Aus DER RABE RALF August/September 2018, Seite 20
Wohnungsgenossenschaften in Berlin
Je schwieriger es wird, in Berlin überhaupt noch eine bezahlbare Wohnung zu finden, umso wichtiger sind Anbieter, denen es nicht vorrangig darum geht, maximale Renditen zu erzielen. Neben den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften sind dies vor allem Genossenschaften.
Wohnungsgenossenschaften sind nicht am freien Wohnungsmarkt tätig, sondern versorgen ihre Mitglieder. Etwa 12 Prozent der mehr als 1,6 Millionen Mietwohnungen in Berlin gehören Genossenschaften. Deren Mitglieder beteiligen sich mit einer einmaligen Einlage am Eigenkapital der Genossenschaft, die beim Austritt wieder zurückgezahlt wird – in voller Höhe, möglicherweise vermindert um bilanzielle Verluste. Wertsteigerungen der Immobilien verbleiben als stille Reserve in der genossenschaftlichen Gemeinschaft und werden ausscheidenden Mitgliedern nicht ausbezahlt.
Gemeinschaftliche wirtschaftliche Selbsthilfe
Die Höhe der erforderlichen Einlage, um einer Genossenschaft beitreten und eine der Wohnungen beziehen zu können, ist sehr unterschiedlich. Alte, oft über 100 Jahre alte Genossenschaften mit umfangreichen Altbaubeständen nehmen in der Regel ein paar Hundert Euro pro Zimmer. Neuere Genossenschaften, die noch nicht so viel Eigenkapital ansammeln konnten, berechnen die Einlage meist nach Quadratmetern, wobei erhebliche Beträge zusammenkommen können, wenn einige Hundert bis knapp Tausend Euro pro Quadratmeter verlangt werden.
Genossenschaftsstraße in Adlershof: Hier baute die Berliner Baugenossenschaft vor 130 Jahren 44 individuelle Mehrfamilienhäuser – heute ein Kulturdenkmal. (Foto: Adlershof, CC-BY-SA 3.0)
Verträge über Genossenschaftswohnungen heißen in der Regel nicht Mietverträge, sondern Nutzungsverträge, bezahlt wird ein Nutzungsentgelt, keine Miete – jedenfalls in den Genossenschaften, in denen es ein Bewusstsein dafür gibt, dass sie keine marktwirtschaftlichen Unternehmen, sondern Selbsthilfeorganisationen ihrer Mitglieder sind. Folgerichtig sollten Genossenschaften auch nicht das gemäß Mietspiegel maximal Zulässige von ihren Mitgliedern verlangen, sondern sich auf die Deckung der Kosten beschränken.
Statt eine Dividende auf die Genossenschaftseinlagen zu zahlen – wie es leider viele Genossenschaften tun – wäre es auch möglich, den Mitgliedern eine Rückvergütung aus dem Jahresgewinn auszuzahlen. Eine Dividende widerspricht dem Genossenschaftsgedanken, denn eine Genossenschaft ist nicht dazu da, Geld durch Verzinsung zu vermehren, sondern ihre Mitglieder zu fördern. Wenn sie dabei Überschüsse erzielt, dann kann dies ein Hinweis darauf sein, dass sie ihren Mitgliedern zu viel berechnet hat. Der Teil des Gewinns, der nicht investiert werden soll, um zum Beispiel neue Wohnungen zu bauen, kann dann den Mitgliedern entsprechend ihrem Umsatz mit ihrer Genossenschaft – im Fall von Wohnungsgenossenschaften also entsprechend ihrem Nutzungsentgelt – zurückerstattet werden. Darüber, wie der Jahresgewinn verwendet wird, entscheidet die Mitgliederversammlung oder bei größeren Genossenschaften die Versammlung der Vertreter*innen.
Genossenschaftliche Demokratie?
Genossenschaften gelten als demokratische Unternehmensform, denn jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe der finanziellen Einlage – anders als bei Kapitalgesellschaften, wo sich die Stimmrechte nach der finanziellen Beteiligung richten. Allerdings dürfen Genossenschaftsmitglieder bzw. -vertreter*innen meist nur über den Jahresabschluss und die Verwendung des Gewinns oder falls nötig die Deckung eines Verlustes beschließen, den Aufsichtsrat wählen und Vorstand und Aufsichtsrat entlasten. Zwar wären viel umfangreichere Entscheidungsrechte möglich, die müssten jedoch in der Satzung verankert sein.
