Scheues Wesen

Aus DER RABE RALF April/Mai 2018, Seite 5

Die Wildkatze ist Wildtier des Jahres

Ursprünglich wanderte die Europäische Wildkatze, um die es hier geht, nach der letzten Eiszeit in Europa ein und besiedelte weite Räume des Festlandes und heutiger Inseln. Vor mehr als 100 Jahren durch den Menschen fast ausgerottet, kehrt die Wildkatze nun zurück in ihre einstigen Verbreitungsgebiete. Heute gibt es sie wieder in Schottland, in großen Teilen Spaniens und Portugals, in einigen französischen und deutschen Mittelgebirgen (darunter Eiffel, Pfälzer Wald und Harz), im Karpatenbogen, in den Balkangebirgen und in den Apenninen. Auch auf Korsika, Sardinien, Kreta und Sizilien gibt es Vorkommen. Viele Siedlungsgebiete der Wildkatze sind heute leider nicht miteinander verbunden. Die deutsche Population wird momentan auf rund 6.000 Individuen geschätzt.

Als Art kommt die Wildkatze auch außerhalb Europas vor. Über Kleinasien erstreckt sich ihr Verbreitungsgebiet bis nach Zentralasien und Westindien. Darüber hinaus bewohnt sie große Teile Afrikas. In jedem der genannten Verbreitungsgebiete bildet die Wildkatze einen eigenen Morphotyp aus, also eine äußerlich unterscheidbare Form oder Unterart. Die Graukatze vom Ostrand des tibetischen Hochlands wird als eigene Unterart angesehen. Als wahrscheinlicher Vorfahr aller Hauskatzen gilt die afrikanische Wildkatze, auch Falbkatze genannt.

Europäische Wildkatze im Wisentgehege Springe. (Foto: Michael Gäbler CC-BY 3.0)

Einzelgänger mit Aalstrich

Die Europäische Wildkatze oder Waldkatze (Felis silvestris silvestris) lebt vor allem in strukturreichen Laub- und Mischwäldern mit Lichtungen und Waldwiesen. Von dort wandern die Tiere entlang versteckreicher Hecken, Wegränder und Ufer von Fließgewässern nicht selten bis in die offene Kulturlandschaft, um Brachen und Grünlandflächen als ergiebige Jagdreviere aufzusuchen. Entscheidend für die Nutzung offener und halboffener artenreicher Lebensräume ist ein ausreichendes Angebot Deckung bietender Strukturen.

Die sehr raren Beobachtungsmöglichkeiten führen dazu, dass die Größenangaben für das Tier je nach Quelle und abgesehen von in Zoos gehaltenen Exemplaren teilweise sehr subjektiv ausfallen. Das Spektrum reicht von „kaum größer als Hauskatzen“ bis „deutlich größer und schwerer als Hauskatzen“. Immerhin wurden bei gefangenen oder im Straßenverkehr zu Tode gekommenen Tieren schon Körperlängen von bis zu 120 Zentimetern (bei Schwanzlängen zwischen 26 und 35 Zentimetern) und ein Gewicht von bis zu acht Kilogramm festgestellt – Maße, die eher in die zweite Kategorie fallen. Generell wird die Wildkatze als kräftiger oder stämmiger im Vergleich zur Hauskatze beschrieben.

Deutlich länger als bei dieser ist das grau (mit gelblichem Unterton) gehaltene Fell, dem eine deutliche Tigerzeichnung meist fehlt – nur junge Wildkatzen sind kontrastreicher gezeichnet. Von der Stirn ziehen sich dunkle Streifen zwischen den Ohren bis in den Nacken. In der Rückenmitte verläuft dunkel der sogenannte Aalstrich. Auffallend sind auch die helle, fleischfarbene Nase und der stark buschige, zwei- oder dreifach schwarz geringelte Schwanz, der stumpf und mit ebenfalls schwarzer Spitze endet.

