen Schlammmassen eine schlummernde Zeitbombe. Und mit jedem Jahr wächst die Gefahr.

Schnelle Lösung?

Berlin braucht viele hundert Reinigungsanlagen, damit die Oberflächengewässer für Tiere, Pflanzen und für uns Menschen wieder nutz- und erlebbar werden. Sauberes Wasser ist die Lebensgrundlage für uns alle. In einer modernen Großstadt, wie es Berlin sein möchte, sollte sich die Arbeit des Regenwassermanagements auf die vordringliche Aufgabe konzentrieren, das Niederschlagswasser möglichst für die Verdunstung vor Ort festzuhalten. Fachleute gehen davon aus, dass für die Entstehung eines gesunden lokalen Klimas 80 Prozent des Niederschlags verdunsten müssen. Man braucht wenig Phantasie, um zu erkennen, dass auf städtischem Straßenland nicht viel Niederschlagswasser zur Verdunstung zurückbleibt. Wo also sollen die Verdunstungsflächen herkommen?

Ein erster Schritt: Laut der Koalitionsvereinbarung des rot-rot-grünen Senats von 2016 sollen tausend Dächer mit Grünbepflanzung entstehen. Nun fehlt aber noch das Wasser für die Verdunstung. Trinkwasser aus der Leitung als Sprengwasser kann nicht die endgültige Lösung sein. Einerseits ist das Berliner Leitungswasser sehr hart (was Pflanzen nicht so mögen), andererseits ist die Bereitstellung von Trinkwasser in Berlin sehr energieintensiv. Jeder Kubikmeter Trinkwasser erfordert etwa fünf Kilowatt elektrischer Energie, bis das Wasser aus der Leitung kommt.

Eine Lösung könnten Hunderte kleine Zisternen unter Nebenstraßen und in Hinterhöfen sein, damit das hier gesammelte Regenwasser von den Dächern als Sprengwasser für die Verdunstungsflächen zur Verfügung steht. Das Wasser von den Straßen ist ungeeignet, weil es durch den hochgiftigen Reifenabrieb, durch das Nikotin der Zigarettenkippen und durch den Hundekot als Sprengwasser unbrauchbar ist. Das gilt sowohl für Bereiche der Mischkanalisation als auch für die durch Trennkanalisation entwässerten Flächen.

Bisher konzentrieren sich die Berliner Umweltbehörden und die Wasserbetriebe leider zu sehr darauf, nur die negativen Auswirkungen von Starkregenereignissen zu minimieren. Mit großtechnischen Anlagen wird versucht, die durch den Klimawechsel häufiger auftretenden „Jahrhundertereignisse“ in den Griff zu bekommen. Bei Starkregen laufen die unterirdischen Kanäle sehr schnell voll. Die häuslichen Abwässer, darunter auch verdünnte Fäkalien, werden dann mittels Überlauf-Vorrichtungen in die Spree „entsorgt“. Nur das verhindern zu wollen ist aber angesichts der großen Gesundheitsgefahren viel zu wenig.

Bei den Berliner Wasserbetrieben muss sehr schnell ein Umdenken einsetzen, denn das Berliner Regenwassermanagement ist in erster Linie hier angesiedelt. Wer kontrolliert den Kontrolleur?

Anton Kulmus

Weitere Informationen:
www.projektgruppe-schaefersee.de


Mikroplastik

In Deutschland fallen jährlich 330.000 Tonnen Mikroplastik an. Davon stammen allein 112.000 Tonnen aus Reifenabrieb, egal ob Diesel oder Elektroauto. Mikroplastik ist wenige Millimeter oder auch nur Nanometer groß. Es baut sich kaum ab, sondern zerfällt in immer kleinere Plastikteilchen. Die kleinsten davon können toxische Wirkungen haben, aber das ist bisher kaum erforscht.

Ein Großteil des Mikroplastiks gelangt über die Flüsse in die Meere. Ein kleiner Teil wird in Klärwerken herausgefiltert, davon landet aber wiederum etwas mit dem Klärschlamm auf den Feldern. So findet sich heute auch in den Böden vielfach Mikroplastik, wie das Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin-Friedrichshagen aufdeckte. Als Bestandteil von Fisch, Zucker oder Bier kommt davon auch etwas wieder zum Absender zurück.

So wundert es nicht, dass Mikroplastikteilchen bereits im Menschen nachgewiesen wurden. Das allermeiste wird wieder ausgeschieden, aber sehr kleine Teilchen durchdringen auch die Darmwand. Mikroplastik in Nanogröße kann sogar die Blut-Hirn-Schranke und die Plazentaschranke überwinden. Genaueres ist noch nicht bekannt.

AK/mb


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