Allerdings öffnet sich bei vielen Genossenschaften die Schere zwischen wenigen Macher*innen und vielen Mitmacher*innen auch durch das Handeln aller Beteiligten immer weiter. Zum autoritären Regime von Vorständen und Aufsichtsräten gehören auch die vielen Mitglieder, die das widerspruchslos geschehen lassen. Gerade in großen Genossenschaften hält sich das Engagement der Mitglieder oft in Grenzen, Beschlussvorlagen werden durchgewunken, kritische Nachfragen sind unerwünscht. Seit zehn Jahren treffen sich deshalb Mitglieder älterer Wohnungsgenossenschaften in der Initiative „Genossenschaft von unten“ und setzen sich für mehr Transparenz und für ihre Rechte als Mitglieder ein.
Genossenschaftswohnungen verzweifelt gesucht
Viele Wohnungssuchende wären glücklich, würden sie eine Genossenschaftswohnung finden. Das ist jedoch sehr schwer geworden, manche Genossenschaften nehmen gar keine neuen Mitglieder mehr auf. Um Abhilfe zu schaffen, sollen Wohnungsgenossenschaften nun vom Senat gefördert werden. Das Abgeordnetenhaus hat 20 Millionen Euro für die Haushaltsjahre 2018/19 bereitgestellt. Aus diesen Mitteln sollen Genossenschaften ein Darlehen zur Ergänzung des Eigenkapitals bekommen können, wenn sie geförderte Sozialwohnungen errichten oder Altbauten erwerben. Dadurch vermindern sich die Beträge, die von den Mitgliedern selbst aufgebracht werden müssen. Darüber hinaus wird auch das Wohneigentumsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) so verändert, dass Haushalte innerhalb der Einkommensgrenzen für Wohnberechtigungsscheine ein zinsloses Darlehen sowie Tilgungszuschüsse erhalten können, wenn sie Genossenschaftsanteile erwerben. Diese Förderungen soll es nicht nur für bereits bestehende, sondern auch für neu gegründete Genossenschaften geben, wenn beispielsweise Mieter*innen ihr Haus gemeinsam als Genossenschaft erwerben möchten.
Bereits im Frühjahr 2017 haben sich 25 Genossenschaften zum „Bündnis Junge Genossenschaften Berlin“ zusammengeschlossen, weil sie einen Beitrag zur Versorgung mit dauerhaft günstigem Wohnraum leisten möchten. Neben der Förderung von Genossenschaften fordern sie Zugang zu Bauland. Stadtpolitische Bewegungen haben zwar erreicht, dass öffentliche Grundstücke in Berlin in der Regel nicht mehr verkauft, sondern im Erbbaurecht vergeben werden. Wenn dies jedoch auf 60 Jahre befristet ist und zudem ein Zinssatz verlangt wird, der höher liegt als die Zinsen für einen Bankkredit, dann ist das für viele Genossenschaften nicht attraktiv. Hinzu kommt, dass die Konzeptverfahren zur Vergabe solcher Grundstücke bisher sehr intransparent sind und viele Vorleistungen erfordern, die gerade von neuen Genossenschaften und anderen Hausprojektgruppen kaum geleistet werden können.
Für die Entfaltung der Potenziale von Genossenschaften im Wohnungsbau scheint sowohl innerhalb vieler Genossenschaften als auch seitens der öffentlichen Hand noch einiges zu tun zu sein.
Elisabeth Voß
Mehr Informationen:
www.wohnungsbaugenossenschaften.de/berlin
www.genossenschaft-von-unten.eu
www.junge-genossenschaften.berlin
HÄUSER DEM MARKT ENTZIEHEN
Aus DER RABE RALF August/September 2018, Seite 21
Selbstverwaltung und Solidarität im Mietshäuser Syndikat
Im Internationalen Jahr der Genossenschaften 2012 verlieh der Spar- und Bauverein Solingen – eine der größten Wohnungsgenossenschaften in Nordrhein-Westfalen – dem Mietshäuser Syndikat den Klaus-Novy-Preis für Innovationen beim genossenschaftlichen Bauen und Wohnen. Das Mietshäuser Syndikat ist zwar gar keine Genossenschaft, setzt aber den Genossenschaftsgedanken der solidarischen wirtschaftlichen Selbsthilfe vorbildlich um.