Auch im Verhalten unterscheiden sich die beiden Katzenarten, so sind Wildkatzen im Gegensatz zu Hauskatzen nicht sozial und leben als Einzelgänger. Geschlechtsreif werden die Wildkatzen etwa ab dem zehnten Lebensmonat. Sie tragen circa neun Wochen, bevor sie in der Hauptwurfzeit zwischen März und Mai in der Regel drei bis vier Junge zur Welt bringen. Mit etwa sechs bis acht Monaten suchen sich die Jungtiere ein eigenes Revier. Die Sterblichkeit der jungen Wildkatzen ist hoch, nur mit Glück erreicht einer von vier geborenen Welpen das Erwachsenenalter. Unter optimalen Bedingungen werden Wildkatzen zwölf bis fünfzehn Jahre alt.

Raubtier mit Biss

Die Wildkatze ist meist ortstreu. Bei optimalem Lebensraum erstreckt sich ihr Revier über zwei bis drei Quadratkilometer, unter schwierigen Bedingungen sind es entsprechend mehr. Männchen beanspruchen in der Regel größere Reviere als weibliche Tiere. Die Wildkatze ist, wie andere Katzenarten auch, ein Pirschjäger. Sie schleicht ihre Beute unbemerkt an und geht dann mit einem Sprung zum Überraschungsangriff über. Zu ihrer Kost zählen hauptsächlich Mäuse. Wenn sie die nicht erreichen kann – zum Beispiel im Winter bei geschlossener Schneedecke – jagt sie auch Kaninchen oder Vögel. Zu ihren Fressfeinden gehören Wolf und Luchs. An Jungtieren vergreifen sich Fuchs, Uhu und andere Greifvögel.

Wildkatzen sind sowohl tag- als auch nachtaktiv und wagen sich ohne Deckung höchst selten auf freies Gelände. Ihre sehr hoch entwickelten Sinnesorgane, die zum Beispiel beim Geruchssinn denen des Hundes überlegen sind, und ihre als sehr hoch eingestufte Intelligenz lassen sie natürliche Gefahren frühzeitig erkennen. Mit 18 einziehbaren langen und kräftigen Krallen und ihrem sehr kräftigen Raubtiergebiss ist die Wildkatze für ein Tier ihrer Größe extrem wehrhaft. Zudem hat sie äußerst kurze Reaktionszeiten und ist neben ihrer Wendigkeit auch noch körperlich stark. Das alles macht sie zu einer äußerst gefährlichen und erfolgreichen Jägerin auf Kleinwild.

Rückkehr mit Wegeplan

Wildkatzen sind extrem scheu und meiden menschliche Nähe. Sie sind die einzigen Katzen, die als absolut nicht zähmbar gelten. Auch in Gefangenschaft geborene Tiere können nicht an den Menschen gewöhnt werden und lassen sich niemals von ihm berühren. Bei freilebenden Tieren gilt als gesichert, dass sie niemals an Verstecke zurückkehren, die vom Menschen entdeckt wurden.

All diese Eigenschaften machen den Schutz der Europäischen Wildkatze nicht gerade einfach. Nachdem sie seit dem späten 18. Jahrhundert nahezu ausgerottet wurde, erholen sich die Bestände seit den 1920er Jahren zwar langsam, doch stetig. In Deutschland durch das Bundesjagdgesetz von 1952 ganzjährig unter Schutz gestellt, kehrt das Tier allmählich in seine angestammten Lebensräume zurück. Diese werden jedoch immer wieder durch neue Verkehrswege oder Flächennutzungen zerschnitten, wodurch die Erhaltung der Wildkatzenpopulationen weiterhin eine große Herausforderung bleibt.

Mit der Wildkatze ist kürt die Deutsche Wildtier-Stiftung eine streng geschützte Art, die auf Schutzmaßnahmen und den Erhalt naturnaher Wälder sowie hecken- und gehölzreicher Kulturlandschaften angewiesen ist. Um die Erweiterung und Vernetzung der Bestände kümmern sich seit den 1990er Jahren, als die Wildkatze schon einmal Wildtier des Jahres (1993) war, vor allem die BUND-Landesverbände Thüringen, Hessen, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Mit Projekten wie „Wildkatzenwegeplan“ oder „Wildkatzensprung“ werden wieder grüne Korridore zwischen den einzelnen Populationen hergestellt, um so die Bestände des Tieres zu sichern.

 

Jörg Parsiegla

Weitere Informationen:
www.wildkatzenwegeplan.de

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