Das Syndikat hat seinen Ursprung in einer Freiburger Baukooperative, die 1983 begann, eine ehemalige Maschinenhalle auf einem Industrieareal, dem Grethergelände, zum Wohn- und Gewerbegebäude umzubauen. Neben den baulichen Fragen diskutierte die Gruppe einen Solidartransfer für neue Hausprojekte, und gründete schließlich 1992 das Mietshäuser Syndikat.
Mittlerweile gehören bundesweit 134 Hausprojekte zum Syndikat, viele in Freiburg und in Berlin, aber auch in kleineren Städten und auf dem Land in Baden-Württemberg, Brandenburg, Sachsen und anderen Bundesländern, und es entstehen laufend neue Gruppen.
Mit GmbHs und Vereinen Privatisierung verhindern
Die Häuser im Syndikatsverbund werden endgültig der Verwertung am Markt entzogen. Zu diesem Zweck wird für jedes Haus eine eigene GmbH gegründet, die Eigentümerin wird und zwei Gesellschafter hat: Den Hausverein der Bewohner*innen und die GmbH des gesamten Syndikats. Für diese Konstruktion bekommen neue Hausprojekt-Initiativen kostenlose Beratung und alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt. Die Bewohner*innen verwalten sich selbst, müssen ihre Finanzierung organisieren und entscheiden beispielsweise über Baumaßnahmen sowie darüber, wer einziehen und wer monatlich wie viel bezahlen soll, um aus der Summe der Mieten alle Kosten zu decken.
Nur wenn es ums Eigentum geht, also um Fragen des Verkaufs oder der Belastung des Grundbuchs, kann der zweite Gesellschafter, die Gesamt-Syndikats-GmbH, mitreden. Diese GmbH gehört dem bundesweiten Syndikatsverein, dessen Mitglieder alle Projekte und einige Hundert Einzelpersonen sind, und die werden einem Verkauf niemals zustimmen.
Mit einem Solidarfonds wird sichergestellt, dass immer neue Häuser zum Syndikatsverbund hinzukommen können. Die Hausprojekte zahlen in den Fonds ein, anfangs monatlich 10 Cent pro Quadratmeter, und wenn die Belastung aus der Finanzierung abnimmt, immer mehr. Aus dem Geld können die Einlagen der Gesamt-Syndikats-GmbH in die Haus-GmbHs finanziert werden.
Finanzierung durch Viele im sozialen Umfeld
Anders als bei Genossenschaften gibt es beim Mietshäuser Syndikat keine finanziellen Anforderungen an die einzelnen Bewohner*innen. Stattdessen wird jede Gruppe darin angeleitet und unterstützt, das Eigenkapital, das nötig ist um einen Bankkredit zu bekommen, im sozialen Umfeld einzusammeln. Für diese sogenannten Direktkredite wird mit den Geldgeber*innen vereinbart, für wie lange und zu welchem Zinssatz sie ihr Geld ins Projekt geben möchten. Es wird außerdem eine Nachrangklausel vereinbart, die besagt, dass die Geldgeber*innen dieses Geld nicht zurückfordern, wenn dadurch das Hausprojekt in die Insolvenz geraten, also pleitegehen würde. Sollte es finanziell schiefgehen, würden zuerst alle anderen Gläubiger*innen ihr Geld zurückbekommen, also die Bank (die sich ohnehin im Grundbuch absichert), Handwerksbetriebe, Versorgungsunternehmen etc.
So funktioniert das Mietshäuser Syndikat. (Grafik: Mietshäuser Syndikat)
Erst einmal ist bisher ein Syndikats-Projekt gescheitert. Der Eilhardshof in Neustadt an der Weinstraße musste 2010 Insolvenz anmelden, nachdem schon umfangreiche Sanierungsarbeiten begonnen worden waren. Die Baukosten waren zu gering kalkuliert gewesen, es fehlten fachliche Kompetenzen in der Gruppe, und als es finanziell eng wurde, gab es Konflikte. Die Direktkreditgeber*innen verloren ihr Geld. Ein Solidaritätsfonds für die Eilhardshof-Geschädigten konnte immerhin einen Teil davon ersetzen. Das Syndikat rät den Darlehensgeber*innen nach dieser Erfahrung, ihre Direktkredite auf mehrere Hausprojekte zu verteilen.
Das Mietshäuser Syndikat in Berlin baut …
In Berlin gibt es zurzeit 18 Syndikatsprojekte, überwiegend im Altbau. Neu gebaut wurde in der Malmöer Straße 29, direkt neben den S-Bahn-Gleisen an der Grenze von Prenzlauer Berg zum Wedding. Das Grundstück konnte günstig erworben werden, das 2012 fertiggestellte Gebäude wurde für Baukosten unter 1.000 Euro pro Quadratmeter errichtet. Dafür gibt es keine Unterkellerung und keine anspruchsvolle Gestaltung, die Architekten machten Abstriche beim Honorar. Das Großgruppenwohnhaus für etwa 20 Leute braucht weniger Küchen und Badezimmer, als wenn einzelne Wohnungen gebaut worden wären. Aus Kostengründen entschieden sich die Bewohner*innen, nach dem Einzug einige Arbeiten selbst zu machen, was sich jedoch als recht belastend herausstellte. Im Hausprojekt M29 gibt es neben kleinen WG-Zimmern und Gemeinschaftsflächen auch Räume zur Nutzung für die Öffentlichkeit.
Ebenfalls ein Neubau ist La Vida Verde in der Sophienstraße 35 im Lichtenberger Weitlingkiez. In 18 Wohnungen plus Gemeinschaftsbereichen leben knapp 40 Personen unterschiedlichen Alters, etwa ein Drittel davon Kinder. Drei Wohnungen wurden rollstuhlgerecht errichtet. Das sogenannte Plusenergiehaus erzeugt mehr Wärme und Energie, als es selbst verbraucht. Es konnte 2014 bezogen werden, die Nettokaltmiete von 8,80 Euro pro Quadratmeter (zuzüglich Solidarbeitrag) ist allerdings für Syndikats-Verhältnisse ziemlich hoch.
… und entprivatisiert Mietshäuser
Im Altbau konnten in Berlin den letzten Jahren durch das Syndikat zwei Häuser in Milieuschutzgebieten vor der Verwertung am Markt gerettet werden, in der Friedrichshainer Seumestraße 14 und in der Zossener Straße 48 in Kreuzberg. Beide sind keine gemeinschaftlichen Wohnprojekte, sondern Mietshäuser mit einer gemischten Bewohnerschaft. Bei beiden war es entscheidend, dass die Mieter*innen gemeinsam aktiv wurden, sobald sie von den Verkaufsabsichten erfuhren. Die Grundstücke wurden jeweils von Stiftungen erworben und den Hausprojekten mit einem Erbbaurechtsvertrag überlassen. Die Gebäude gehören den Bewohner*innen.
In der Seumestraße kaufte die Schweizer Stiftung Edith Maryon das Grundstück direkt vom Eigentümer, in der Zossener Straße machte das Bezirksamt sein Vorkaufsrecht zugunsten der Stiftung Nord-Süd-Brücken geltend. Dadurch brauchten in beiden Fällen die Bewohner*innen nur die Finanzierung für ihr Haus aufzubringen, müssen jedoch laufend Erbbauzins bezahlen.
Das Mietshäuser Syndikat im Film
Einen lebendigen und überzeugenden Einblick ins Mietshäuser Syndikat und unterschiedliche Wohnformen, die sich darin entwickelt haben, gibt der 2016 mit Crowdfunding-Finanzierung fertiggestellte einstündige Film „Unser Haus“ von Holger Lauinger. Der Film steht unter einer Creative-Commons-Lizenz und wurde frei im Internet veröffentlicht.
Elisabeth Voß
Weitere Informationen:
Mietshäuser Syndikat: www.syndikat.org
Film: www.das-ist-unser-haus.de